Text: Bianca Jasmina Rauch
Anfang und Ende von Alberto Cavalcantis Coal Facerahmt dieselbe Feststellung: „Coal mining is the basic industry of Britain.“ Dazwischen liegen die Abläufe jenes Rohstoffabbaus, der Großbritannien lange als Hauptenergiequelle diente. Erst nach den 1930er Jahren wurde Kohle zunehmend und ab 1984 durch Margaret Thatchers Umstrukturierungen dann zu größeren Teilen von Gas, Öl und Kernenergie ersetzt. Das Schuften in der Dunkelheit legte nicht nur den Weg zum wachsenden Wirtschaftsleistung des Landes frei, es schrieb sich tief in die Biografien der Menschen ein. Während die Silhouetten von Fördergerüsten und Schornsteinen das visuelle Gedächtnis englischer, schottischer und walisischer Landschaften der industriellen Revolution prägten, experimentiert Coal Face, auf der Suche nach einer Form, die den monotonen und zugleich gestörten Rhythmus der Arbeit in der Düsternis eindringlich vor Augen und Ohren führt.
Die geschichtsträchtige, staatlich finanzierte GPO Film Unit unter der Leitung von John Grierson produzierte in den 1930er Jahren zahlreiche Filme, die meist dokumentarisch und häufig experimentell konzipiert waren. Inspiriert von den sowjetischen Montagetechniken Eisensteins und Pudovkins, nahmen der Ton und Kommentar dem Bild gegenüber keine untergeordnete Rolle ein, sondern erzeugten auf eigenständige Weise Kontrapunkte. Die Filmgruppe um John Grierson – hauptverantwortlich für Bild- und Tonmontage von Coal Facezeigte sich der brasilianische Regisseur Alberto Cavalcanti – arbeitete mit bereits vorhandenen Aufnahmen (darunter auch Material von Robert Flaherty, entstanden für den Vorläufer der GPO, die EMB Film Unit), einem eigens geschriebenen Text des Dichters W. H. Auden sowie der musikalischen Komposition von Benjamin Britten. Dieser legt mit dem markanten tiefen Beben seines Klaviers gleich zu Beginn den atmosphärischen Grundstein. Warnend und eindringlich spricht indes die Off-Stimme zum Publikum, als würde sie jeden Moment in einen schreienden Tonfall übergehen, der die Arbeiter und ihre Verbündeten zum Protest aufruft. Doch sie bleiben unter der Erde (und den britischen Generalstreik von 1926 gräbt auch der Film nicht aus).
In der coal face, auf Deutsch Streb, jenem Teil des Bergwerks, in dem die Kohle abgebaut wird, sind die Kumpels in nackten Oberkörpern zu sehen: Sie hacken, schwitzen und halten ihre Pause ab. Ihre Haut ist eingestaubt, ihre Gesichter von der Kohle geschwärzt. Direkt über ihrem Kopf bröckelt das Gestein, keine Helme in Sicht. Jährlich trägt einer von fünf Minenarbeiten Verletzungen davon, stellt die Stimme fest. Elektrisch betriebene Maschinen sollen die Arbeit effizienter machen. Ketten, Getriebe, Kurbeln rattern in einer unterbrochenen Sinfonie des Bergwerks. Britten erzeugt aus Sandpapier, Kokosnussschalen, Pfeifen, Wassereimern, Tassen, Filmumspulern und diversen Trommeln eine Akustik, die die Bewegungen der Arbeiter und Maschinen verfremdet: Hier und da bricht sie ab oder räumt anderen Lauten Platz ein. Immer wieder mischen sich Murmeln, Gesang und Gesprächsfetzen darunter. Sie geben den Arbeitern eine Stimme und übertönen sie zugleich. Wenn die Erschöpften am Ende des Tages hinter dem Gitter, das die Mine vom Rest der Welt trennt, hervortreten, ruft sie ein Chor mit hellem Timbre Richtung Heimstätte. Die Arbeit jener Stimmen wird bloß sichtbar anhand der Wäsche, die an den Leinen hängend im Wind vor dem Schornsteinhorizont weht. Ein Arbeiter schlendert dazwischen hindurch. „Coal mining is the basic industry of Britain.“