Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Die Stadt in "Hard to be a God"

Viennale 2014: Hard to be a God von Aleksey German

Eine mit­tel­al­ter­li­che Stadt ist der Schau­platz für Alek­sey Ger­mans Hard to be a God – so scheint es zumin­dest, denn ein Off-Kom­men­tar klärt auf, dass die­se Stadt, die­se Welt, sich gar nicht auf Erden befin­det, son­dern sich das Gesche­hen auf einem ande­ren Pla­ne­ten ent­fal­tet. Erden­men­schen haben den Pla­ne­ten jedoch kolo­nia­li­siert und sind dort nun Halb­göt­ter und Herr­scher (in die­sem Punkt kann man sich nicht sicher sein, so habe ich es zumin­dest ver­stan­den – zu die­ser Pro­ble­ma­tik spä­ter mehr). Einer die­ser Erden­men­schen, Don Rumata, wird im Mit­tel­punkt der Geschich­te stehen.

Drei Stun­den habe ich Sams­tag­abend mit Hard to be a God im Kino ver­bracht. Die ers­te hal­be Stun­de war ich fas­zi­niert von den tol­len track­ing shots, dem impo­san­ten, kon­trast­rei­chen Schwarz­weiß­look und der auf­wän­di­gen Kulis­se. Dann stie­gen lang­sam Zwei­fel in mir auf – wohin soll­te das füh­ren, was will mir der Film sagen, wel­cher Antrieb steckt hin­ter dem Film? Die nächs­ten zwei­ein­halb Stun­den ver­brach­te ich damit, die­se Fra­gen zu beant­wor­ten, aber blieb dabei erfolg­los. Trotz all die­ses Auf­wands und der tech­ni­schen Prä­zi­si­on des Films, stell­te sich das End­re­sul­tat als quä­lend und nichts­sa­gend heraus.

Elend und Dreck in Der Film ist groß, facet­ten­reich und ohne Zwei­fel kom­plex. Es besteht natür­lich die Mög­lich­keit, dass mir mein feh­len­des Wis­sen um die rus­si­sche Kul­tur und Ger­mans rest­li­che Fil­me mir den Zugang zum Film erschwe­ren. Unab­hän­gig davon fehl­te Hard to be a God aber etwas viel grund­le­gen­de­res, sodass ich mich in der Berech­ti­gung mei­ner Kri­tik bestärkt füh­le: eine Visi­on, die dem Film Zusam­men­halt gibt.

Die­se Fest­stel­lung mag befrem­dend klin­gen, ob der prä­zi­se durch­kom­po­nier­ten, alles ande­re als belie­bi­gen, Bild­aus­wahl und des offen­sicht­li­chen poli­ti­schen Anlie­gen Ger­mans. Vie­le Aspek­te des Films schei­nen eine sol­che Visi­on, wie ich sie dem Film abspre­che, anzu­deu­ten. Mir geht es aber gar nicht dar­um, ob die radi­ka­le Anti-Ästhe­tik und die Über­fül­le an (poli­ti­scher) Alle­go­rie und Sym­bo­lik einem gewis­sen Mus­ter fol­gen oder ob sie durch­dacht sind (das sind sie ganz bestimmt). Es geht mir, und das mag banal klin­gen, um das Misch­ver­hält­nis die­ser Ele­men­te. Iso­liert betrach­tet sind die ein­zel­nen Tei­le des Films näm­lich durch­aus inter­es­sant, for­dernd, anspruchs­voll im bes­ten Geis­te des auteu­ris­ti­schen Film­schaf­fens, es geht rein dar­um was Ger­man macht (oder eher – nicht macht) um die­se Ele­men­te in Ein­klang zu bringen.

Exem­pla­risch wer­de ich also ver­schie­de­ne, durch­aus inter­es­san­te Aspek­te des Films bespre­chen, die stief­müt­ter­lich im Cha­os der Insze­nie­rung unter­ge­hen und ihre Explo­si­ons­kraft schließ­lich ver­lie­ren. Ich begin­ne bei der manie­ris­ti­schen Bild­äs­the­tik des Films. Manie­ris­mus ist in die­sem Zusam­men­hang nicht rein nega­tiv zu sehen, denn eine sol­che Über­fül­le kann, rich­tig ein­ge­setzt, einen kathar­ti­schen Effekt aus­lö­sen. Noch dazu kehrt Ger­man die­sen Manie­ris­mus eigent­lich in einen Anti-Manie­ris­mus, einen Scheiß-Manie­ris­mus um. Die Schei­ße ist hier wört­lich zu neh­men – sel­ten sieht man in einem Film Fäka­li­en so pro­mi­nent ins Design­kon­zept inte­griert. Sind die­se Fäka­li­en nötig um ein Bild einer mit­tel­al­ter­li­chen Par­al­lel­welt zu zeich­nen? Viel­leicht, aber es scheint gar nicht Ger­mans Anlie­gen zu sein, solch ein Bild zu zeich­nen, sonst hät­te er die drei Stun­den Lauf­zeit sei­nes Films nicht dafür ver­wen­det eine ellip­ti­sche Anti-Orgie zu zele­brie­ren, son­dern etwas von der Lebens­rea­li­tät der Men­schen in die­ser Welt zu zei­gen – außer Fur­zen und Schnäu­zen sieht man davon aber nicht all­zu viel. Die poten­ti­el­le ästhe­ti­sche Spreng­kraft einer manie­ris­ti­schen Visua­li­tät ver­läuft sich also. Dar­über hin­aus steht die­ser Manie­ris­mus ande­ren Aspek­ten des Films im Weg. So wäre es für einen Film solch epo­cha­ler Län­ge und inti­men Kame­ra­spiels ein leich­tes (oder viel­leicht sogar eine Not­wen­dig­keit) gewe­sen, die Lebens­rea­li­tät die­ser Men­schen und die­ses Pla­ne­ten auf­zu­schlüs­seln. Das pas­siert jedoch nicht und es wird auch kei­ne epi­sche Nar­ra­ti­on vor­ge­tra­gen. Die Län­ge des Films scheint ein­fach daher zu rüh­ren, dass nie eine Ent­schei­dung für oder gegen irgend­et­was getrof­fen wur­de. Nun könn­te man ein­wen­den, Ger­man wol­le bloß die Per­zep­ti­on des Publi­kums tes­ten und so einen eman­zi­pa­to­ri­schen Ges­tus wah­ren. War­um aber ver­kauft Ger­man den Zuse­her an ande­rer Stel­le für blöd? War­um lässt er ihn voll­kom­men im Dun­keln tap­pen und gibt kei­ner­lei Mög­lich­keit die­sen Film ohne exten­si­ves Vor­wis­sen auf­zu­schlüs­seln? Wie­so setzt er alle mög­li­chen bil­li­gen Tricks ein, die dem Kon­zept des eman­zi­pier­ten Zuse­hers genau wider­spre­chen (ich mei­ne damit die unzäh­li­gen Bli­cke direkt in die Kame­ra, die Schön­heit der Kame­ra­füh­rung inmit­ten des Drecks und die Opu­lenz der Sets und Kos­tü­me). Nein, das Pro­blem die­ses Films liegt klar in der Fra­ge: „Was will ich von die­sem Film?“ Eine Fra­ge, die Ger­man, womög­lich auf­grund sei­nes ver­früh­ten Todes nicht beant­wor­ten konn­te. So ent­steht ein Film der Wider­sprü­che, kei­ner frucht­ba­ren Wider­sprü­che, aus der sich Syn­the­sen zie­hen las­sen, son­dern ganz ein­fach der unver­ein­ba­ren Wider­sprü­che, die den Film unver­dau­lich machen.

Denn wo Grö­ße im Film steckt, ent­stammt sie der Kom­pri­mie­rung, die Radi­ka­li­tät wie­der­um ist eine ästhe­ti­sche, die Län­ge trägt nichts dazu bei die­se Qua­li­tä­ten zu unter­strei­chen und die poli­ti­sche Sei­te des Films geht ohne­hin in der quä­len­den Red­un­danz und in der Häss­lich­keit unter. Das zeugt von Ger­mans Fehl­ein­schät­zung, dass er alles in die­sen Film ver­sam­meln kön­ne. Die Fra­ge ist bloß, ob es sich über­haupt um eine sol­che Fehl­ein­schät­zung han­delt, also um eine über­am­bi­tio­nier­te Visi­on Ger­mans, oder ob der Film bewusst mit die­ser the­ma­ti­schen wie visu­el­len Über­fül­le spielt und ganz ein­fach dar­an scheitert.

Mir erscheint die letz­te­re Mög­lich­keit bei nähe­rer Betrach­tung plau­si­bler: Die fil­mi­sche Welt die Ger­man hier nach dem Vor­bild des Romans der Stru­gaz­ki Brü­der (die unter ande­rem auch für die Buch­vor­la­ge für Tar­kow­skis Stal­ker ver­ant­wort­lich sind) prä­sen­tiert, wird bloß in Umris­sen skiz­ziert. Die genau­en Spe­zi­fi­ka die­ser Welt blei­ben jedoch unklar, das heißt, man tappt mehr oder weni­ger drei Stun­den lang im Dun­keln und auf­grund der Erklä­rungs­ar­mut wirkt der Film noch enig­ma­ti­scher als er auf­grund sei­ner Form bereits ist. Das allein will ich dem Film jedoch nicht vor­hal­ten – enig­ma­ti­sche Fil­me sind sogar zu begrü­ßen. Was man Ger­man aber vor­hal­ten kann, ist aber, dass die kom­plet­te Dechif­frie­rung des Films durch die ver­wor­re­ne Hand­lungs­struk­tur, durch die sich der Film einem grund­le­gen­den Ver­ständ­nis ent­zieht, ande­re Les­ar­ten des Films blo­ckiert. Man sieht, das spricht gegen den Ver­such einer Publi­kum­seman­zi­pie­rung, denn das Anlie­gen Ger­mans ist im Kern ein poli­ti­sches (wie auch das der Stru­gaz­kis). Dass der Film als eine gro­ße poli­ti­sche und sozia­le Alle­go­rie zu lesen ist, wird inhalt­lich sehr deut­lich gemacht aber eben nar­ra­tiv und for­mal total sabotiert.

Zusam­men­ge­fasst geht es mir also nicht dar­um, dass der Film Häss­lich­keit zele­briert, oder enig­ma­tisch ist, oder per se zu lang ist, oder kei­ne wort­ge­treue Adap­ti­on dar­stellt, son­dern dass alle die­se Aspek­te nicht unter einer „künst­le­ri­schen Visi­on“ zusam­men­ge­fasst sind, oder über­haupt zusam­men­ge­fasst wer­den kön­nen. Das soll nicht hei­ßen, dass ein Film kohä­rent sein muss, aber er soll­te in dem Maße kohä­rent sein, indem es sei­ne eige­ne Form und sein eige­ner Inhalt es ver­lan­gen, ansons­ten han­delt es sich bloß um eine post­mo­der­ne Spie­le­rei. Und da zeigt sich auch in wel­cher Hin­sicht der Film sich den Vor­wurf der Belie­big­keit gefal­len las­sen muss: nicht in Bezug auf Bild­aus­wahl oder Hand­lungs­struk­tur, son­dern in Bezug auf die künst­le­ri­sche Visi­on, die es im Fal­le von Hard to be a God nicht fer­tig brach­te weg­zu­las­sen, aus­zu­las­sen, ein­zu­spa­ren, wo es nötig war. Sich auf die Eman­zi­pa­ti­on des Zuse­hers aus­zu­re­den, ist in die­sem Fall, wie oben aus­ge­führt nicht legi­tim. Im Kern, ist es die Auf­ga­be eines Künst­lers eine Aus­wahl zu tref­fen (und wenn es nur Wahl ist ver­schie­de­ne Les­ar­ten vor­zu­schla­gen), wenn er das nicht tut, macht er sich selbst obsolet.