Text: Patrick Holzapfel
Peter Nestler dreht Filme, die auf das reagieren, was den Menschen widerfährt und was verstanden werden muss, damit nicht vergessen wird, um was es eigentlich geht. In diesem Fall ist der Anlass der Tod Danièle Huillets am 9. Oktober 2006. Die französische Filmemacherin kann zusammen mit ihrem Partner Jean-Marie Straub als Seelenverwandte Nestlers bezeichnet werden. Einige Briefe sind übermittelt und ein früher Text Straubs, in dem er die Filme Nestlers lobt. Außerdem widmete Straub seinen Film Le Streghe, femmes entre elles Nestler, keine beliebige Geste, sondern ein bewusstes Zusammenstehen in einer gemeinsamen Hinwendung an den großen italienischen Schriftsteller Cesare Pavese. In seiner von einer deutschen Fernsehanstalt bestellten, als Einführung von Quei loro incontri gedachten Arbeit führt Nestler zwei Stränge zusammen. Der eine wird gleich zu Beginn von Huillet während eines mitgefilmten Publikumsgesprächs in Stockholm vorgegeben: Die Zeit. Sie, so zeigt der Film anhand diverser Ausschnitte aus Filmen und Gesprächen, ist der Luxus, den es zu verteidigen gilt. Die Mächtigen haben keine Zeit, weil das Kapital die Welt bis zur fatalen Erschöpfung beschleunigt. Sich Zeit zu nehmen, ist die unschlagbare Waffe derjenigen, die es sich leisten können. Wer das nicht glaubt, muss nur mal bewusst langsam durch eine Innenstadt gehen. Dass der Kapitalismus diese Waffe längst als Entschleunigung korrumpiert oder Konsum neutralisiert hat, nimmt ihr nichts von ihrer Schlagkraft. Es geht um eine unbezahlte Zeit, eine überschüssige Zeit, eine Zeit, die es braucht, um atmen zu können. Schon Hannah Arendt schrieb von dieser Zeit, als sie meinte, man müsse Innehalten, um überhaupt denken und folglich handeln zu können. Was diese Zeit im Filmemachen bedeutet, führt Nestler vor, indem er hinsieht, zuhört, genau arbeitet. So zeigt er Szenen aus Dalla nube alla resistenza in Gänze, schneidet nicht, wie sonst in Fernseharbeiten üblich, wild durch Szenen, um irgendwelche Argumente zu konstruieren. Nestler respektiert die bereits gemachte Arbeit, er zeigt demütig.Pavese selbst schrieb in einem Brief an den Autoren und Antifaschisten Augusto Monti: „die uns zukommende Arbeit gut zu tun (die Arbeit besteht zuweilen darin, sich eine Arbeit zu suchen) – wer seine Arbeit gut tut, ist mit seinem Gewissen im Lot; und wer nicht, nicht.“ Der zweite Strang hat damit zu tun, dass die Verteidiger der Zeit zusammengebracht werden: Straub, Huillet, Pavese und der deutsche Maler und Graphiker Otto Pankok. Nestler zeigt einige von dessen Bildern, Kohlezeichnungen. Mehr noch als über die Zeit treffen sich diese Künstler in ihrem Widerstand gegen den Faschismus: Die Zeit verteidigen, um den Faschismus zu verdrängen. Allerdings gibt es da auch ein unsentimentales Moment der Trauer über das Ableben Huillets. Diese wird nicht ausformuliert, aber vermittelt sich über die Betonung einer Zeit, die über die Haltung der Filme bestehen bleibt.