Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Where does you hidden smile lie

Touch the Invisible Truth: Où gît votre sourire enfoui?/Sicilia!

Ein pro­gramm­tech­ni­scher Glücks­fall woll­te es, dass ich sehr kurz nach einem Scree­ning von Pedro Cos­tas Où gît vot­re souri­re enfoui? in den Genuss von Jean-Marie Straubs und Daniè­le Huil­lets Sici­lia! kam. Der Film über die Heim­kehr eines Aus­wan­de­rers nach Sizi­li­en wur­de in Wien im neu-eröff­ne­ten Metro­ki­no anläss­lich der Peter Hand­ke geht ins Kino-Schau gezeigt. Basie­rend auf Elio Vitto­rin­is „Con­ver­sa­zio­ne in Sici­lia“ ent­fal­ten die Straubs eini­ge dia­log­las­ti­ge Vignet­ten vol­ler Witz, Phi­lo­so­phie und Wür­de. In sei­ner Doku­men­ta­ti­on, die zunächst im Rah­men der Serie Ciné­as­tes de not­re temps ent­stan­den ist, beglei­tet Cos­ta das Fil­me­ma­cher­paar im Schnitt von Sici­lia! Den Film nach der Arbeit dar­an zu sehen, war ein beson­de­res Ver­gnü­gen. Die Sät­ze über die Straub-Huil­let fühl­ba­re Stun­den grü­bel­ten, flie­gen wie ein Echo an einem vor­bei, wenn man das End­pro­dukt sieht. Aber viel­leicht ist Echo all­ge­mein ein guter Begriff, um zu beschrei­ben was die­se bei­den Fil­me mit­ein­an­der machen.

Sicilia! von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet

Womög­lich muss man an einer ande­ren Stel­le begin­nen: Wil­liam Lubt­chan­sky, sei­nes Zei­chens häu­fig Kame­ra­mann bei Jac­ques Rivet­te und damit auch Bil­der­ma­ler im unglaub­li­chen La bel­le noi­seu­se. Er führ­te die Kame­ra bei Straub-Huil­let: Blitz­wei­ße Wän­de, in schwar­zen Stu­fen davor die Men­schen, wir stu­die­ren ihre Gesich­ter. Schon die ers­te Ein­stel­lung ist von einer sol­chen kon­trast­rei­chen Not­wen­dig­keit, dass man sei­ne Augen nicht abwen­den könn­te. Ein Mann sitzt mit sei­nem Rücken zu uns am Ufer. Die­se Ein­stel­lung sieht man auch in Où gît vot­re souri­re enfoui?. Gewis­ser­ma­ßen bren­nen sich die Bil­der in das Gedächt­nis. Jeder, der schon einen Film geschnit­ten hat, kennt die unter­schied­li­chen Erfah­rungs­ebe­nen, die man mit den Bil­dern hat: Man lernt sie ken­nen, man ver­gisst sie, man lernt sie neu ken­nen, man lernt sie bes­ser ken­nen, man kann sie nicht mehr sehen, man wird von ihnen über­rascht, man ver­steht sie nicht, man lernt sie ken­nen, man ver­gisst sie, man glaubt ihnen nicht mehr, man lernt sie neu ken­nen bis man sie igno­riert oder stirbt. Der Film, also jener der Straubs folgt einem Rhyth­mus. Jenem sei­ner Mon­ta­ge und sei­ner Spra­che. Mit Cos­tas Film im Kopf kennt man die eigen­wil­li­gen und in sich bewe­gen­den Regeln, denen Straub-Huil­let im Schnitt folg­ten. Der Schnitt erfolgt wegen eines Echos im Dia­log oder wegen dem Geräusch eines Vogels. Wer schnei­det sonst des­halb? Manch­mal wird der Ton aus­set­zen, eigent­lich wird fast immer geschrien. In einem bemer­kens­wer­ten sti­lis­ti­schen Kniff wer­den die Figu­ren am Ende ihrer lan­gen Dia­log­pas­sa­gen manch­mal ein­frie­ren. Es ist wie bei Brecht oder wie in den Fass­bin­der-Posen. Die Kame­ra liest dann auf ihren Gesich­tern. Das Unter­fan­gen ist von einer bewe­gen­den Künst­lich­keit beseelt. Die­se Künst­lich­keit ist bewe­gend, weil sie der Armut im Film eine noble Stim­me gibt, weil sie die Poe­sie des Hun­gers malt. Der ein­zi­ge Fil­me­ma­cher, der sonst der­art gekonnt das Not­wen­di­ge, das Exis­ten­ti­el­le und das Schö­ne ver­bin­det, ist Pedro Cos­ta. Die dezen­trier­ten und von jeg­li­chem Schnick­schnack befrei­ten Ein­stel­lun­gen von Men­schen vor Wän­den hat er vor allem in Juventu­de em Mar­cha erforscht. Man den­ke an den hilf­lo­sen Ven­tura in der neu­en Woh­nung. Man den­ke an die­se seit­li­chen Nah­auf­nah­men, in denen die Figu­ren mehr auf der rech­ten Sei­te ste­hen und somit mehr mit dem Offs­creen als dem sicht­ba­ren Bild ver­bun­den sind. Lubt­chan­sky lässt die Schat­ten mit­spre­chen, Cos­ta auch. Die Wahr­heit wird in die­sem Unsicht­ba­ren gesucht. In Où gît vot­re souri­re enfoui? gibt es die­se Schat­ten. Es ist vor allem der Schat­ten der nüch­ter­nen Daniè­le, die stur ihre Arbeit erle­digt und Straub beschimpft, wenn er sei­nen Mund nicht hal­ten kann. Cos­ta hat gesagt, dass die­ser Film ein Lie­bes­film und eine Komö­die ist. Das bringt einen zu Chap­lin, ein Mann, der eben­falls das Arme mit dem Wür­de­vol­len, das Licht mit dem Schat­ten ver­band. Straub redet und bewegt sich tat­säch­lich ähn­lich wie die Figu­ren in Sici­ia! Er steht auf und hält Mono­lo­ge, spricht laut, ver­schwin­det aus dem Bild und kehrt zurück.

Jean-Marie Straub bei Pedro Costa

Wie La bel­le noi­seu­se ist auch Où gît vot­re souri­re enfoui? ein Film über Arbeit. Sici­lia! Dage­gen ist ein Film über die Spu­ren der Arbeit. Aber das sind die ande­ren bei­den auch. Man könn­te sagen, dass Huil­let bei Cos­ta für die Arbeit steht und Straub für die Spu­ren der Arbeit. Sie bedin­gen sich gegen­sei­tig. Arbeit ist für Cos­ta genau­so wich­tig wie Blin­zeln. Ein Blin­zeln mag ein Lächeln sein. Straub-Huil­let suchen nach einem sol­chen unsicht­ba­ren Lächeln, einer klei­nen Regung, dem Unkon­trol­lier­ba­ren. Hier wird die Kunst des Fil­me­ma­chens und ins­be­son­de­re die Kon­struk­ti­on einer Mon­ta­ge als Pro­zess auf­ge­fasst, als Arbeit. So wie in La bel­le noi­seu­se immer wie­der neu begon­nen wird, immer wie­der radiert wird, immer wie­der auf­ge­ge­ben und ange­fan­gen wird so wird für Sici­lia! auch geschnit­ten. Ganz Ähn­li­ches inter­es­sier­te Cos­ta auch in sei­nem Wun­der Ne chan­ge rien, indem er die Sängerin/​Schauspielerin Jean­ne Bali­bar in ihrem Arbeits­pro­zes­sen beglei­tet, im Schat­ten, vor Wän­den, har­tes Licht der Ein­sam­keit und Wür­de. Cos­ta und Straub-Huil­let sind Rock­stars, nur falls es dar­an Zwei­fel geben soll­te. Ihre Wie­der­ho­lun­gen und ihre Kon­se­quenz, ihre Per­sön­lich­kei­ten und ihre Kunst erge­ben ein Gesamt­bild das in den Pro­zess, in die Arbeit fließt. Damit erin­nern sie alle­samt an einen ande­ren Pro­zess-Film, näm­lich Jean-Luc Godards One Plus One, indem Godard in einem Strang die Rol­ling Stones bei Pro­be­auf­nah­men beobachtet.

Cos­ta sucht nicht nur nach dem Lächeln in einem geson­der­ten Moment. Er sucht nach der Bedeu­tung der Zeit für die­ses Lächeln, er sucht nach die­sem Lächeln in der Zeit. Der Schnitt bei Straub-Huil­let wird dann kom­men, wenn die Zeit reif ist. Das Lächeln kann auch exis­tie­ren, wenn es ver­steckt ist, weil die Zeit es ent­blößt. Ein Fun­keln in den Augen, das nicht in einem ein­zel­nen Frame erkenn­bar ist. Eini­ge Male wie­der­holt sich ein tota­ler Schwenk in Sici­lia!. Er betrach­tet eine fel­si­ge Land­schaft, ein Dorf am Hori­zont und schließ­lich einen ver­las­se­nen Weg mit einem Busch. Hier ver­lang­samt sich der Film fast, denn ansons­ten schei­nen Schnitt, Bewe­gung und Spra­che einem ganz eige­nen, für das Fil­me­ma­cher­paar durch­aus schnel­len Rhyth­mus zu fol­gen. Denkt man bei­spiels­wei­se an die Eröff­nungs­sze­ne in Juventu­de em Mar­cha so kann man die Par­al­le­len im Zusam­men­spiel von Ton und Bild, Klang und Rhyth­mus hören, die Cos­ta mit Straub-Huil­let ver­bin­det. Der Schwenk öff­net unse­ren Blick auf die kon­stru­ier­ten Wel­ten. Er ist ein Doku­ment in der Zeit. Zudem wird damit die Bedeu­tung des Lands für die Figu­ren betont. Die Wie­der­ho­lung spricht viel­leicht von einer Unver­än­der­lich­keit, wie der immer glei­che Weg zur Arbeit. Man denkt an Ros­sel­li­ni, man denkt an Rivet­te und man denkt an Kiaros­t­ami, des­sen Film Whe­re Is the Friend’s Home? Im Anschluss im Metro­ki­no zu sehen war.

Sicilia! von Straub-Huillet

Sowohl Straub-Huil­let als auch Cos­ta behan­deln die Bedeu­tung von Spra­che im Film. Sie fin­den bei­de Wege (und das Aus­ru­fungs­zei­chen bezie­hungs­wei­se Fra­ge­zei­chen in den jewei­li­gen Titeln spre­chen bereits davon), Spra­che in ein fil­mi­sches Ereig­nis zu trans­for­mie­ren. Zum einen geht es um Spra­che in der Zeit, zum ande­ren um die Adres­sie­rung der Spra­che. Die Figu­ren, sei es der Sohn oder die Mut­ter in Sici­lia! oder Straub in Où gît vot­re souri­re enfoui? spre­chen mit etwas Unsicht­ba­ren. Sie adres­sie­ren nicht direkt die Kame­ra und sie spre­chen auch nicht wirk­lich mit den Per­so­nen in der die­ge­ti­schen Welt. Viel­mehr spre­chen sie um zu spre­chen. Dar­in liegt neben einem Ver­frem­dungs­ef­fekt und einer tra­gi­schen Komik auch die Geschich­te einer Ein­sam­keit, von wahr­haf­ti­gen See​len​.Es ist auch bezeich­nend, dass in bei­den Fil­men in Nicht-Mut­ter­spra­chen der Fil­me­ma­cher gespro­chen wird. Für sie geht es nicht um die Infor­ma­ti­on durch Spra­che son­dern das Wesen, das dahin­ter sicht­bar wird, in der Zeit, ver­steckt, wie ein Lächeln in den Augen.

Zwei essen­ti­el­le Fil­me für alle, die noch dar­über nach­den­ken wol­len, wo man eine Kame­ra posi­tio­niert, wann man schnei­det und war­um man einen Film zum Spre­chen benutzt.