Text: Eva Königshofen
Unweit von Durham, wo die Küste schroff abfällt und heute Wiesen und Supermarktparkplätze die Landschaft prägen, befanden sich einst die Gelände der Zechen Ryhope, Silkworth, Hilton, Monkwearmouth. Bis ins späte 20. Jahrhundert hinein waren die großen Bergwerke Nordenglands noch in Betrieb, dann wurden die Schächte geschlossen. Diese Gegend ist es, von der Filmemacher Bill Morrison und Komponist Jóhann Jóhannsson erzählen. Besonders hat es ihnen die Musik der Bergleute angetan, die Miners’ Hymns. Für den gleichnamigen Film hat Jóhannsson eine Partitur geschrieben, welche „Soundtrack“ zu nennen unzulänglich wäre, ist die Musik doch integraler Bestandteil des Films, der gänzlich ohne Voiceover oder O-Töne auskommt. Von Anfang bis Ende ist sie zu hören, verschränkt sich mit dem Bildmaterial, verläuft hier und da parallel, spielt sich mal in den Vorder- mal in den Hintergrund, verschwimmt mit der zu erahnenden Geräuschkulisse der Bergwerke; dem Dröhnen, Wummern, Rattern der Maschinen.
Gerahmt werden die knapp fünfzig Minuten von einem Kameraflug über die Landschaft, die – bis auf die gut erkennbaren Dächer der Reihenhäuser früherer Arbeiterviertel – nur noch wenig an das einstige Ausmaß des Kohlebergbaus erinnert. Dazwischen ist Archivmaterial geschnitten, frühe Filmaufnahmen der britischen Bergwerkswelt, deren Bilder den Grundstein so mancher Bergbautrope gelegt haben mögen. Da ist die Enge des Schachts unter Tage: Man sieht die Arbeiter den Aufzug in die Unterwelt nehmen, dort, wo der Kohlebagger sich unermüdlich in den Berg fräst, sieht die verrußten Gesichter mit den weiß hervorstechenden Augen, Ikonen der Kohleindustrie.
Über Tage hingegen die Breite der Bewegung: Die politischen Kämpfe der Bergarbeiter, ihre Streiks und Proteste. Bilder von Straßenzügen voller Menschen. Hüte werden gelupft, den Umzügen der Workers’ Association zugejubelt. “United we stand, divided we fall.” steht auf ihren Bannern. Dann wiederum folgen Bilder von Versammlungen, die von der Polizei brutal niedergeschlagen werden. Dazwischen die britischen Brass Bands, die Mitte des 19. Jahrhunderts als Musikgruppen aus der Arbeiterschaft der Großindustrie heraus entstanden. Ihr unverkennbarer Sound mag so manchem filmfriend aus Mark Hermans 90ies Tragikkomödie Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten (so der mäßig witzige deutsche Untertitel) bekannt vorkommen, in dem Ewan McGregor und seine Mitstreiter*innen gegen die Schließung ihrer Zeche anblasen. Mit Pauken, Trompeten und weitaus weniger komödiantischer Tragik arbeitete auch Jóhann Jóhannsson für seine Interpretation der Brass Musik in The Miners’ Hymns. Dabei ergänzte er das Ensemble um weitere akustische Elemente, darunter auch elektronisch erzeugte. Jóhannssons zeitgenössische Interpretation der Miners’ Hymns folgt also dem Anachronismus Morrisons, der das Footage ohne weitere zeitliche und historische Einordnung nebeneinander montiert. Der Film lässt sich als Hommage an die britische Arbeiterbewegung und den Niedergang der Kohleindustrie verstehen. An mancher Stelle verstärken Bild und Ton sich zu einer Drastik, die gewöhnungsbedürftig ist. Das Pathos prägt den Umgang mit den Archivmaterialien. Das mag mitunter an der Vehemenz der Blechbläser liegen, die aber ja im Zeichen des politischen Kampfes der Bergleute steht.