Da der gemeine Regalbesitzer trotz großen Bemühens der DVD-Industrie nie auf die Idee kam, analoge oder digitale Filmkopien in ähnlicher Manier wie Bücher oder Schallplatten, als Ausdruck von Status- oder Identitätsnöten in seinem Wohnraum aufzustellen, mögen die nun folgenden Anweisungen etwas verfehlt wirken, schließlich gehen wir doch davon aus, dass die Leute, die sich mit Filmen brüsten, diese auch gesehen haben. Wozu denn sonst das alles? Ja? Ja!
Also gut und trotzdem, man weiß ja nie: Sollte man in die peinliche oder zumindest unangenehme Lage kommen, in einer sich nicht sogleich wieder auflösenden Menschengruppe zu stehen, in der begeistert oder mit uneindeutiger Emphase oder abfällig über diesen oder jenen Film gesprochen wird, von dem man, in einem Moment eitler Unachtsamkeit oder stolzen Selbstbetrugs behauptete, ihn ebenfalls gesehen zu haben, so helfen einige kleine Kniffe, die wir hier für umme anbieten wollen, so sind wir eben, humble servants of the greater good und so weiter. Der einzige Lohn dieses Gekritzels ist, ja ist, eine gepflegte Konversation mit Unwissenden über Filme, die niemand gesehen hat. Ist das zu viel verlangt?
a: Die Erinnerung ist ein Chamäleon. Sie ändert die Farbe, durch das, was gesagt wird (nicht durch das, was erinnert wird). Das heißt: Nutzen Sie die löchrige Erinnerung der anderen, sagen Sie irgendwas zum Film, man wird ihnen entweder verzeihen und es auf Ihre schlechte Erinnerung schieben oder man wird glauben, dass man sich selbst falsch erinnert oder man hat den Film ohnehin auch nicht gesehen. In letzterem Fall ist das eifrige Beipflichten garantiert.
b: Seien Sie beruhigt: Selbst wenn Menschen einen Film gesehen haben, haben die wenigsten ihn wirklich gesehen. Das ist belegt. Das heißt, Sie können eigentlich ständig sagen, was Sie wollen, niemand merkt es und selbst wenn es wer bemerkt: Niemand interessiert wirklich, was andere von einem Film denken, man nutzt den sogenannten Dialog nur, um eigene Ansichten und Gedanken in Worte zu kleiden.
c: Einige Phrasen mähen Ihnen jeden Rasen. Sie alle haben mit ihrem persönlichen Empfinden zu tun, das sind die sogenannten Totschlagbemerkungen à la Ich fand das sehr schön oder Mich interessiert das einfach nicht. Glauben Sie nicht, dass solche Banalitäten unangebracht wären, ich versichere Ihnen, dass mit Hilfe dieses Nichts-Sagens die großen Entscheidungen diskutiert werden, die darüber befinden, ob ein Film nun produziert und gezeigt wird oder eben nicht. Wenn Sie lernen zu sprechen, egal was, können Sie sehr weit kommen in der Filmkultur.
d: Es gibt kein Niveau, wenn man Filme diskutiert. Ganz im Gegenteil: Niveau wird als elitär geächtet. Sie haben es leicht, wenn Sie über Filme sprechen wollen, die Sie nicht gesehen haben, denn nichts liebt man mehr, als diejenigen, die weniger schlau sind als die Werke.
e: Nutzen Sie die Kraft jener Adjektive, die alles oder nichts bedeuten können: präzise, genau, überraschend, handwerklich, poetisch, zärtlich, aktuell, zeitlos und so weiter. Memorieren Sie ein Arsenal affirmativer, bestenfalls unüblicher Adjektive wie entzückend, fulminant oder bahnbrechend.
f: Lesen Sie sich ein in Diskurse und dann Diskursieren, Diskursieren, Diskursieren! Kommen Sie gar nicht auf die Idee, über den Film zu sprechen, was Sie ja ohnehin nicht könnten, da Sie ihn nicht gesehen haben. Nein, setzen Sie den Film ins Verhältnis zu Diskursen. Politischen Diskursen, gesellschaftlichen Diskursen und so weiter. Sagen Sie Dinge wie: Der Film ist ein Kommentar auf unsere aktuelle Unfähigkeit, miteinander zu reden.
g: Erwähnen sie beiläufig den Rhythmus. Das beweist ihr musisches Verständnis für die Kraft des Kinematographischen und lässt Sie gegenüber Ihren ziemlich sicher auf diesem Gebiet kaum veranlagten Gesprächspartnern überlegen erscheinen. In fact ist es doch so: Wenn wer vom Rhythmus eines Films spricht, muss davon ausgegangen werden, dass er, wie Sie, blufft.
h: Drücken Sie Abneigung nie in Worten aus. Stattdessen sei empfohlen vielsagende, augenrollende, uneindeutige Blicke zu werfen, vielleicht laut ein- und auszuatmen. Das weist Sie als großen Kenner aus, der längst über die besprochenen Makel hinweg ist, der tief in sich ein unendlich verzweigtes Labyrinth möglicher Argumente abrufen könnte, es aber nicht tut, da er jeden Ausgang bereits vorausahnt.
i: Recherchieren Sie unauffällig frühere Filme der besprochenen Regisseure. Sie müssen diese selbstredend auch nicht gesehen haben. Sagen Sie einfach an der passenden Stelle: Das war in Film xy der entsprechenden Person deutlich stärker angelegt.
j: Schmunzeln Sie, wenn jemand sich für einen Film einsetzt. Geben Sie allen zu verstehen: Been there, done that.
k: Machen Sie unbedingt Gebrauch vom Wort funktionieren. Wie in der Automobil- oder Staubsaugerindustrie ist es beim Film von größter Bedeutung, dass das Projekt funktioniert. Üben Sie vor dem Spiegel Sätze wie: Für mich funktioniert das nicht. Irgendwie funktioniert es dann doch. Und so weiter.
(im Österreichischen, das manche hier bevorzugen, geht es sich eben aus oder nicht, was anderswo funktioniert)
l: Betonen Sie ein Detail, das niemand sonst aufgefallen ist. Da es niemand sonst aufgefallen ist, müssen Sie den Film dafür nicht gesehen haben. Das kann eine kotende Taube in der Bildecke sein oder ein Schriftzug auf einem LKW. Noch besser: Stellen Sie den anderen dazu eine Frage à la: Was bedeutet die Abkürzung G.R.F.?
m: Wenn sich das Gespräch um bestimmte Tätigkeiten oder geographische Spitzfindigkeiten dreht, unterlassen Sie unter keinen Umständen zu betonen, dass sie das alles bereits selbst erlebt, bereist und gemacht haben. Betonen Sie unbedingt, dass Ihre Erfahrungen mit dem im Film Gezeigten ganz anders waren.
n: Dasselbe gilt natürlich für Buchvorlagen oder ältere Filme gleichen Inhalts. Verwenden Sie hierbei unbedingt das nützliche Wort kürzlich. Kürzlich haben Sie also nochmal einen Blick ins Buch geworfen, erst kürzlich haben Sie sich das Original angesehen.
o: Unterschätzen Sie nicht die Kraft der Denkpause. Sagen Sie auch: Ich muss darüber noch etwas nachdenken. Das lässt Sie sophisticated erscheinen und gibt ihren leeren Worten eine angenehme Schwere.
p: Greifen Sie an einer ausgewählten Stelle einen der genannten Namen aus politischen Gründen an. Diese oder jener sei ein Faschist, ein Idiot oder ähnliches. Machen Sie sich keine Sorgen, die Falschen treffen zu können. Sollten Sie etwa einen linkspolitischen Humanisten als zynischen Menschenhasser bezeichnen, gibt das Ihrem Argument nur einen interessanten Drall.
q: Erwähnen Sie unbedingt eine Veränderung, die Sie während des Sehens des Films durchlaufen haben. Hat Ihnen der Film am Ende nicht mehr so gefallen wie am Anfang? Haben Sie schwer reingefunden, waren aber dann begeistert? Sie haben die freie Wahl.
r: Nutzen Sie die Kraft absoluter Verben wie lieben oder hassen. Je glaubhafter ihre Gefühle desto weniger wichtig, was und ob sie gesehen haben.
s: Vermeiden Sie unbedingt, den anderen zuzuhören. Nur wer den Film nicht gesehen hat, muss zuhören, alle anderen, sind mit den eigenen Erfahrungen beschäftigt. Um dennoch antworten zu können, greifen sie einzelne Stichworte aus dem Zusammenhang und verflechten diese mit ihren Argumenten.
t: Verwechseln sie die Namen von Schauspielern. Ständige Korrektheit wäre verdächtig. Schauspieler sind im Filmdiskurs austauschbar, unerheblich. Sie nicht zu kennen, gehört zum guten Ton.
u: Bemerken Sie, dass eine Ihrer Ausführungen nicht auf Zustimmung stößt, bringen Sie die Moral ins Spiel. Die Ethik (betonen Sie, dass Ethik ein besseres Wort ist) ist ein mächtiges Schwert, das jenen, die aus persönlichem Empfinden heraus argumentieren, ein schlechtes Gewissen bereitet, vor allem in Fragen des Humors.
v: Halten Sie einen unverständlichen Satz in der Hinterhand, der Ihnen jene Aura verleiht, die sie gerne haben würden. Sagen Sie beispielsweise unvermittelt: Die Kamera bedient sich eines philanthropischen Gebarens, gerade immer dann, wenn sie sich vom Geschehen abwendet.
w: Sollten Sie einen der Gesprächspartner an einem der Folgetage wieder treffen, sagen Sie unbedingt, dass sie nochmal nachgedacht haben und ihre Meinung revidieren müssen. Das verleiht Ihnen eine Ernsthaftigkeit, die höher geschätzt wird als Rückgrat.
x: Zitieren Sie Jean-Luc Godard. Sie müssen ihn nicht wirklich zitieren. Sagen Sie einfach einen Satz und sagen Sie dann, dass Godard diesen gesagt hat. Niemand wird Sie hinterfragen.
y: Bringt jemand ein besonders überzeugendes Argument vor, widersprechen Sie, in dem Sie behaupten, dass diese Fragen schon lange niemand mehr interessieren. So bringen Sie das Gespräch wieder in den Bereich des Vagen, der für Ihren Erfolg entscheidend ist.
z: Wiederholen Sie ihre Argumente mit nur leicht variierenden Worten. So stellen Sie sicher, dass ihre Punkte zählen, egal ob sie haltlos sind oder nicht. Seien Sie versichert, dass viele Ihrer Punkte nicht haltlos sind, selbst wenn Sie den Film nicht gesehen haben. Der Wert einer Aussage liegt nicht im Film sondern im Verhältnis von Film und Gedanken, dieses ist willkürlich, endlos und lächerlich.