Prolog
Seit Frühjahr dieses Jahres wird das Wiener Kulturangebot durch ein Literaturmuseum ergänzt. Untergebracht ist es standesgemäß im Grillparzerhaus, dem ehemaligen Hofkammerarchiv, also der langjährigen Arbeitsstätte des österreichischen Nationaldichters in unmittelbarer Nähe zum Metro-Kino. Da ich am Aprilwochenende der Eröffnung rund zwei Stunden in der Innenstadt totzuschlagen hatte, der Besuch zum Auftakt kostenlos war und ich mir wenig darunter vorstellen konnte, wie man Literatur museal aufbereiten könnte, sah ich mir die Sache mal an. Es stellte sich heraus, dass die Kuratoren meine Phantasielosigkeit teilten. Zwar entpuppte sich der Rundgang als beeindruckender historischer Parcours durch die jüngere österreichische Geschichte, aber darüber hinaus wurde mein Verständnis von Literatur durch die Masse an ausgestellten Manuskripten, Briefen und Urkunden nicht sonderlich bereichert. Es scheint, die verstaubt, schummrige Atmosphäre des Standorts hat auf die Gestaltung der Ausstellung abgefärbt: der Rundgang ist öd, lieblos und viel zu oberflächlich. Das Museum ist gefühlsmäßig dazu konzipiert Deutschlehrern das Langweilen ihrer Schulklassen zu erleichtern. Dementsprechend fehlt die kritische Distanz zu Literatur und Politik, fehlen die Verknüpfungen zwischen Kunst und Gesellschaft, die vielerorts angedeutet werden. Man begnügt sich mit einer mäßig kontextualisierten Flut an Schaukästen, die mehr oder weniger interessante Fundstücke präsentieren, die sich über die Jahre in der Nationalbibliothek zusammengesammelt haben.
Berlin, August 2015. Déjà-vu.
Ein Besuch im Museum für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz führt unwillkürlich zu einem Zurückerinnern, an diesen Samstagvormittag im April. Das Filmhaus, ein modernes Gebäude am Potsdamer Platz, wirkt imposant – ein prächtiger, moderner Palast einzig und allein dem Bewegbild gewidmet. In den Obergeschossen sind die Studenten der dffb untergebracht, darunter die Büros der Deutschen Kinemathek und des Berlinale Forums, sowie im Kellergeschoss die beiden Kinosäle des Arsenals. Die Ausstellung selbst, die im September 2000 eröffnet wurde, speist sich aus den ergiebigen Sammlungen der Deutschen Kinemathek – würde man sich alles, was es hier an Ton- und Bildaufnahmen zu entdecken gibt zu Gemüte führen, dann könnte man wohl mehrere Nachmittage im Museum verbringen. Nur: Warum sollte man das? Die Deutsche Kinemathek als Forschungszentrum und Archiv ist eine großartige Institution, umso krasser der Schock, wenn man sich mit der Aufmachung der permanenten Ausstellung konfrontiert sieht. Diese lässt leider weniger auf ein kuratorisches Gesamtkonzept, als auf eitle Gefallsucht und profitorientierte Touristenabfertigung schließen. Zugegeben sind die ersten Schritte in die Ausstellung atemberaubend, eine Art Spiegelkabinett mit Videomonitoren, doch schon bald müssen sie lieblosen Schaukästen weichen. Skizzen, Verträge, Manuskripte und Briefe sind hier aneinandergereiht, dazwischen wird die deutsche (bzw. Berliner) Filmgeschichte im Eiltempo abgehandelt. Man schmückt sich mit den großen Namen jener, die ihren weltweiten Ruhm der amerikanischen Filmindustrie zu verdanken haben. Fritz Lang, Friedrich Wilhelm Murnau, Ernst Lubitsch, Marlene Dietrich sind die Helden und Idole der Vergangenheit, denen gehuldigt wird. Es ist eine regelrechte Fetischisierung dieser internationalen Größen aus besseren Tagen, denen ganze Ausstellungsräume als pervertierte Devotionalienschreine gewidmet sind. Billigster Populismus ist das, unkritisch und nicht einmal besonders gut recherchiert (Plakatives Beispiel: als bedeutender Regisseur des „Proletarischen Kinos“ der Zwischenkriegszeit wird Phil Jutzi angeführt – ohne darauf hinzuweisen, dass derselbe wenige Jahre danach seine Parteimitgliedschaft wechselte und fortan Propagandafilme für Goebbels drehte). So spannend der Prozess der Kanonbildung auch ist, von einem Museum dieser Größenordnung darf man sich doch mehr Tiefgang und historische Präzision erwarten. Es wird ein Bild der deutschen (bzw. Weimarer) Filmindustrie beschrieben, das aus heutiger Sicht schlicht nicht haltbar ist. Hollywood wird als Antipode dargestellt, als Mekka des Kommerzes, während in Berlin zur gleichen Zeit jene künstlerisch wertvollen Filme gedreht wurden, die heute als Klassiker gelten. Diese Sicht ist nur erklärbar, durch die fehlende Tiefe der Aufbereitung, denn das neben den Langs und Murnaus auch in den deutschen Filmstudios industrielle Massenware à la Hollywood im Akkord gefertigt wurde, ist kein filmhistorisches Geheimnis. Doch die Fetischisierung und Nostalgisierung nimmt noch kein Ende. Ähnlich verzerrt werden die Protagonisten des Neuen Deutschen Kinos vereinnahmt und zu Rebellen verklärt. Kaum ein Wort zu den spannenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die in der Nachkriegszeit in der kulturellen Explosion der unzufriedenen jungen Generation gipfelte.
Auf einer anderen Ebene kann man sich fragen, ob es überhaupt Sinn macht, Film und Filmgeschichte so zu präsentieren. Die Nähe zum Material ist nicht gegeben, sofern man vom Material als den Filmen selbst ausgeht. In anderen Kunstmuseen werden mir doch auch keine Originalpinsel oder Auktionsberichte präsentiert, sondern die Werke selbst. Alles in allem, könnte man nun zur Verteidigung vorbringen, geht es hier ohnehin mehr um Kinokultur, Filmindustrie und eine sehr verkürzte und deshalb problematische Präsentation einer sehr verengten Sicht auf die Filmgeschichte. Daraus folgt eine sehr zwiespältige Programmatik, denn das propagierte Genietum der großen deutschen Meisterregisseure lässt sich nur schwer mit der arbeitsteiligen, industriellen Fertigung von Filmen, wie sie nebenan glorifiziert wird, in Einklang bringen. Das ist alles sehr schade, denn ohne Zweifel haben Film, Kino und die Sammlung der Deutsche Kinemathek mehr zu bieten. So jedoch, ist es sinnvoller seine Zeit drei Stockwerke tiefer im Arsenal Kino zu verbringen.