Zum Start eine Randnotiz: Sowohl Lauren Bacall, Harun Farocki als auch Robin Williams wurden kurzfristig mit einer Vorführung gewürdigt – Williams gar mit einer Aufführung von One Hour Photo auf der Piazza Grande. Ich habe es weder zu diesem Film, noch zu den beiden anderen geschafft, aber es war mir eine Erwähnung wert.
Nun zum Geschäftlichen, zum letzten vollen Tag für mich hier in Locarno. Mittlerweile fühle ich mich ein wenig wie in Trance, da hilft es auch nicht, dass der Tag mit zwei Kurzfilmen von Jean-Marie Straub beginnt. Dessen Filme sind immer schwierig – entweder herausfordernd oder anstrengend – A propos de Venise und vor allem Dialogue d’ombres würde ich eher der zweiten Kategorie zuschreiben. Zwei solch sperrigen, essayistischen Werke vormittags anzusetzen gehört eigentlich verboten. Danach sprinte ich ins Cinema Ex*Rex zu Cronaca Familiare, einem weiteren Zurlini-Film (dem dritten diese Woche). In Cronaca Familiare spielt Marcello Mastroianni ganz großartig den großen Bruder von Jacques Perrin. Abgesehen davon, dass der Film über einen Zeitraum von knapp dreißig Jahren spielt und Mastroianni zunächst einen 25-Jährigen, und Jacques Perrin später einen 28-Jährigen spielen, weckte er mich ein wenig aus meiner Straub-induzierten Lethargie.
Diese wurde allerdings spätestens mit The Voice of Sokurov wieder hergestellt. Die estnische Filmemacherin Leena Kilpeläinen bastelt darin aus sieben Interviews mit Aleksandr Sokurov (exzentrisch wie immer) und einer Menge an Ausschnitten von Sokurovs Filmen, auch aus dem selten gezeigten Frühwerk, einen passablen Dokumentarfilm über Sokurovs Sicht auf Kunst und die Probleme, die er im Laufe der Jahre mit diversen Regierungen hatte, die mit seiner Radikalität nicht umgehen konnten. Über Sokurov selbst erfährt man allerdings kaum etwas, ebenso wenig über seine Arbeitsweisen oder die Entstehungsgeschichte seiner Filme. So richtig politisch wird es auf der anderen Seite auch nicht, und so erschöpft sich das Ganze schon bald und wird zum Sokurov-Mantra, der sich für die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks starkmacht.
Park Jung-bums Alive, mit knapp drei Stunden der zweitlängste Beitrag im Concorso Internazionale, nützt seine Dauer vorzüglich. Ich mag es, wenn Filme lange Laufzeiten dazu nützen ein Stück Lebenswirklichkeit greifbar zu machen (hier auch so in Mula su kang ano ang noon und Le Maman et la Putain gesehen), und der Koreaner Park Jung-bum macht das ganz hervorragend. Der Film ist ein mächtiger Brocken, eine sozialkritische Charakterstudie, ein Überlebenskampf in einem Stil, der mich ein wenig an Jia Zhangke (und andere verwandte ostasiatische Filmemacher) erinnerte.
Gold von Thomas Arslan, der in der Jury des Concorso Internazionale sitzt, habe ich sowohl auf der Viennale, als auch beim regulären Kinostart geflissentlich übergangen, so war es spätestens hier an der Zeit dieses Versäumnis nachzuholen, und ich muss sagen, dass mir der Film gefallen hat, obwohl ich eigentlich kein großer Freund des Westerngenres bin. Diese Aversionen sind zwar unbegründet, aber sie sie sind numal da. Vielleicht liegt mein Gefallen an Gold auch daran, dass man kaum mehr von einem Western sprechen kann, sondern eher von einem Berliner-Schule Drama im Western-Setting.
Was ich bis jetzt noch gar nicht erwähnt habe: Vielleicht ist es das hohe Durchschnittsalter des Publikums, aber Störungen durch Handyklingeln und leuchtende Displays kommen nur vereinzelt vor (das ist zwar immer noch zu oft, aber hey, sie brauchen hier nicht mal Ansagen dafür). Das cinephile Klima hier ist überhaupt recht angenehm – in keinem der Kinos ist es erlaubt zu essen, die Publikumsware spielt größtenteils auf der Piazza Grande und kann so einfach umschifft werden und die Vorstellungen fangen unglaublich pünktlich an.
PS: Ich freue mich schon wieder auf Kebab (gibt’s hier zwar theoretisch auch, kostet aber um die 10 CHF…).