Ein fiktiver Serienmörder entführt Ende der 70er Jahr für Jahr in einem spanischen Provinzkaff sechzehnjährige Schulmädchen tötet sie brutal und entsorgt sie in den umliegenden Sümpfen. Zu dem Zeitpunkt als die beiden Kommissare Pedro Suárez und Juan Robles am Ort des Verbrechens eintreffen ist ihnen dieser Umstand noch nicht bekannt: Einzig der Verbleib zweier jugendlicher Mädchen ist ungewiss, eine Gewalttat wird vermutet, das volle Ausmaß des Verbrechens erschließt sich erst mit Fortdauer des Films.
Bereits die ersten Einstellungen von La isla mínima etablieren ein Leitmotiv: Luftaufnahmen zeigen grünliche Sumpfgebiete inmitten einer braunen Steppe. Hier spielt sich ein Kampf zwischen den Mächten des Wassers (des Lebens) und den unwirtlichen Mächten der staubigen Erde (des Todes) ab. Der Spätsommer ist heiß in Südspanien, die Polizeitruppen ähneln in ihrer Adjustierung den legendären Wüstentruppen der Fremdenlegion. Diese sumpfige, unfreundliche Gegend, die die Protagonisten ins Schwitzen bringt, ist aber durch das Zusammenspiel von warmen Klima und ausreichend Feuchtigkeit höchst fruchtbar. Das kostbare Wasser sorgt für ertragreiche Böden, Spätsommer ist Erntezeit und kulturhistorisch bedingt ist das die Zeit der Dorffestivitäten – im Schatten dieser Feierlichkeiten verschwinden alljährlich die Mädchen. Zugleich werden an diesen Tagen die wirtschaftlichen Bedingungen in der Region gnadenlos aufgedeckt. Während Erntehelfer zu Hungerlöhnen schuften versucht die Jugend das Dorf zu verlassen: eine Frau erzählt von ihren Kindern, die die Arbeitssuche über ganz Europa verteilt hat. Dieser Wunsch wegzukommen aus dem ländlichen Gebiet ohne Zukunftsperspektive führt die beiden Polizisten schließlich auch auf die Spur des Täters – das Phantasma Málaga mit seinen luxuriösen Bettenburgen dient ihm als Lockmittel.
Die Puzzleteile setzen sich freilich nur langsam zusammen und der Film schreitet nicht so linear voran, wie man es von vergleichbaren Krimis kennt. Zwar nimmt La isla mínima Anleihen bei anderen Vertretern des Genres – an vielen Stellen erinnert der Film in seinen Bildmotiven sogar sehr stark an ähnliche Filme, die in den amerikanischen Südstaaten spielen –, doch zeichnet sich der Film durch den Versuch aus unterkomplexe Linearität durch Doppelungsmuster zu ersetzen, wie sie bereits in der eingangs erwähnten doppelten Natur der landschaftlichen Gegebenheiten verankert sind. Zunächst ist da das ungleiche Ermittlerpaar des aufstrebenden Pedro Suárez, der eine große Karriere in Madrid vor sich hat und des kranken Juan Robles, der einst unter dem franquistischen Regime seine Hochzeit erlebte. Die Beiden stehen in weiterer Folge für den Konflikt zwischen dem noch neuen demokratischen System und der Militärdiktatur, die noch immer allgegenwärtig ist. Der Geist Francos sucht den Film wiederholt heim: in Form von Graffitis, in Form von alt eingeübten Verhaltensmustern, in Form von etablierten Machtstrukturen, die nur schwer aufgebrochen werden können. Zu diesen Machtstrukturen gehören auch die Geschlechterverhältnisse, denn Männer sind hier die Akteure und Frauen die Opfer. Nicht zuletzt ist diese Schilderung der politischen Zustände im Jahr 1980 auch eine Allegorie auf die Gegenwart, die lokalen Probleme des Dorfes können haben sich seither auf das ganze Land ausgebreitet: Landflucht, Arbeitslosigkeit, Generationskonflikte, politische Unzufriedenheit.
Aus diesen sehr starren Gegenüberstellungen gilt es auszubrechen. Die Rolle des beweglichen Elements, das für agency sorgt, übernimmt Raúl Arévalos Pedro Suárez. Auf Jugend ohne Film legen wir bekanntlich nicht viel Wert auf Kategorien thespischer Schauspielkunst (die für gewöhnlich mit Preisen von diversen Akademien bedacht werden), aber wir schätzen Qualitäten von Körperlichkeit und Ikonizität. Arévalo zeigt eine solche von uns favorisierte Präsenz. Er wandelt zwischen Sumpf und Staub, zwischen Zivilisation und Ödnis, vermittelt zwischen den dominanten aber ablehnenden Männern, und den in Unsichtbarkeit leidenden Frauen. Arévalos Suárez steht für ein demokratisches Spanien, das sich aus den Trümmern der Franco-Diktatur erhebt, aber zugleich von diesen Trümmern am Vorwärtskommen gehindert wird.
Schließlich, und das ist sehr passend, lösen die beiden Kommissare das Kriminalrätsel im strömenden Regen. Das lebensgebende Nass triumphiert über den staubigen Tod, hält aber seinerseits Gefahren bereit (die Straßen werden rutschig, das Auto stürzt beinahe in den Graben). Der Sumpf, wo der Mörder die Mädchen zerstückelt entsorgte wird zu dessen eigenem Grab und das alles ist nur möglich, weil sich die Ermittler arrangieren und der franquistische Robles Suárez letztendlich den Rücken freihält. Die Trümmer werden beiseite geräumt, und es wird, trotz fahlen Nachgeschmacks ein Kompromiss erzielt: La isla mínima löst seine Konflikte in einer mehrschichtigen, symbolischen Synthese auf – es bleibt die Hoffnung sich zu arrangieren, im Jahr 1980 wie heute.