Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Viennale 2025: Letzter Tag

Dass sich die por­tu­gie­si­sche Film­kul­tur als gan­zes seit vier Jahr­zehn­ten um Remakes von Trás-os-Mon­tes von Mar­ga­ri­da Cord­ei­ro und Antó­nio Reis bemüht, ist zumin­dest kuri­os. Der Ansatz von Mau­re­en Fazen­dei­ro in As Estações zeigt, dass Alen­te­jo für die Kame­ra fast wie New York erscheint: Man hat alles irgend­wie schon gese­hen. Die­ses Bau­werk erin­nert an jenen Film, die­se Zie­ge könn­te bereits bei die­ser Fil­me­ma­che­rin durchs Bild gelau­fen sein, der Fluss wur­de von die­sem oder jenen Regis­seur bereits aus der­sel­ben Per­spek­ti­ve gefilmt. The Last Time I Saw Alen­te­jo. Aber viel­leicht ist das ihr Pro­gramm, indem sich die Film­bil­der zu den Mythen und den Beob­ach­tun­gen des all­täg­li­chen Lebens gesellen.

In Fazen­dei­ros Les habi­tants, der eben­falls auf dem Fes­ti­val zu sehen war, wir­ken die Bil­der weni­ger ver­braucht. Den­noch kann ich mir auch hier nicht hel­fen beim Gefühl, auch die­sen Film schon ein­mal gese­hen zu haben.

Vor eini­gen Jah­ren gab es bei der Vien­na­le eine Film­schau mit dem bedroh­li­chen, an Dys­to­pien erin­nern­den Titel «A Second Life». Dar­in wur­den als eine Art Ant­wort auf die Remake-Ein­falls­lo­sig­keit Bei­spie­le aus der Film­ge­schich­te auf­ge­fah­ren, in denen die Rück­kehr zu bereits gedreh­ten Geschich­ten und Mate­ri­al einen beson­de­ren Wert hat. Ich erin­ne­re mich an ver­schie­de­ne Ver­fil­mun­gen von Emi­ly Bron­tës Wut­he­ring Heights etwa durch Wil­liam Wyler, Jac­ques Rivet­te und Luis Buñuel. Die­se Rei­he hat sich nicht mit einer immer wie­der gefilm­ten Land­schaft beschäf­tigt, inzwi­schen aber wäre es ein Leich­tes, eine Schau zu Alen­te­jo zu kura­tie­ren. Die Fra­ge ist nur, ob sich die jewei­li­gen Fil­me­ma­cher der Land­schaft unter­schied­lich genug nähern, um über­haupt noch etwas zu sehen zwi­schen den Filmen.

Es ist immer wie­der herr­lich, wie auf der Vien­na­le, bei der es kei­nen Wett­be­werb gibt, am Ende ganz ähn­li­che Prei­se ver­lie­hen wer­den wie sonst über­all auch.

Als Abschluss­film zeigt das Fes­ti­val Hong Sang-soos What Does That Natu­re Say to You. Ich habe den Film vor eini­gen Mona­ten gese­hen und nicht ver­ges­sen. Es scheint mir pas­send, dass im Abschluss­film Hun­de bel­len. Der Hund mei­nes Nach­barn hat inzwi­schen auf­ge­hört zu bel­len in der Nacht, ich hof­fe, dass das ein gutes Zei­chen ist. Ich erin­ne­re mich an einen Hügel im Gar­ten, den man besteigt und an ein altes Auto und eine Schwes­ter und Hühner.

Hong Sang-soo beweist Mal für Mal, dass die­ses Ide­al unver­brauch­ter Bil­der nichts mit dem Kino zu tun hat. Viel­mehr geht es dar­um, sich aus­zu­ken­nen, um ver­trau­te Bil­der, die einen in der leich­ten Varia­ti­on erst beschäf­ti­gen. Man den­ke nur an Gen­re­fil­me, die die­se Kunst­form domi­nie­ren. Wer vie­le Fil­me sieht, will ver­mut­lich immer das Glei­che nur anders.

Seit eini­gen Jah­ren kau­fe ich mir am letz­ten Tag der Vien­na­le ein Buch. Ich neh­me mir dann fei­er­lich vor, nie wie­der einen Film zu sehen und füh­le mich gut dabei. Dies­mal sind es Kurz­ge­schich­ten von Dju­na Bar­nes. Ich lese. Einer Fami­li­en­le­gen­de nach hat mein Groß­va­ter so mit dem Rau­chen auf­ge­hört. Er saß in einem Restau­rant, bekam einen Hus­ten­an­fall, hat den Kell­ner gebe­ten, das Fens­ter zu öff­nen und dann hat er die Ziga­ret­ten­schach­tel raus­ge­schleu­dert und nie wie­der eine ange­fasst. Ich hus­te. Wer öff­net das Fenster?

«Unter­ti­tel sind ein Ver­lust­ge­schäft», schreibt San­dro Huber in unse­rem sogleich erschei­nen­den Heft, das sich Víc­tor Eri­ces El sol del mem­bril­lo und den Quit­ten wid­met. Am Mor­gen lese ich deut­sche Über­set­zun­gen der Gedich­te von Sal­va­to­re Qua­si­mo­do und ent­de­cke mal wie­der einen selt­sa­men Umgang mit Wör­tern, die die Natur beschrie­ben. Da wird «uno stra­zio d’albatri» zu einer »Pla­ge von Mee­res­vö­geln» und ein «fores­ta» zu einer «Wild­nis». Nun sind Alba­tros­se bekannt­lich Mee­res­vö­gel, sie sind aber zum Bei­spiel kei­ne Austernfischer.

Eine wei­te­re, weni­ger irri­tie­ren­de Begeg­nung mit einem Tier habe ich bei einem Besuch von Lisa Trutt­manns Aus­stel­lung Stran­ge­ly, I Look More Rea­li­stic Now bei der IG Bil­den­de Kunst. Die Aus­stel­lung ist eine Art plas­ti­scher Exzerpt aus einem Film, an dem sie gera­de arbei­tet, in dem sie sich mit den bei einem Brand in ihrer Ate­lier­woh­nung zer­stör­ten oder beschä­dig­ten Gegen­stän­den beschäf­tigt. Auf einem Podest steht ein ver­kohl­ter Kunst­stoff­ele­fant, an der Wand gegen­über befin­det sich eine Foto­gra­fie eines form­glei­chen Ele­fan­ten, aller­dings unver­sehrt. Dazu gibt es einen Text von Andy Rec­tor, der sich mit dem Leben die­ses Dings beschäf­tigt und auch mit der Dop­pe­lung der Leben, dem Kino also. In die­ser klei­nen Gegen­über­stel­lung öff­net sich eine Welt an Fra­gen zu Reprä­sen­ta­ti­on, zum Leben der Din­ge, zu Vergänglichkeit.

Ich fra­ge mich, was ech­ter ist. Das Bild oder das Objekt. Ich bemer­ke, dass ich das Bild nach einer gewis­sen zeit nicht mehr betrach­te. Der im Raum ste­hen­de Ele­fant ist prä­sen­ter. Womög­lich liegt es auch an sei­nen Ver­let­zun­gen. Das Bild ist nicht­mal ein Schat­ten. Es ist da und weit weg.

Was Rec­tor beim Ver­fas­sen des Tex­tes nicht wis­sen konn­te: Eine klei­ne Spin­ne hat es sich auf dem ver­kohl­ten Ele­fan­ten gemüt­lich gemacht und sie spinnt ihre Fäden um ihn, als wol­le sie ihn vor wei­te­rem Scha­den schüt­zen. Ich ste­he mit der Künst­le­rin vor dem Objekt und als sie ver­sucht, die Spin­ne mit ihrem Han­dy zu foto­gra­fie­ren, gelingt ihr das nicht. Die Spin­ne ist zu klein und flink, ihre Fäden zu unsicht­bar. Stran­ge­ly, ist das, was sich auf ihrem Bild nicht zei­gen kann, das, was mir am rea­lis­tischs­ten vorkommt.

Es ist gar nicht so leicht, ein Tage­buch zu been­den, zumal das Fes­ti­val mei­ne Tage nicht voll­ends geka­pert hat, ich also gar nicht das Gefühl habe, dass etwas endet. Wahr­schein­lich ist ein solch sub­jek­ti­ver Gedan­ken­strom nur dann etwas weni­ger selbst­wich­tig, wenn er in einem abge­steck­ten Rah­men statt­fin­det, in dem sich auch ande­re bewegen.

Ich fra­ge mich, ob ich in den ver­gan­ge­nen Tagen dem Kino wie­der etwas näher­ge­kom­men bin oder ob ich mich wei­ter von ihm ent­fer­ne und stel­le fest, dass ich dazu nichts sagen kann. Ich habe ein paar Fil­me gese­hen. Viel­leicht wäre ich bes­ser im Wald gewe­sen, ich weiß nicht. Ein Ver­lust­ge­schäft war es nicht, Schö­nes ver­mehrt habe ich auch nicht. Nicht mehr oder weni­ger als sonst jeden­falls. Viel­leicht schrei­be ich hier wei­ter von Wald­spa­zier­gän­gen. Ein Wald ist schließ­lich auch ein klei­nes Fes­ti­val. Was sagt mir die­se Wild­nis? Ich glau­be durch­aus, dass ich dann mehr zu sagen hät­te. Die Wor­te wären womög­lich weni­ger ver­braucht, der Zynis­mus wür­de ver­puf­fen, ich könn­te mich mehr öff­nen. Mal sehen.