Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Pasolinis Einverleibungen

Accat­to­ne: Ein Tel­ler Pas­ta, gestoh­len von den Freun­den. Lee­rer Bauch schärft die Auf­merk­sam­keit und macht trotz­dem trä­ge. Spä­ter am Tiber ein genuss­vol­ler Blick hoch zur Brü­cke. Ging es am Ende um ein Stück Schin­ken? Für ein Bild vom Essen bleibt kei­ne Zeit und noch weni­ger Mate­ri­al, allen­falls ein Tel­ler­rand am unte­ren Ende des Rahmens.

Mam­ma Roma: Ouver­tü­re beim Hoch­zeits­ban­kett. Über den Boden lau­fen Schwei­ne. Vom Essen ist wenig zu sehen. Der Hun­ger bleibt wie ein blin­der Fleck. Ande­re Kör­per ste­hen im Vor­der­grund unter dem har­ten Licht der Straßenlaternen.

La Ricot­ta: Orson Wel­les schaut schel­misch wäh­rend einer Dreh­pau­se am Gol­ga­tha. Die Bil­der sol­len aus­se­hen, wie zum Anbei­ßen. Ein Stück Käse wird aber­mals gestoh­len, dann ver­steckt und anschlie­ßend im Gehei­men einer Höh­le has­tig verzehrt.

Comi­zi d’amore: Das Gast­mahl der Lie­be han­delt wenig vom Essen und mehr von der Lie­be, bezie­hungs­wei­se den ver­bo­te­nen Früchten.

Il van­ge­lo secon­do Matteo: Aus der Erin­ne­rung war das letz­te Abend­mahl fast ver­schwun­den. Am Tisch nur ein paar Äpfel und eini­ge Wein­be­cher, so sym­bo­lisch wie die Eucha­ris­tie. Aus­bli­cke in die Basi­li­ka­ta. Stumm anbli­cken­de Gesich­ter, die die Kreu­zi­gung und Erin­ne­rung vor­be­rei­ten. Auf­ge­zehrt von der eige­nen Schuld läuft Judas davon, um sich das Leben zu neh­men. Sicher­lich der hung­rigs­te Jesus der Film­ge­schich­te, auch wenn er glaubt, kei­nen Hun­ger zu verspüren.

Uccel­l­ac­ci e uccel­li­ni: Der Hun­ger macht vor Krä­hen nicht Halt und Bauch­schmer­zen die­nen als Vor­wand, sich davon­zu­schlei­chen. Pro­fes­so­ren soll­ten mit Sau­ce geges­sen wer­den, um selbst einer zu wer­den. Die Andeu­tung zur Ver­spei­sung des Vogels ohne Wor­te mit den Ges­ten eines Pan­to­mi­men. Am Rand des Flug­ha­fens blei­ben nur ein paar ver­kohl­te Kno­chen und Federn übrig. Viel­leicht sind die Komö­di­an­ten die Kan­ni­ba­len unter den Schauspielern.

Edi­po Re: Gefun­den von einem Bar­ba­ren. Bevor das Ora­kel spricht, wird es mit Essens­ga­ben beschenkt. Hier ist es Reis, es könn­te aber auch Ricot­ta sein, der ähn­lich has­tig mit Hän­den zum Mund geführt wur­de. Spä­ter lie­gen ver­seuch­te und ver­hun­ger­te Lei­chen vor den Toren der Stadt. Paso­li­ni inter­es­siert sich zwar für die Mas­ken, aber noch mehr für das Opfer.

Teo­re­ma: Ein Tisch, bedeckt von einer wei­ßen Tisch­de­cke, die mit gel­ben Blu­men bedruckt ist. In der Mit­te ein eben­so gel­bes Blu­men­ge­steck. Gemein­sa­me Essens­ze­re­mo­nien wer­den von Paso­li­ni in Zen­tral­per­spek­ti­ve auf­ge­nom­men. An den bei­den Längs­sei­ten jeweils zwei Per­so­nen. Am nächs­ten zum Fami­li­en­ober­haupt, der stirn­sei­tig sitzt, befin­det sich der Gast, Terence Stamp. Vom Rand bedient die Haus­häl­te­rin. Sie isst Brenn­nes­seln und heilt die Krank­hei­ten der Bau­ern. Der Zusam­men­hang zwi­schen Land­le­ben und Indus­trie bleibt der Hun­ger, den man nur am nack­ten Kör­per erken­nen soll.

Por­ci­le: Noch­mals Bil­der aus der Vul­kan­wüs­te, noch­mals Schwei­ne. Die Lebens­feind­lich­keit wird hier zum Refu­gi­um des Kan­ni­ba­lis­mus, dem Ort gröbs­ter Flei­sches­lust. Den Akt des Ver­zeh­res zeigt Paso­li­ni aber eher als Not­wen­dig­keit, die Bestra­fung folgt trotz­dem, anders als bei den faschis­ti­schen Men­schen­fres­sern. Paso­li­nis aus­drucks­stärks­ter Essens­film emp­fiehlt für die nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen das Selbstopfer.

Medea: Die Rei­he der Men­schen­op­fe­run­gen geht wei­ter, hier die auf­wen­digs­te und unbe­schreib­li­che. Ein bemal­ter jun­ger Mann wird an ein Kreuz auf einem Hügel gefes­selt, umringt von der har­ren­den Gemein­schaft. Nach sei­ner Tötung wird der Kör­per auf Tel­ler ver­teilt. Es han­delt sich um ein Frucht­bar­keits­ri­tu­al. Die Bil­der ver­sa­gen vor der Beschrei­bung, wie der Bruch mit dem Ritual.

Il Deca­me­ron: Fast jede der Epi­so­den könn­te vom Essen han­deln, es gibt immer einen Tisch, an dem gespeist wird, mehr noch aber von der Frucht­bar­keit und der Ver­dau­ung, wovon die Geschich­ten­er­zäh­ler berich­ten. Paso­li­ni, ein Fres­ken­ma­ler, isst hier mit sei­nen Assis­ten­ten selbst am Abend­mahl, wie­der in Zen­tral­per­spek­ti­ve, bis ihn eine Ein­ge­bung plötz­lich auf­ste­hen lässt. Auf die Fer­tig­stel­lung folgt ein gro­ßes Besäuf­nis. Man­che Geschich­ten­er­zäh­ler behaup­ten, er hät­te sei­nen Tod geplant. Zumin­dest wuss­te er um das, was er hin­ter­lässt. Die Fil­me ent­ste­hen nun in einem enor­men Tem­po, ange­trie­ben von hung­ri­gen Löwen.

I rac­con­ti di Can­ter­bu­ry: Eine Geschich­te, die sich von hin­ten, vom Arsch der Höl­le, erzählt. Für das Fest­essen fin­det Paso­li­ni kei­ne Zen­tral­per­spek­ti­ve mehr, es han­delt sich um ein aus­ufern­des Gela­ge, die Kame­ra ver­sucht die Men­ge von oben zu über­bli­cken. Zwi­schen Tisch und Feu­er wer­den Spei­sen durch­ge­reicht, spä­ter eine Wie­der­ho­lung im Frei­en. Essen als not­wen­di­ge Sün­de tritt als bestän­di­ge Erneue­rung auf.

Il fio­re del­le mil­le e una not­te: Ein letz­tes Mal, ein gro­ßes Fest­mahl. Im Hof einer Moschee ver­sam­meln sich zahl­rei­che Men­schen und sit­zen am Boden im Schat­ten von bun­ten Tüchern. Rie­si­ge Tablet­te, von zwei Per­so­nen getra­gen, mit getürm­ten Reis wer­den her­an­ge­schafft. Das Ban­kett ver­län­gert sich in die Innen­räu­me, gigan­ti­sche Karaf­fen inmit­ten der essen­den Krei­se. Auf einem gelb-blau gemus­ter­tem Tep­pich der aus­ge­stell­te Über­fluss. Reis­ber­ge, Nüs­se, Trau­ben, Dat­teln, Gebäck. Geges­sen wird mit den Hän­den. Unge­be­te­ne Gäs­te wer­den gekreuzigt.

Salò o le 120 gior­na­te di Sodo­ma: Alles, was übrig bleibt.