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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Roi Soleil von Albert Serra

Viennale 2018: Roi Soleil von Albert Serra

Als Albert Ser­ra vor dem Scree­ning von Roi Sol­eil den Kino­saal betritt, beginnt er sogleich in sich über­schla­gen­dem Eng­lisch und auf sei­ne typisch exzen­tri­sche Wei­se von und über sei­nen Film zu erzäh­len. Sei­ne kur­ze Ein­füh­rung endet in einer Poin­te, die erwar­tungs­ge­mäß gut beim Publi­kum ankommt: Nach sei­nem letz­ten Film La Mort de Lou­is XIV hat­ten ihn Bekann­te dar­auf ange­spro­chen. Der Film sei ihnen zu kon­ven­tio­nell gewe­sen. Nun habe er eben noch eine Ver­si­on der Geschich­te gemacht, die vor sol­cher Kri­tik gefeit ist.

Ser­ra hat nicht zu viel ver­spro­chen, so viel vor­weg. Wäh­rend in sei­nem letz­ten Film Jean-Pierre Léaud lang­sam dahin­siecht, umge­ben von sei­nem Hof­staat, präch­tig kos­tü­miert und von opu­len­ten Requi­si­ten umge­ben, geht Ser­ra in Roi Sol­eil den gegen­tei­li­gen Weg. Statt des aus­ge­zehr­ten Léauds mimt nun Lluís Ser­rat den Son­nen­kö­nig. Wäh­rend Léauds Kör­per eini­ger­ma­ßen ver­braucht wirkt, weist Ser­rats Leib eine Kör­per­fül­le und Jugend­lich­keit auf, die man einem kran­ken, ster­ben­den Men­schen nicht zutrau­en wür­de. Das schmä­lert die Effek­ti­vi­tät des Films aber in keins­ter Wei­se: Wo La Mort de Lou­is XIV letzt­end­lich doch eine gewis­se Form von Natu­ra­lis­mus zum Ziel hat­te, ist Roi Sol­eil rein auf die Per­for­mance reduziert.

Stöh­nend und äch­zend schleppt, rollt und schleift sich Ser­rats Lud­wig über den Boden einer Lis­sa­boner Gale­rie. An vier Aben­den hat Ser­ra hier 2017 die letz­ten Stun­den im Leben des legen­dä­ren fran­zö­si­schen Königs insze­niert. Und auch mit­ge­filmt. Denn, so Ser­ra, viel­leicht deckt die Kame­ra ja Din­ge auf, die für das anwe­sen­de Publi­kum nicht zu erken­nen waren. Ser­ra hat auf jeden Fall mehr gemacht als ein­fach nur die Kame­ra mit­lau­fen zu las­sen. Sieht man den Film, erkennt man deut­lich ein fil­mi­sches Kon­zept hin­ter den Aufnahmen.

Zu Anfang steht der König noch auf­recht im rot aus­ge­leuch­te­ten Gale­rie­raum, bald schon muss er sich gegen die Wand leh­nen, bis er schließ­lich zu Boden geht. Gegen Ende des Films dann gelingt es ihm kaum mehr sich von einer Sei­te auf die ande­re zu rol­len. Wäh­rend der Bewe­gungs­ra­di­us und der Hand­lungs­spiel­raum des Mon­ar­chen immer wei­ter ein­ge­schränkt wer­den, nähert sich die Kame­ra immer wei­ter an. Wird Ser­rat zu Beginn noch von der ande­ren Sei­te einer Hal­le gefilmt, ist die Kame­ra am Ende ganz dicht an sei­nem Kör­per, regis­triert jede Bewe­gung, jedes schmerz­er­füll­te Zucken, jeden quä­len­den Atem­zug. Die lang­sa­me Annä­he­rung erzeugt eine Dyna­mik die abge­film­tem Thea­ter und abge­film­ter Per­for­mance-Kunst oft abgeht. Die Kame­ra ist hier kein Aftert­hought. Man braucht gar nicht begin­nen zu dis­ku­tie­ren, ob ein sol­cher Film in ein Kino gehört. Es ist offenkundig.

Roi Soleil von Albert Serra

Knapp eine Stun­de folgt man so dem Todes­kampf von Ser­rats Lud­wig. Sein gequäl­tes Stöh­nen wird ein­zig durch den Ein­satz der spär­li­chen Requi­si­ten unter­bro­chen: eine Eta­ge­re mit Süßig­kei­ten, einen Krug Was­ser, aus dem Ser­rat im Lie­gen durch einen Schlauch trinkt. Die tota­le Iso­la­ti­on der Figur in die­sem blan­ken Ort erzeugt eine irr­sin­ni­ge Anzie­hungs­kraft, zieht einen in sei­nen Bann. Man fühlt sich selt­sam ver­traut mit die­sem ster­ben­den Men­schen, wenn­gleich es all­zu offen­sicht­lich ist, dass hier nur ein Schau­spie­ler in einem Kos­tüm zu sehen ist.

Die Bre­chun­gen und Ver­frem­dun­gen der Abs­trak­ti­on ver­mö­gen es nicht, den Bann zu lösen. Das gelingt erst einem Geräusch, dass von außen in die Iso­la­ti­on des Films ein­dringt. Es ist das hal­len­de Pol­tern von Schrit­ten, die den Gale­rie­raum erfül­len. Kurz danach beginnt man die ers­ten, dazu­ge­hö­ri­gen Bei­ne zu sehen. Für die letz­ten Minu­ten sei­nes Films, inte­griert Ser­ra das Publi­kum in sei­nen Film. Die Kame­ra hat nun wie­der eine ent­fern­te Posi­ti­on ein­ge­nom­men, der König hat sei­nen Todes­kampf hin­ter sich gebracht. Aber statt einer bewe­gungs­lo­sen Lei­che, kann man nun die Reak­tio­nen des Publi­kums beob­ach­ten, das nicht so ganz weiß, ob die Per­for­mance nun been­det ist. Gewiss­heit bringt erst Ser­ra selbst, der zum Abschluss selbst auf­tritt, sich dem lie­gen­den Kör­per nähert und ver­kün­det, dass Lud­wig tot sei.

Es ist beein­dru­ckend aus was für limi­tier­ten Mit­teln Ser­ra hier ein Werk höchs­ter Kon­zen­tra­ti­on erstellt – und wie im ein Medi­en­über­gang gelingt von der per­for­ma­ti­ven zur Film-Kunst. Selbst ohne die Per­for­mance in Lis­sa­bon live erlebt zu haben, spürt man, dass der Film etwas gänz­lich ande­res ist, sich gänz­lich anders anfühlt. Die Dau­er ist eine ande­re. Sie ist seg­men­tiert und sequen­zi­ell im Raum ver­teilt, es ist nicht die abso­lu­te Dau­er, die die Auf­füh­run­gen in der Gale­rie aus­zeich­ne­te. So gese­hen ist Roi Sol­eil auch ein ziem­lich beein­dru­cken­des Mach­werk über die Unter­schie­de zwi­schen Film und dar­stel­len­der Kör­per­kunst. Bezeich­nend, dass es von einem Künst­ler kommt, der die Gren­zen zwi­schen Kino, Thea­ter und Kunst­raum in sei­nen Arbei­ten bestän­dig übertritt.