Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Tsai Ming-liang Retro: Goodbye, Dragon Inn

Am Anfang des Films steht eine Sequenz nicht unähn­lich jener von Leos Car­ax in “Holy Motors”. Durch einen Vor­hang späht jemand in den Kino­saal, in dem King Hus „Dra­gon Inn“ zu sehen ist. Eini­ge weni­ge sche­men­haf­te Gestal­ten geis­tern durch das fast lee­re Kino. Da sind eine hin­ken­de Ticketab­rei­ße­rin auf der Suche nach dem Pro­jek­tio­nis­ten, ein älte­rer Herr mit einem klei­nen Jun­gen, eine auf­ge­ta­kel­te jun­ge Frau, ein stei­fer Herr und ein ver­irr­ter Japa­ner, der auf der Suche nach einem homo­se­xu­el­len Kick zwi­schen Toi­let­te und Kino­saal pen­delt. Die Gestal­ten sind größ­ten­teils stumm, denn das Kino spricht. Der Sound­track des Films sorgt für die Stim­mung des Films. Etwas scheint über­ge­blie­ben zu sein, aus die­ser längst ver­ges­se­nen Zeit des Kinos. Tsai Ming-liang erzählt in „Good­bye, Dra­gon Inn“, den man fast als Spin-Off von „What time is it the­re?“ bezeich­nen könn­te, von einem wei­te­ren Geist: Dies­mal ist es nicht sein Vater, son­dern das Kino (sei­nes Vaters). Anders als Car­ax ver­lässt Tsai Ming-liang das Kino mit sei­nen Bil­dern nicht. Ein­zig der Regen dringt von außen in die abge­schlos­se­ne Welt der toten Bil­der auf der Leinwand.

Goodbye Dragon Inn

In einer der schöns­ten Ein­stel­lun­gen der Deka­de führt Tsai Ming-liang den melan­cho­li­schen Film­vor­füh­rer, der von sei­nem Lee Kang-sheng (in Tony Leung-Mood) ver­kör­pert wird ein. Eine Ein­stel­lung irgend­wo zwi­schen Jean Coc­teau und Charles Laugh­ton zeigt ihn in einem Gang links oben auf der Lein­wand, wäh­rend in der Mit­te des Bil­des schwe­ben­de Fet­zen von der Decke hän­gen wie die nicht-greif­ba­ren Geis­ter einer ver­gan­ge­nen Zeit. Spä­ter wird der Vor­füh­rer dem Japa­ner sagen, dass es Geis­ter gibt im Kino: „This thea­ter is haun­ted.“ Und man beginnt sich zu fra­gen, ob es sich dabei um die Mit­ar­bei­ter, die Besu­cher oder alles zusam­men hält. Es ist span­nend, dass der Regis­seur aus­ge­rech­net die heu­te aus­ster­ben­de Gat­tung des Film­vor­füh­rers mit die­ser Kon­no­ta­ti­on belegt. Er ist es doch, der die Bil­der wirk­lich berüh­ren kann. Ein Fluch liegt auf dem Kino, ein Fluch, der dem Kino nichts von sei­ner Schön­heit nimmt. Die Bil­der drin­gen durch ein Git­ter und beleuch­ten das Gesicht der Ticket­ver­käu­fe­rin Chen Shiang-chyi. Wir alle waren schon in „Good­bye, Dra­gon Inn“, in fast lee­ren Kino­sä­len allei­ne mit unse­rer Erin­ne­rung und Wün­schen. In die­sem Film bezieht sich die Sehn­sucht auf das Sehen selbst.

Eine ähn­lich absurd-unheim­li­che Stim­mung wähl­te auch Lisan­dro Alon­so in sei­nem „Fan­tas­ma“. Dort lässt er sei­nen Haupt­dar­stel­ler Argen­ti­no Var­gas in eine merk­wür­di­ge Pre­miè­re ihres gemein­sa­men Films „Los Muer­tos“ gehen. Bei Alon­so sind es sei­ne eige­nen Bil­der, die wür­de­voll und doch ver­lo­ren über die Lein­wand eines unheim­li­chen Kinos lau­fen, woge­gen Tsai Ming-liang die his­to­ri­schen Bil­der des asia­ti­schen Kinos ver­wen­det. Bei Alon­so dop­pelt sich der Blick des Zuschau­en­den, als er sich-nicht wesent­lich jün­ger-auf der Lein­wand erkennt (Hier mein Essay zum The­ma des Spie­gels auf der Lein­wand), bei Tsai Ming-liang schei­nen die­se Bil­der schon fast ein Eigen­le­ben zu füh­ren. Miao Tien und Shih Chun aller­dings sit­zen im Kino. Sie spiel­ten auch in „Dra­gon Inn“. Sie sehen anders aus und betrach­ten ihre eige­ne Ver­gan­gen­heit vor sich. In die­sem Moment wird die Zeit sich ihrer selbst bewusst und die Sterb­lich­keit des Kinos/​der Erin­ne­rung wird klar. Wenn sich nie­mand dafür inter­es­siert, gibt es auch kei­ne Bil­der. Sind die­se bei­den Män­ner die Geis­ter des Kinos? Vor kur­zem habe ich eini­ge Fotos des Life-Maga­zins von Can­nes Fest­spie­len der 60er Jah­re gese­hen. Auf einem war eine Schau­spie­le­rin zu sehen, die offen­bar sehr beliebt war. Zig Foto­gra­fen ver­sam­mel­ten sich auf­ge­regt um sie und lechz­ten nach ihren Posen am Strand. Doch unter dem Foto stand, dass der Name der Schau­spie­le­rin ver­lo­re­nen gegan­gen sei. Nur im Gedächt­nis des Bil­des kann ihr Ruhm und ihre Bedeu­tung gespei­chert wer­den, nicht aber in Kul­tur und Gesell­schaft. „Good­bye, Dra­gon Inn“ erzählt von der ver­lo­re­nen Zeit des Kinos, nicht des Films. Am Ende wird die­ses geschlos­sen, the last pic­tu­re show, eine Ein­sam­keit im Regen, die­ses Kino ist ein Mensch wie jeder ande­re in der Groß­stadt von Tsai Ming-liang: Ver­lo­ren, ein­sam, ent­frem­det und in sei­ner absur­den Exis­tenz bedroht.