Viennale 2017: Licht von Barbara Albert

Die Geschichte des Kinos hängt eng mit der Geschichte des Lichts zusammen. Licht wird durch einen optischen Linsenapparat eingefangen und von einem photochemischen oder digitalen Aufzeichnungsapparat empfangen. Bei der Vorführung wird das Aufgezeichnete durch den Einsatz von künstlichem Licht wieder zum Leben erweckt. Die Kamera kann als eine idealisierte Version eines automatisierten Auges beschrieben werden, eines Auges, das in der Lage ist Seheindrücke auf einer künstlichen Netzhaut festzuhalten, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wiederzugeben. Die Filmtheorie, Filmgeschichtsschreibung, Filmkritik sind voll von Metaphern zum Sehen und zum Auge.

Die Geschichte der Neuzeit, also jener Zeit, in der die Naturwissenschaften die geistige und moralische Führung des Menschengeschlechts übernommen haben, ist eine Geschichte der Ratio, eine Chronik der Verdrängung des Unerklärlichen durch die wissenschaftliche Evidenz. Diese Stigmatisierung des Unerklärlichen macht es zur verbotenen Frucht, daher auch die Anziehungskraft des Magischen, Mythischen. Was sich der Erklärung widersetzt, was als Überschuss von der Wissenschaft ausgestoßen wird, wird gerade deshalb für die Kunst interessant. Wenn die wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht fruchtet, kann die künstlerische Auseinandersetzung neue Erkenntnisse bringen, die jenseits der Ratio liegen.

Gibt es eines, das ich an Barbara Alberts Licht kritisieren müsste, dann wären es die Momente, in denen die Kamera die Perspektive der Protagonistin Maria Theresia Paradis einnimmt. „Resi“, wie sie von Freunden und Familie genannt wird, ist im Alter von drei Jahren schlagartig erblindet. Trotz jahrelanger Behandlung hat nie ein Arzt eine Erklärung für die Blindheit gefunden. Dafür hat Resi in Kindheitsjahren ein ausgesprochenes musikalisches Geschick am Klavier entwickelt für das sie in höfischen Kreisen bekannt ist. Resis Eltern sind dennoch unzufrieden mit der Entwicklung ihrer Tochter, die kaum den Idealen des österreichischen Adels gerecht wird. In einem letzten Versuch ihre Tochter zu heilen, schicken sie Resi zur Kur bei Franz Anton Mesmer. Mesmer verfolgt eine experimentelle Methode bei der er versucht mithilfe des natürlichen Magnetfelds Heilung herbeizuführen. Mesmer nennt die mysteriöse Energie mit der er arbeitet „Fluidum“, seine Behandlung wirkt wie eine Mischung aus Handauflegen und Chigong. In anderen Kontexten, würde Mesmer wohl als Scharlatan dargestellt werden, Resi springt jedoch auf seine Therapie an und beginnt langsam ihre Sehkraft zurückzugewinnen. Wo vorher nur Dunkelheit herrschte, beginnt Resi nun Farben, Formen und Silhouetten zu erkennen. Statt diese Eindrücke, wie auch die davor gewesene Dunkelheit indirekt – über das Verhalten Resis – zu beschreiben, wählt Albert an einigen Stellen POV-Einstellungen, in denen verwaschene, undeutliche, geisterhafte Eindrücke von Natur und Menschen zu sehen sind; der Versuch einer unmöglichen Aufzeichnung eines Sehens auf die Welt, das erst Sehen lernen muss.

Der Wahnsinn übt eine anhaltende Faszination auf Kunstschaffende aus. Es ist gerade sein Ausbrechen aus dem naturwissenschaftlichen Erklärungsmuster, das ihn zum Gegenstand ihres Interesses macht. Es wird versucht den Wahnsinn auszuschließen – Michel Foucault beschreibt das in Wahnsinn und Gesellschaft –, ihn zu brandmarken, als etwas Unnatürliches. Der Wahnsinn wird zusammengeführt an Orten, wie dem Schloss von Franz Anton Mesmer, wird „Spezialisten“ wie Mesmer übergeben, die jenseits der gebräuchlichen wissenschaftlichen Methoden arbeiten. Scharlatane, Quacksalber, Hochstapler werden sie genannt, doch was tun, wenn sie Erfolg haben? Die Kredibilität der gesamten Wissenschaft steht auf dem Spiel, wenn der Ausschuss des wissenschaftlichen Systems durch eine alternative Methode in die Gesellschaft rückgeführt werden kann. Das Asylum, der Ort der Zuflucht vor der Welt, hat kein Ort der Heilung zu sein.

Abgesehen von den Aufnahmen aus der Ich-Perspektive, die völlig unnötig Resis Blindheit entzaubern, ist Licht ein äußerst präziser und dichter Film. Das beginnt bei den Kostümen und Sets, deren Exaltiertheit auf historischen Begebenheiten beruht, die aus der Sicht des heutigen Publikums aber absurd und surrealistisch wirkt. Ähnliches gilt für die Sprache: der Adel spricht kodifiziert und wertet seinen Wortschatz durch französische Modewörter auf, das Gesinde spricht derber aber dafür effizient (man könnte über den Film auch als einen Film des Klassenkonflikts schreiben). Hinzu kommt das Spiel, getragen von Maria Dragus als Resi, deren vorsichtige, tastende Bewegungen nach und nach einer bestimmteren Form der Fortbewegung und Interaktion mit der Welt weichen. Rund um sie die höfische Gesellschaft mit ihrem hierarchisierenden Spiel von Ehre und Stellung. Aus diesen Bausteinen setzt Albert ein dichtes Mosaik an Eindrücken zusammen, das die doppelt eingeschränkte Lebenswelt von Resi meisterhaft abbildet: eingeschränkt durch das Fehlen des Gesichtssinns, aber auch durch die strenge Etikette der Gesellschaft. Als Resi die Gesellschaft verlässt und sich an einen Ort – Mesmers Schloss – begibt, der sich jenseits der Logik der Gesellschaft befindet, beginnt sich auch die andere Einschränkung zu lösen.

Licht ist ein Film über das Sehen (und somit über das Kino) und ein Film über die Ausschlussmechanismen der Gesellschaft. Es ist dabei unerheblich, dass der Film im 18. Jahrhundert spielt, abgesehen davon, dass die Eigenheiten sozialen Umgangs dieser Zeit uns aus heutiger Sicht auffälliger erscheinen. Das Grundverhältnis von Gesellschaft und dem gesellschaftlich Geächteten hat sich nicht gewandelt, ebenso wenig, wie das Verhältnis des Sehens zum Licht.

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