Bei Alexander Horwaths erstem Film Henry Fonda for President handelt es sich eher um ein Buch in Form eines Films als um einen Film über ein Leben aus dem Bilderbuch. Es fällt schwer hier von einem Essay, einem Versuch, zu sprechen. Angesichts des Regisseurs, der im Gegensatz zu anderen Debütanten, hinlänglich bekannt ist, überrascht das wenig. Horwath hat in den letzten vierzig Jahren mehr mit dem Kino zu tun gehabt, als so manch anderer Regisseur, ohne in die Verlegenheit zu kommen, einen Film zu drehen, vielleicht hat gerade diese andauernde Beschäftigung ihn so lang davon abgehalten. Was Cinephile eint, ist, dass sie ins Kino ziehen, um sich an Filmen zu berauschen, ihr Liebesobjekt immer aufs Neue studieren und daran eigene Entdeckungen machen. Über die Geschichte des Films, die Welt, der sie sich aussetzen, oder einfach nur über sich selbst. Was aber Cinephile trennt, ist erstens der Drang einen eigenen Film zu drehen, zweitens anderen mitzuteilen, was man entdeckt hat oder drittens alles für sich zu behalten. Bislang gehörte Horwath zur zweiten Kategorie, jetzt auch zur ersten, beide haben sich hier miteinander verbunden. Zur dritten Kategorie gehört er wohl kaum, die Stillen, die teilnehmen, ohne etwas beizutragen, sondern nur aufnehmen. Nicht nur anstandshalber, sondern weil es erlaubt, das zu denken, was nicht sichtbar oder ausgesprochen wird. Dahinter verbirgt sich nicht unbedingt eine politische Auslassung, eher bedeutet es, dass ein Autor, sich nicht restlos allem bewusst werden kann, auch wenn seine Möglichkeiten noch so groß sind. Dahingehend zeigt gerade das Kino ein ambivalentes Verhältnis zur Politik – zwischen Politik und Cinephilie bildet das eine die Kehrseite des anderen. Einerseits versperrt sich die Cinephilie vehement vor ihrer politischen Vereinnahmung, andererseits begreift sie sich selbst als implizit politisch. So geht sie ihrem Selbstverständnis nach über das »Alltägliche« oder im schlechten Sinne »Zeitgeistige« hinaus, wenngleich sie nicht verstecken kann, dass sie ebendarin ihren Platz hat. Horwaths Film versucht aus dieser Beziehung auszusteigen, indem er die Politik der Cinephilie vorzieht, aber dafür cinephile Mittel zu Zwecken machen muss, was einige Implikationen mit sich bringt.
Wie Fonda jener geworden ist, als der er nun einmal erkannt wird, und warum man ihn schließlich zum Präsidenten machen will, durchmisst Horwath, beginnend mit der Auswanderung Fondas niederländischer Vorfahren im 17. Jahrhundert, bis über seinen Tod 1982 hinaus. Zur selben Zeit, als Horwath Fonda bei einem Familienurlaub in Paris auf der Leinwand kennenlernte. Immer wieder trifft der Film auf solche (konstruierten) Momente der Gleichzeitigkeit und leitet aus diesen eine sprunghafte Chronologie durch die Geschichte der Vereinigten Staaten und die historischen Verwicklungen der Familie Fonda in diese Geschichte ab. Zugleich nimmt Horwath Fondas Rollen als Beispiel, um darin die Historie zu spiegeln. Im Laufe des Films und des Lebens schiebt sich dann immer mehr das Private in den Vordergrund, um am Ende vom politischen Fonda überholt zu werden. Horwaths Schilderungen sind detailreich, allerdings weichen sie kaum von einem widerspruchslosen Fonda-Bild ab, sie erweitern und verstärken es, legen besonderen Wert darauf, zu verstehen, woher Fonda stammt. Der hohe Reflexionsanspruch in Henry Fonda for President zielt dabei, wie man auch dem Filmtitel entnehmen kann, vor allem auf die politischen Bedingungen in der Geschichte der Vereinigten Staaten, aber nicht unbedingt auf das Fonda-Phänomen des Kinos.
Was Horwath nicht beantworten kann, möglicherweise weil er sich die Frage danach nicht stellt, ist, warum ausgerechnet Fonda so erfolgreich und beliebt werden konnte und gerade niemand anderes, denn man kann wohl nicht behaupten, dass Fonda je ein konkretes Programm vertreten hätte. Gegenüber einer Vorstellung von Politik, die vom strategischen Wissen einzelner bestimmt wird, wäre es dafür notwendig, sich auch mit der Gesellschaft als Totalität zu beschäftigen. Die Mitgliedschaft an ihr wird nicht durch Freiwilligkeit hergestellt, sondern zwangsläufig, wodurch von Grund auf ein Widerspruch zwischen Individuum und Gesellschaft besteht. Das Gerede vom Spalten der Gesellschaft, täuscht darüber hinweg, dass man sich gar nicht aussuchen kann, in welcher man leben will. Vielmehr müssen die Mitglieder einer Gesellschaft ihr individuelles Begehren den Moralinstanzen weitestgehend unterordnen, solang es nicht ersetzt wird. In Form des Kinos im Allgemeinen oder in Form von Figuren wie Fonda im Speziellen, werden kollektive Sehnsüchte erfüllt und andere verdrängt. Die Hoffnungen und Ängste, die die Gesellschaft bestimmen, treten zwar aus der individuellen Psychologie hervor, die Horwaths Film an Fonda auch erkennt, aber nicht nur dort, sie tragen immer auch einen kollektiven Überschuss mit sich. Insofern ist Fonda nicht nur eine Identifikationsfigur, vielmehr handelt er stellvertretend für die Gesellschaft. Diese Ausprägung wird insbesondere im US-amerikanischen Wahlkampf (the race) deutlich, wenn man hört, der Bessere möge gewinnen und nicht das bessere Vorhaben.
Ob Fonda wirklich der Präsident der Namenlosen war, wie ihn Horwath mit reichlich Pathos nennt, oder ob es sich bei Fonda nicht um ein großes Missverständnis wie in Alfred Hitchcocks The Wrong Man handelt, indem man ihm das Bild des Helden einfach überstreift, lässt sich schwer beurteilen. Beide Vorstellungen meinen nämlich dasselbe, die Projektion eines definitiven, wenngleich diffusen Fonda-Bildes, was beispielsweise bei Horwaths Beobachtungen an Fondas Rolle in Preston Sturges The Lady Eve durchscheint. Fonda spielt dort einen linkischen Schlangennarr, der von einer fragwürdigen Frau (Barbara Stanwyck) nicht nur verführt, sondern geradezu eingewickelt wird. Horwath bemerkt hieran vor allem Fondas Unbeholfenheit gegenüber dem anderen Geschlecht, erhebt aber an der unglaubwürdigen Idiotie des Charles Pike keine Zweifel. Beim Sehen von Sturges Film, mit seinen scheppernden Slapstick-Eskapaden, plumpen Kartentricks und Gaslighting-Wirrnissen, bekommt man in Fondas Spiel eher den Eindruck, dass er sich sehr bemüht, die wirklichen Betrügereien zu ignorieren, um überhaupt an einem aufrechten Selbstbild festhalten zu können. Sturges‘ sexuelle (Wort-)Spiele erschüttern dieses Bild zu einer Zeit, in der man sich mit dem New Deal im Rücken in den Vereinigten Staaten auf den Kampf gegen den Faschismus rüstet. Nicht nur hier glaubt man Fonda verstehen zu müssen, bemerkt aber, wie kompliziert, die Abhängigkeit zwischen Figur, Persona und Gesellschaft ist. Wie kann man sich da in ihn einfühlen?
Dass Horwath in seiner dreistündigen Filmbiografie über den »Kerl von nebenan« (Patalas) Henry Fonda an zwei Stellen ebenfalls über Travis Bickle (Robert DeNiro in Martin Scorseses Taxi Driver) spricht, gewissermaßen als Antithese zum vertrauenswürdigen Hollywood-Star der Vierzigerjahre, klingt im ersten Moment folgerichtig. Es lässt sich aber erahnen, dass die Männer eigentlich mehr gemeinsam haben, als sie trennt. Wie Fonda ist Bickle (ebenso wie Horwath) einfach ein »Kerl von nebenan«. Welcher »Kerl« ist das nicht? Allerdings passt Bickle weniger recht in seine Zeit als Fonda, nach der Meinung des »Kerls von nebenan« wird nicht mehr gefragt, schon gar nicht in Hollywood. Im Kalten Krieg braucht man Männer von Format, mit Showcharakter, solche wie Ronald Reagan, Fondas erklärtem Feind, oder Charles Palantine in Taxi Driver. Travis Bickle befindet sich dabei am sogenannten Rand der Gesellschaft (angeblich nicht nebenan), wo sein Versuch das Begehren in der Gesellschaft zu befriedigen aber ebenso scheitert, wie in der Mitte bei Charles Pike in The Lady Eve. In beiden Fällen von »fragiler Männlichkeit« zu sprechen, wie es Horwath und anderen einfällt, hilft hierbei jedoch kaum, diese verdrängte oder tatsächlich gefühlte Unvereinbarkeit des Individuums mit der Gesellschaft begreiflich zu machen oder gar zu überwinden, stattdessen wird damit sowohl der Gewaltausbruch als auch die Anpassungsleistung als ein notwendiges Übel rationalisiert und innerhalb der Gesellschaft sinnstiftend affirmiert. Das ist der Ausdruck eines politischen Denkens, was konträr zur Cinephilie steht, die hinter beiden erkennen müsste, dass die beschworene Individualität eigentlich unrettbar verloren ist. Das Gefühl, mit so etwas nicht mehr einverstanden zu sein, kann man wahrscheinlich im Kino besonders empfinden, meistens sogar dann, wenn man es besonders liebt, weil gerade die Flucht ins Kino das Problem und seine Antwort beinhaltet. Man kann es weder ignorieren noch kontrollieren, doch man erkennt vielleicht, dass man diesem Unbehagen habhaft werden kann, denn alles andere wäre hilflos und reaktionär. Cinephilie bedeutet nicht nur, für sich zu sprechen, für andere zu sprechen oder gar nicht zu sprechen, sondern vor allem das zu verstehen, was man gesehen hat, einem besonders nah geht und sich offen für das zu zeigen, was man noch nicht versteht. Sicher möchte niemand so sein wie Travis Bickle, aber viele wie Henry Fonda.
Gewiss beansprucht Horwaths Film mit seiner assoziativen Struktur für sich ein offenes Werk zu sein, zugleich rahmt er sich selbst jedoch mit gesprochenen Zitaten von Hannah Arendt und Günther Anders, womit ein bestimmter existentialistischer Sound, aber kein Eigensinn angeschlagen wird. Vielmehr legt der Film ein Argument dar, darin besteht seine Textähnlichkeit. Auch nach einer zweiten Sichtung fällt auf, wie wenig Raum Horwath dem Schauspieler Fonda im Vergleich zum informellen Politiker Fonda widmet, bei den Beobachtungen an seinem Spiel handelt es sich allenfalls um Anekdoten, also um das Bild, das Fonda bei Horwath in der Vergangenheit hinterließ, beziehungsweise das Horwath auf Fonda projizierte. Insofern deckt der Film keine neuen Geheimnisse auf, sondern erinnert sich an alte. Trotzdem übt sich Henry Fonda for President nachdrücklich in der Vergegenwärtigung des Vergangenen, wenn er den Präsidentschaftswahlkampf und die gegenwärtigen politischen Verhältnisse in den Vereinigten Staaten andeutet. Der Film bleibt also in keiner Weise nostalgisch, obwohl man dem Film diesen Vorwurf mit Blick auf sein Thema machen könnte. Jede Assoziation folgt einer fast unverzweigten Linie, die nie in die Irre gerät: Beispielsweise, wenn im Film über den Mount Rushmore gesprochen wird, in den auch Fondas Kopf gemeißelt werden könnte, was sogleich zu den matriarchalen Strukturen der Iroquois als feministisches Ziel zurückführt. Als gäbe es nur zwei Pole, erscheint immer auf der einen Seite das Konservative und unmittelbar gegenüberliegend auf anderen das Progressive. Darin drückt sich unmissverständlich ein ehrenwertes, politisches Anliegen im Kampf um politische Teilhabe von Horwaths Film aus, das verträgt sich mit Arendt und Anders, und darüber hinaus mit den internalisierten Bedrohungen des Kalten Krieges, aber weniger mit Cinephile, die mit solchen Kontrasten wenig anfangen kann.
Obschon Nostalgie ins Leere zu fallen droht, führt sie nicht selten auch an einen Ort, wo verdrängte Erinnerungen und Empfindungen aufbewahrt werden. Von diesen spricht Horwath nur zu Beginn, sie stoßen das Thema an, um sodann in einen gleichschwebenden Erzählfluss, nahezu urteilslos, mit beruhigend-pädagogischer Stimme überzugehen. Es gelingt, dass man ihm gern dabei zuhört, auch, weil man weiß, dass Horwath selbst spricht, über einen Menschen, der ihn sein Leben lang begleitete. Horwaths eigene Biografie tritt immer mehr in den Hintergrund, während sich aber seine Stimme zunehmend artifiziell im Film über die Geschichte erhebt. Man trifft damit auf ein Problem, an dem viele Biografien kranken, wenn sie sich umgeben von der Fülle des Materials nicht mehr als ein Teil der Gesellschaft wahrnehmen, oder schlagartig diese wieder versuchen einzuholen. Abstrakt besteht stets eine Verbindung, ob im Politischen oder Privaten, doch worin die Erkenntnis einer Biografie besteht, bleibt meist im Dunkeln. Es dürfte dabei auffallen, von welcher hohen Bedeutung Biografien für den Buchmarkt sind, wie viele Ladenregale sie füllen, um von dort in zahlreiche andere, neue Regale zu wandern, wo sie dann immer mehr Staub ansammeln. Der Staub erzählt nicht von Interesselosigkeit, sondern von mangelndem Gegenwartsbewusstsein, sowohl auf der Seite der Biografen als auch des Publikums. Siegfried Kracauer schreibt:
»Das Motiv der Flucht, dem die Unzahl der Biographien ihre Entstehung schuldet, wird von dem der Rettung überblendet. Wenn es eine Bestätigung für das Ende des Individualismus gibt, ist sie in dem Museum der großen Individuen zu erblicken, das die Literatur der Gegenwart hochführt.« (Kracauer, Die Biographie als neubürgerliche Kunstform)
Es verwundert kaum, dass die Vorliebe für biographische Erzählungen auch vor dem Kino nicht Halt macht, wenn man die Filme der Programmkinos in den letzten Jahren beobachtet, was Horwaths geäußerte Verwunderung bei der Wiener Premiere auf der Viennale, über den Kinostart seines Films, zugegebenermaßen etwas eitel erscheinen lässt. Die Epik seiner Erzählweise ist selbstredend eigen und fordernd, aber die Sehlust des Publikums am Leben anderer Menschen sowie ihrer Intimitäten wird damit allemal, geradezu konventionell gestillt, sogar in Überlänge. Die Kurzversion gibt es auf ARTE, dort mit der Stimme von Hanns Zischler. Im Unterschied zu anderen Filmemachern, die sich filmhistorisch inszenierten, wie Jean-Luc Godard (Histoire du Cinéma) oder neuerdings Leos Carax (C’est pas moi), musste Horwath nicht erst Filmemacher werden, um das Kino historisch zu durchdringen. Darin liegt die Freiheit seines Films, aber auch eine gewisse Umstandslosigkeit. Fraglos zeichnet Horwaths Film ihn als einen Filmemacher aus; einer, der weder unerfahren und zornig noch altersweise und milde ist.
Wie Enno Patalas einmal zu D. W. Griffiths 75. Geburtstag schrieb, zeigt sich in seinen Filmen, dass das alte Amerika bereits tot ist. Sich mit Griffiths Filmen zu beschäftigen, muss diese Einsicht, wenn auch unausgesprochen, akzeptieren. Würde man glauben, diese Filme könnten noch von etwas Existierendem erzählen, käme man nie auf den Gedanken, sie so zu bewundern. Ähnlich verhält es sich auch bei Henry Fonda for President: Manche würden sagen, dass Fondas Kino seit 1982 tot ist, aber die politische Lesart von Fondas Filmbiografie verbürgt hier den Zweck, Fonda noch am Leben zu halten. Damit wäre in erster Linie die Frage danach zu stellen, was der Film über die wirklichen Verhältnisse in der US-amerikanischen Gesellschaft gegenwärtig verrät. Hier verbleibt der Film allerdings eher bei Andeutungen und weicht dann doch lieber auf ein Moment des Erinnerns in der Geschichte des Films aus, anstatt daran etwas zu zeigen und abzuleiten. So werden Cinephilie und Politik zum Statthalter des jeweils anderen und in dieser vorgeblichen Harmonie verschwimmen ihre Grenzen. Dabei ließe sich vergessen, dass die Flucht ins Kino und das, was dort zu sehen ist unter mehr oder weniger konkreten, zumindest jedoch verstehbaren Gründen passiert, aber man eben nicht nur ins Kino geht, weil es ein politisches Bedürfnis ist.