Text: Ivana Miloš
Again and again, this constant forsaking:
my eyes open, I find you do not follow.
You back into morning, sleep-heavy, turning.
But in dreams you live. So I try taking,
not to let go. You’ll be dead again tomorrow.
Natasha Trethewey
Wie ist Abwesenheit zu beschreiben? Aus ihr rinnt das Unsichtbare, nur noch Spürbare, das sich in die Landschaft, die Körper, die Geschichte einschreibt – eine Wirklichkeit, die sich der unseren entzieht. Wenn man versucht, ihr zu folgen, verschwindet sie vor unseren Augen. 1973 wird die demokratische Regierung in Chile, geführt vom bekennend marxistischen Präsidenten Allende, durch einen militärischen Putsch, auf den siebzehn Jahre Diktatur folgten, gestürzt. Immer noch ist von einer Dunkelziffer die Rede, wenn versucht wird, die Zahl der Verschwundenen in diesen Jahren festzulegen. Mehrere Tausend Menschen wurden verhaftet, entführt, gefoltert, ermordet – ein wahrhaftig dunkles Zeichen für die Menschheit selbst.
Eine Dekade nach dem Putsch filmt Peter Nestler in Jag vill inte se sorgsna ansikten die Armut in der Hauptstadt Santiago, die Polizei auf den Straßen, die Arbeit, die in der Stadt und am Land stattfindet und das, was von den politisch Verfolgten geblieben ist – die Spuren der Geschichte in der Gegenwart, ihre Kinder. Gleich am Anfang wirft der Film aus der Flug(zeug)perspektive einen Blick auf die Landschaften Chiles: die hohen Gipfel der Anden, die Atacama-Wüste. In diesen fast abstrakten Bildern ist es immer noch unmöglich zu erkennen, was Menschen tun – das Unvorstellbare wird aus der Sicht der Erde gezeigt.
Bald danach, Schwarzweißaufnahmen aus der Hauptstadt Santiago am Tag des Putsches: Bomben, brennende Gebäude, Panzer auf den Straßen und Menschen, die versammelt und mit vorgehaltenen Waffen weggeführt werden. Blut ersetzt die Demokratie. Monochrome Grafiken, die in kleine Kästchen eingesperrte Menschen zeigen, sind Eindrücke der neuen Realität. Jede Realität ist komplex und hat viele Gesichter, die erst im Zusammentreffen wirklich über sie erzählen. Traditionelle Handarbeit mit Ton und Messing, Nahaufnahmen von arbeitenden Händen rücken dann in den Fokus. Aber auch hier lassen sich die Abwesenheiten klar erkennen – die Arbeit wird von Frauen und Kindern gemacht, ihre Hände sind markiert von einem Verlust, der sie prägt. Die chilenische Gesellschaft ist voller klaffender Löcher, die durch die Vermissten entstanden sind.
Nestler kombiniert Fotos mit Live-Aufnahmen in einer Geste, die an die Stilllegung jener von Abwesenheit durchdrungenen Zeit erinnert. Es ist, als ob man sich zwischen den Gezeiten befinden würde – Kinder laufen dem Ball im Park weiterhin nach, aber gleichzeitig sind die, die sie beobachten, nur ihre Mütter und die allgegenwärtige Polizei. Diese Szenen werden nicht nur als Bewegtbildaufnahmen sondern auch durch Fotos festgehalten, die über das Fehlende, das Verschwundene in dem es keine Bewegung mehr geben kann, erzählen. Genau so eingefangen wie die Momente in den Fotos selbst, befinden sich die Überlebenden in einer Endlosschleife des Verlustes.
Die Gegenwart ist gleichzeitig gezeichnet von der Armut, die sich durch die Diktatur ausbreitet. Kinder und Frauen, die mit ihren Waren auf den Straßen hausieren, müssen immer bereit sein, alles zusammenzupacken und in ein Stück Stoff zu verstecken, mit dem sie sich schnell auf die Bank setzen, sobald die Polizei auftaucht. Die Fischer sowie die Feldarbeiter am Land benötigen die Kinder auch als Helfer. Kinder sind in diesem Film überall – von den Liedern, die sie auf Gitarren spielen, bis zu den staubigen Straßen, Parks, Feldern und Häusern. Sie sind auch die Bewohner eines Hauses am Rand der Klippe, hinter dem eine unglaubliche Landschaft zu sehen ist, und auf dessen Zaun ein Kuhschädel mit der Schrift: „Wasser zum Verkauf“ steht. Tod und Leben sind eins, kein Weg führt daran vorbei.