Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Stay Foolish: Yakuza Apocalypse von Takashi Miike

Ich freue mich auf jeden neu­en Film von Taka­shi Mii­ke. Es ist eine beson­de­re Art der Vor­freu­de, die man immer sel­te­ner emp­fin­det, je älter man wird und je mehr Fil­me man gese­hen hat. Weni­ger Neu­gier, Inter­es­se, sehn­suchts­vol­le Erwar­tung oder Ehr­furcht in Bezug auf das, was da an Gro­ßem und Erha­be­nem auf einen zukom­men mag. Eher etwas Kind­li­ches, Zap­pe­li­ges, Krib­beln­des wie einst bei Wun­der­tü­te und Über­ra­schungs­ei, eine Vor­freu­de auf die Freu­de selbst. Ich habe noch kei­nen ein­zi­gen Mii­ke-Film gese­hen, der mich gelang­weilt hät­te, im Sin­ne eines siche­ren Bewusst­seins, was man gera­de sieht und was da noch kommt (zuge­ge­ben: weit mehr als die Hälf­te sei­nes mas­si­ven Oeu­vres ist mir nach wie vor unbe­kannt). Bei wei­tem nicht alle sei­ne Arbei­ten sind in tie­fer Erin­ne­rung geblie­ben, aber kei­ne hat sich so unbe­liebt gemacht, dass ich nicht bereit wäre, sie aufs Neue zu sich­ten und mein Gedächt­nis auf­zu­fri­schen. Dafür gibt es eine Rei­he von Grün­den, die man wohl an so gut wie jedem Mii­ke-Werk exem­pli­fi­zie­ren könn­te, auch sei­ne (wahr­schein­lich schon längst nicht mehr aktu­ells­te Arbeit) Yaku­za Apo­ca­lyp­se eig­net sich dafür.

Takashi Miike mit Fisch

Mii­kes Kino ist zuvor­derst eines der unauf­hör­li­chen Ein­fäl­le, im wört­li­chen Sin­ne. Sei­ne Fil­me haben ein meis­tens eher locke­res Gen­re- und Dreh­buch­ge­rüst, dass nichts wei­ter ver­langt, als erkenn­bar zu blei­ben. Des­sen Aus­ge­stal­tung hin­ge­gen scheint oft jeg­li­cher Regel­haf­tig­keit ent­ho­ben. Es gibt so gut wie nie einen kon­sis­ten­ten Ton­fall, der ding­si­che­re Pro­gno­sen kom­men­der Sze­nen oder Stil­mit­tel zulas­sen wür­de. Statt­des­sen folgt Mii­ke einem bedin­gungs­lo­sen, fast schon situa­tio­nis­ti­schen Im-Moment-Sein: Was aus einer Kon­stel­la­ti­on (von Schau­spie­lern, Schau­platz, Stim­mung, Bud­get und nar­ra­ti­ver Gege­ben­hei­ten) her­vor­geht, wird ange­nom­men und aus­ge­schöpft, unab­hän­gig davon, ob es „passt“ oder nicht. In einem auf­schluss­rei­chen Dreh­ta­ge­buch (nach­zu­le­sen im Mii­ke-Kom­pen­di­um Agi­ta­tor von Tom Mes) steht ein prä­gnan­tes Dik­tum des Regis­seurs: „The more you respect the essence of the screen­play, the more the screen­play ist transformed.“

Das heißt etwa, dass die inhä­ren­te Absur­di­tät eines Moments nicht not­dürf­tig kaschiert wird, weil sie an der fal­schen Stel­le Lachen pro­vo­zie­ren könn­te. Statt­des­sen wird sie wie eine Quel­le ange­zapft und ver­stärkt. Genau­so heißt das aber auch, dass bei wei­tem nicht alles lächer­lich sein muss, nur weil es sich um einen lächer­li­chen Film han­delt. Wenn sich Schön­heit bemerk­bar macht, wird sie gewür­digt, wenn Ruhe und Dis­kre­ti­on ange­bracht schei­nen, wer­den sie gewährt. Das Resul­tat ist eine beacht­li­che Unver­krampft­heit der Bil­der, selbst wenn das Ideen- und Atmo­sphä­ren­ge­wirr zur Fol­ge hat, dass man­ches unter­geht und das Tem­po wild schwankt (ganz­heit­li­cher Rhyth­mus ist tat­säch­lich eine Qua­li­tät, die den wenigs­ten Fil­men des Regis­seurs eig­net, obwohl Sequen­zen für sich sehr prä­zi­se getak­tet sind).

Mii­ke erlang­te sei­ne Popu­la­ri­tät im Wes­ten zunächst als Lie­fe­rant extre­mer, gro­tes­ker Gewalt­dar­stel­lung, eine befremd­li­che Reduk­ti­on sei­nes Schaf­fens auf bil­li­ge Schock­tak­ti­ken. Dabei ist die Gewalt in sei­nen Fil­men (die über­dies vom Bur­les­ken bis zum Tra­gi­schen ver­schie­dens­te Erschei­nungs­for­men kennt) nie Selbst­zweck. Ich erin­ne­re mich, als mir in Schul­zei­ten eine Kopie von Ichi the Kil­ler als der letz­te kras­se Scheiß ver­mit­telt wur­de, und mei­ne Über­ra­schung (und Irri­ta­ti­on) ange­sichts der eigen­tüm­li­chen Melan­cho­lie und Poe­sie man­cher der gars­tigs­ten Epi­so­den des Films.

Yakuza Apocalypse von Takashi Miike

Yaku­za Apo­ca­lyp­se gehört zwei­fel­los zu Mii­kes Spiel­trieb-Fil­men, die Skur­ri­li­tät über­wiegt. Das Dreh­buch sei­nes mehr­ma­li­gen Regie­as­sis­ten­ten Yoshit­a­ka Yama­guchi über Vam­pir-Yaku­za in einer Klein­stadt und ein von Son­der­lin­gen und Fabel­we­sen ange­führ­tes Syn­di­kat des Bösen scheint bereits mit einem leich­ten Augen­zwin­kern ver­fasst wor­den zu sein. Den­noch ist es nicht die Prä­mis­se an sich, die gim­mick­haft in Erstau­nen ver­setzt, son­dern die suk­zes­si­ve Erkennt­nis, dass die eige­ne Phan­ta­sie letzt­lich weit hin­ter dem zurück­bleibt, was Mii­ke und sein Team aus dem Kon­zept machen, zu wel­chen Abschwei­fun­gen und fil­mi­schen Aper­çus sie sich hin­rei­ßen las­sen, ohne Sinn- und Zweck­fra­gen zu stel­len. Mii­ke pen­delt mitt­ler­wei­le regel­mä­ßig zwi­schen grö­ße­ren Stu­dio­pro­duk­tio­nen und klei­ne­ren Pro­jek­ten hin und her. Dies ist eines der Letz­te­ren, wo die Rück­sicht auf erzäh­le­ri­sche und psy­cho­lo­gi­sche Strin­genz noch gerin­ger ausfällt.

Nach der „Ein­füh­rung“ des Yaku­za-Vam­pir­chefs Kami­ura (Rirî Furan­kî) in einer pro­to­ty­pi­schen Miike-Exp(l)osi(ti)on (er met­zelt sich durch eine Fein­des­hor­de, wird von Kugeln durch­siebt und kämpft trotz­dem wei­ter) sowie sei­nes Pro­te­gés Kaga­ya­ma (Haya­to Ichi­ha­ra) gibt es einen Sketch-Come­dy-Pas­sa­ge über die Reso­zia­li­sie­rung gefan­ge­ner Gangs­ter, die zurück­hal­ten­de Anbah­nung einer Lie­bes­ge­schich­te, gefolgt von der zugleich pathe­ti­schen und über­zo­ge­nen Ermor­dung des Über­va­ters, der sei­ne Gabe an den Günst­ling wei­ter­gibt. Die­ser kann sei­nen Blut­durst nicht kon­trol­lie­ren, und bald ist das gan­ze Dorf vam­pi­ri­siert, was der Film wider Erwar­ten sati­risch wen­det – die Yaku­za sind plötz­lich obso­let, weil jeder Bür­ger sei­ne böse Sei­te ent­deckt hat und Kri­mi­na­li­tät zum Nor­mal­zu­stand wird. Unter­des­sen schmie­det das Syn­di­kat sei­ne Machen­schaf­ten unter der Lei­tung eines schna­bel­ge­sich­ti­gen Was­ser­dä­mons, des­sen hemds­är­me­li­ge Kos­tü­mie­rung den Dar­stel­ler nicht dar­an hin­dert, sei­ne Rol­le voll aus­zu­kos­ten. Und dann kommt der Froschmann.

Aber es ist eben nicht die blo­ße Tat­sa­che, dass ein Mann in einem über­gro­ßen, gift­grü­nen Frosch­mas­kott­chen-Plüsch­pelz sich als „the world’s toug­hest ter­ro­rist“ und for­mi­da­bler Kampf­künst­ler her­aus­stellt, die sol­che Ein­fäl­le beson­ders macht. Es ist die Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der Film die­se Tat­sa­che in sei­ne Die­ge­se inte­griert, voll­ends dazu bekennt, nur in sub­ti­len Sei­ten­wit­zen auf ihre Absur­di­tät anspielt: Etwa wenn das knud­de­li­ge Unge­tüm beim Trep­pen­stei­gen Hil­fe braucht, weil sein Kopf zu groß ist, oder wenn man deut­lich erken­nen kann, dass nie­mand im Kos­tüm steckt, als es spä­ter von einem Truck über­fah­ren wird (um in der nächs­ten Ein­stel­lung wie­der auf­zu­ste­hen). Es geht nicht um den Irr­witz-an-sich, son­dern dar­um, was dar­aus gemacht wird, wie er mit ande­ren Ele­men­ten und Ebe­nen des Films in Zusam­men­hang steht, wie er modu­liert wer­den kann, um neu­ar­ti­ge Effek­te zu erzielen.

Yakuza Apocalypse mit Frosch

Die Demons­tra­ti­on die­ses pro­duk­ti­ven Non­sen­se wür­de eine Detail­ana­ly­se erfor­dern. Ein Bei­spiel wäre etwa die Art, wie bei die Bedeut­sam­keit und Dra­ma­tik der Hin­rich­tung Kimeu­ras durch einen Scher­gen des Syn­di­kats (Yayan Ruhi­an aus The Raid in der Mas­ke­ra­de eines Ota­kus, an sich schon eine son­der­ba­re Lust-und-Lau­ne-Beset­zung) dadurch sug­ge­riert wird, dass er des­sen Schä­del erst­mal mehr­fach um sei­ne eige­ne Ach­se dreht, bevor er ihn aus­reißt. Ein ande­res, wie Mii­ke den gro­ßen Show­down insze­niert (es ist einer von vie­len): Zwei mus­ku­lö­se Män­ner brin­gen sich in Stel­lung. Ein Gong ertönt, und sie schla­gen ein­an­der mit vol­ler Wucht zeit­gleich ins Gesicht. Tau­melnd fas­sen sie sich wie­der, posi­tio­nie­ren sich neu – jetzt aber rich­tig. Doch der Prü­gel-Faux­pas wie­der­holt sich. Und wie­der­holt sich. Und wie­der­holt sich. Beim ers­ten Mal lacht man noch. Beim drit­ten fragt man sich, wie weit Mii­ke das Spiel noch trei­ben wird. Beim sieb­ten sieht man das Gan­ze plötz­lich unter völ­lig ande­ren Vor­zei­chen, als buch­stäb­lich ermü­den­des Sinn­bild eines kos­mi­schen Kreis­laufs ewi­ger Gewalt, das in der apo­ka­lyp­ti­schen Schluss­no­te sei­ne (nichts­des­to­trotz etwas alber­ne) Apo­theo­se findet.

Aller­dings wür­de selbst eine Auf­zäh­lung sämt­li­cher Dis­rup­ti­ons­mo­men­te einen wesent­li­chen Aspekt von Mii­kes Kunst unter­schla­gen: Die oft­mals will­kür­lich wir­ken­de Alles-Geht-Men­ta­li­tät steht in star­kem Kon­trast zur Raf­fi­niert­heit (und peri­odi­schen Lang­sam­keit) sei­ner Bild­spra­che. Schuss-Gegen­schuss etwa ist eine Sel­ten­heit bei ihm: Viel öfter wer­den Dia­log­sze­nen in aus­ge­klü­gelt kadrier­ten Tota­len auf­ge­löst, die lang­sam seit­wärts glei­ten wie bei Hou Hsiao-Hsi­en, strot­zend vor fein säu­ber­lich ver­teil­ten Aus­stat­tungs­de­tails. Immer wie­der gibt es Schnit­te, die sich nur nach Bli­cken rich­ten, um zu sehen, wo die­se hin­füh­ren und ob sie erwi­dert wer­den, immer wie­der kommt es zum poe­ti­schen Still­stand in enig­ma­ti­schen (Traum-)Landschaften (in Yaku­za Apo­ca­lyp­se etwa kurz vor Schluss, Kaga­ya­ma und sei­ne Bei­na­he-Freun­din auf einer Grün­oa­se im Schrott­meer). Es gibt unleug­bar gro­ßen Respekt vor den Schau­spie­lern, die bei Mii­ke auch noch in den aller­blö­des­ten Rol­len ihr Bes­tes geben und deren Leis­tun­gen nach Mög­lich­keit der Raum gelas­sen wird, der ihnen gebührt. Man spürt in jeder Ein­stel­lung, dass hier eine ein­ge­spiel­te Crew am Werk und mit ansehn­li­chem Enthu­si­as­mus bei der Sache ist. „We are artisans and ama­tu­ers rather than pro­fes­sio­nals. We are agi­ta­tors fiddling around with some­thing that gives us enjoy­ment.” So for­mu­liert es der Regis­seur mit typi­schem Under­state­ment, wobei sei­ne posi­ti­ve Auf­fas­sung von „Hand­wer­kern“ und „Ama­teue­ren“ natür­lich nichts mit man­geln­der Pro­fes­sio­na­li­tät zu tun hat. Sie bedeu­tet nur, dass Fil­me­ma­chen nicht zur Rou­ti­ne ver­kom­men darf, die Plan­mä­ßig­keit über alles stellt, sie for­dert Raum für Kon­tin­genz im Pro­duk­ti­ons­pro­zess. Die mit Hil­fe einer Ker­ze einem lee­ren Blatt Papier ent­lock­te Geheim­schrift-Abschieds­bot­schaft von Kaga­ya­mas Men­tor lau­tet pas­sen­der­wei­se: „Stay foolish.“