Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu Like A Complete Unknown von James Mangold

Die schlechtesten Mythenschreiber waren stets und sind immer noch die, die dem Existierenden nichts beifügen, keine eigene Perspektive, die uns keinen neuen Blick auf die bekannten Geschichten werfen lassen, keine eigene Sprache, kein Bild, das es nicht vorher schon gegeben hat. James Mangolds Bob-Dylan-Film hat überhaupt keinen Zugang zum Mythos seines Protagonisten, außer dessen Eckpunkte in einem bemühten Mimikry (Hollywoods unerklärliche Freude am Herstellen von Ähnlichkeiten, als wäre damit irgendwas gesagt und als könne man das in Zeiten unendlicher Flexibilität von Bildern und Tönen noch bewundern) abzuarbeiten.

Wie in jedem Mythos zeigt sich auch in diesem das Wesen der Kultur, die ihn wiederkäut: Eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von reaction shots auf Chalamets Interpretation der Darbietungen Dylans, Schnittbilder als Nahaufnahmen begeisterter oder irritierter Gesichter, das ist alles. Ohne gezählt zu haben, würde ich behaupten, dass solche Einstellungen mindestens fünfzehnmal im Film vorkommen: Chalamet imitiert und dann sieht man, wie die Leute das finden. Meistens finden sie das gut. Höhepunkt dieser Reißbrettgrammatik ist die Nahaufnahme einer Statistin beim Einsatz elektronisch verstärkter Musik auf dem Newport Folk Festival. Sie sieht so angewidert drein, als habe sie in eine verschimmelte Zitrone gebissen. Die Regieanweisungen hier sind das Gegenteil jeder Beobachtung menschlicher Gesichter, das Gesicht wird hier zum Marker einer Eindeutigkeit, noch weniger ambivalent als Melpomene und Thalia. Jedes dieser Bilder (und Gesichter) schreibt vor, was wir empfinden sollen, ein zutiefst manipulatives und billiges Spiel mit Anerkennung und Ablehnung und den damit verbundenen Gefühlen, ein bisschen das filmische Pendant zur Like-oder-Daumen-Logik der Zeit. Jede Einstellung ist eine Überschrift, der Text beginnt nirgends. Das sind Bilder, die beweisen wollen, dass wir nicht in der Lage sind, die Musik zu hören. Oder noch schlimmer: Bilder, die uns am Hören hindern wollen.

Der Protagonist selbst bleibt eine Oberfläche, das ist immerhin besser, als würde man ihn psychologisch-dramaturgisch zerpflücken. Das Schauspiel zielt weder auf Seele noch auf Oberfläche, es dient der Wiedererkennbarkeit. Man sieht also Dylan, der nicht Dylan ist und das merkt man auch, aber man könnte sagen, dass das auch irgendwie Dylan ist, nicht Dylan zu sein (Todd Haynes hat dazu einen lohnenswerteren Zugang zum Mythos gestaltet). Es ist nicht so, dass ich völlig gefeit bin vor der Faszination an einer Attraktivität, die man allzu gut kennt. Die vertraute Patina des Dylan-Rebellentums verbindet sich hier sicherlich mit dem Instagram-Chick Chalamets und womöglich liegt darin auch der ökonomische Sinn des Films, der letztlich auch die Musik in eine weitere Generation trägt. Die verkaufte ewige Jugend und so weiter, Dylan bleibt jung durch Chalamet, die Musik verkauft sich, alles, was jung bleibt, verkauft sich.

(Plötzlich verspüre ich ein regelrechtes Verlangen für Dinge, die aus der Mode fallen…)

Das ist dann auch der einzige spürbare Blick, den der Film auf den Mythos Dylan wirft, als wäre Kultur ein Betriebssystem, das man ab und an aktualisieren muss, damit es nicht abstürzt. Vielleicht trifft sich Mangolds Film hier tatsächlich mit dem «Fortschrittsdenken», das man in der elektronisch verstärkten Musik erkennen kann, also ein Nicht-Beharren auf den alten Werten und so weiter. Nur dafür müsste sein Film viel radikaler umgehen mit dem Mythos. Im Endeffekt versucht er ja nur zu beweisen, dass Dylan immer noch Dylan sein kann, wenn er Chalamet ist.