Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Underdox Tag 3: Werkstattkino

Mein erster Ausflug ins Werkstattkino, im Regen. Blutige Underdox-Plakate tropfen vom Eingang, der geheimnisvoll, verlockend in den Keller führt. Einige Gestalten lungern rauchend dort unten an den Treppen, Fahrräder im Hof wirken so, als wären sie immer dort gewesen. Es ist gemaltes Bild, das trotzdem gefährlich wirkt. Ich habe das Gefühl, dass ich durch einige dicke Vorhänge gehen muss, um ins Kino zu kommen, aber das ist eine Täuschung. Diese Vorhänge sind in der Luft, sie sind die Schwelle in eine andere Welt. Schon den Hof erreicht man durch eine große Tür von der Frauenhoferstraße, die in alles führen könnte. Sie führt in einen Hof im Regen, man sieht ein Schild, einen Eingang in den Keller. Es wirkt handgemacht. Jemand raucht, sieht mich an, ich habe ihn am Vortag gesehen. Wir sprechen nicht. Da sitzt auch jemand und liest im Regen. Ich hatte ihn zuerst nicht gesehen. Er schaut mich nicht an. Und zwei Frauen unterhalten sich durch ein Fenster. Sie scheinen an diesem Fenster zu leben, nur dort. Es ist diese Art von Dialog, die man nicht hören kann in der Erinnerung. Sie sind wie eine Kulisse, gefrorene Frauen aus Duras, Statuen. Ich gehe also in den Keller, die Stufen hinab, schaue die Plakate an. Sie ergeben ein Muster, ich erkenne nicht welches. Dort sitzen junge Fassbinder-Männer mit Lederjacken, sie rauchen an der Treppe, dort kann man auch sitzen. Vor und doch schon im Kino. Sie werden ihre Jacken im Kino nicht ausziehen. Die Jacken reflektieren rot, weil die Wände rot sind. Ich gehe durch die Vorhänge und lande im Vorraum. Man zögert dort, weil es so direkt ist. Vor mir die Kasse und neben ihr das Kino. Das ist es, man sieht, für was man bezahlt, ein Mann sitzt dort wie neben einer Attraktion im Prater. Du kannst ihn bezahlen und ihn dann passieren, es ist eine Pforte. Hier ist das Kino, hier ist der Eingang. Du kannst es dir noch überlegen, es sieht gefährlich aus, die Männer draußen rauchen, die Wände sind rot. Ich gehe noch mal hinaus in den kalten Regen. Nicht, weil ich nicht hinein will, sondern weil ich noch Zeit habe. Zeit für diese Treppen, diese Poster. Es ist ein Kino, denke ich mir und frage mich, warum man immer dieses Gefühl von „Kino“ hat, wenn es ein Gefühl des Untergrunds gibt, etwas Verbotenes, Freies. Ich gehe auch gerne in institutionelle Kinos, in große Kinos. Aber die wirklichen Schätze, das wirklich Verborgene, das meine ich immer dort finden zu können. Es ist nur ein Eindruck, keine Statistik.

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@ Heimat-Film

Es fühlt sich besonders an, dort zu sein. Wenn einen ab einem gewissen Alter die Größe der Leinwand kühl lässt, sind es diese Augenblicke, die zeigen, dass Kino weniger mit Festlichkeit zu tun hat, als mit Verdorbenheit. Mit dieser Vorstellung davon, dass man etwas mit anderen alleine entdeckt. Hier ist noch nichts entdeckt worden, hier wird noch entdeckt. Das Werkstattkino also, eine Widerstandsbewegung nahe an der Isar, dieser Fluss, der schon so viele Filme hat ertrinken sehen. Die Männer dort sehen sich an. Ich stelle mir vor wie sie auf Motorrädern angekommen sind, aus dem München einer anderen Zeit. Sie leben immer in der Nacht. Ich stelle mir vor, dass die Hände des Projektionisten voll mit roter Farbe sind, er hat gestrichen. Er berührt den Film, der dreckiger flimmert und echter. Ich stelle mir das nur vor, denn gezeigt wird ein digitaler Film. Die Toilette ist nicht mehr als drei Meter von den Kinositzen entfernt. Eine dünne Tür trennt sie vom Kino. Wenn es auf der Leinwand tropft, könnte es auch täuschen. Ich gehe wieder hinein. Einige Gestalten sitzen dort stumm. Man sieht nur ihre Augen in schwarzen Gesichtern. Sie sitzen dort und aus ihren Augenecken sehe ich diese cinephile Neugier, diese nach Zugehörigkeit suchende Sehnsucht. Der Kinosaal ist wie die schwarze Seele, die nach der roten Zunge dieser Treppen und des Vorraums kommt. Eine schwarze Seele, die nur vom Weiß der Leinwand erleuchtet wird. Man verfällt in diese Beschreibungen, wenn man in einem Kino ist. Es gibt Kinos, in denen spürt man die Geschichte durch eine Art Aura, die von Erhabenheit und Größe erzählt. Wenn ein Kino nach Debussy benannt ist, dann wird man das fühlen, die Größe des Theaters auch, die Menschen, die dort waren. Im Werkstattkino mit den Fassbinder-Jungs ist das nicht so, dort ist die Geschichte etwas anderes. Sie ist eine Sache der Zuseher, ihrer Spuren, ihrer Bewegungen, ihrer Geräusche, ihres Geruchs. Eine Werkstatt eben.  Ein Ort, an dem Menschen gearbeitet, gelitten und gelacht haben, an dem sie frei waren und mit einem Gegenstand, den man Kino genannt hat. Nicht dass, was auf der Leinwand passiert, ist in einem solchen Kino entscheidend, sondern dass es passiert. Da ist dann wirklich ein schwarzer Vorhang, er trennt bei Beginn der Vorführung den Vorraum vom Kino. Man wird allein gelassen, die Fahrt beginnt. Ab und zu huscht ein Lichtstück durch die offene Stelle am Vorhang und man wird durch dieses Licht erinnert, dass es eine andere Welt gegeben hat, draußen im Hof mit den beiden starren Frauen, den Fahrrädern, dem Regen. Die Menschen sitzen so, dass sie sich nicht behindern, denn die Blickfreiheit ist nicht automatisch gegeben. Es ist sicher kein perfekter Ort für das Kino, es ist die Energie, die man spürt, um es trotzdem zu machen, die einen so berühren kann. Diese Augen sind dort zusammen, weil der Ort es erlaubt. Es gibt Orte, an denen wird das Kino verkauft, an diesem Ort wird Kino gemacht oder auch: Man lässt das Kino machen.