Dass sich die portugiesische Filmkultur als ganzes seit vier Jahrzehnten um Remakes von Trás-os-Montes von Margarida Cordeiro und António Reis bemüht, ist zumindest kurios. Der Ansatz von Maureen Fazendeiro in As Estações zeigt, dass Alentejo für die Kamera fast wie New York erscheint: Man hat alles irgendwie schon gesehen. Dieses Bauwerk erinnert an jenen Film, diese Ziege könnte bereits bei dieser Filmemacherin durchs Bild gelaufen sein, der Fluss wurde von diesem oder jenen Regisseur bereits aus derselben Perspektive gefilmt. The Last Time I Saw Alentejo. Aber vielleicht ist das ihr Programm, indem sich die Filmbilder zu den Mythen und den Beobachtungen des alltäglichen Lebens gesellen.
In Fazendeiros Les habitants, der ebenfalls auf dem Festival zu sehen war, wirken die Bilder weniger verbraucht. Dennoch kann ich mir auch hier nicht helfen beim Gefühl, auch diesen Film schon einmal gesehen zu haben.
Vor einigen Jahren gab es bei der Viennale eine Filmschau mit dem bedrohlichen, an Dystopien erinnernden Titel «A Second Life». Darin wurden als eine Art Antwort auf die Remake-Einfallslosigkeit Beispiele aus der Filmgeschichte aufgefahren, in denen die Rückkehr zu bereits gedrehten Geschichten und Material einen besonderen Wert hat. Ich erinnere mich an verschiedene Verfilmungen von Emily Brontës Wuthering Heights etwa durch William Wyler, Jacques Rivette und Luis Buñuel. Diese Reihe hat sich nicht mit einer immer wieder gefilmten Landschaft beschäftigt, inzwischen aber wäre es ein Leichtes, eine Schau zu Alentejo zu kuratieren. Die Frage ist nur, ob sich die jeweiligen Filmemacher der Landschaft unterschiedlich genug nähern, um überhaupt noch etwas zu sehen zwischen den Filmen.
Es ist immer wieder herrlich, wie auf der Viennale, bei der es keinen Wettbewerb gibt, am Ende ganz ähnliche Preise verliehen werden wie sonst überall auch.
Als Abschlussfilm zeigt das Festival Hong Sang-soos What Does That Nature Say to You. Ich habe den Film vor einigen Monaten gesehen und nicht vergessen. Es scheint mir passend, dass im Abschlussfilm Hunde bellen. Der Hund meines Nachbarn hat inzwischen aufgehört zu bellen in der Nacht, ich hoffe, dass das ein gutes Zeichen ist. Ich erinnere mich an einen Hügel im Garten, den man besteigt und an ein altes Auto und eine Schwester und Hühner.
Hong Sang-soo beweist Mal für Mal, dass dieses Ideal unverbrauchter Bilder nichts mit dem Kino zu tun hat. Vielmehr geht es darum, sich auszukennen, um vertraute Bilder, die einen in der leichten Variation erst beschäftigen. Man denke nur an Genrefilme, die diese Kunstform dominieren. Wer viele Filme sieht, will vermutlich immer das Gleiche nur anders.
Seit einigen Jahren kaufe ich mir am letzten Tag der Viennale ein Buch. Ich nehme mir dann feierlich vor, nie wieder einen Film zu sehen und fühle mich gut dabei. Diesmal sind es Kurzgeschichten von Djuna Barnes. Ich lese. Einer Familienlegende nach hat mein Großvater so mit dem Rauchen aufgehört. Er saß in einem Restaurant, bekam einen Hustenanfall, hat den Kellner gebeten, das Fenster zu öffnen und dann hat er die Zigarettenschachtel rausgeschleudert und nie wieder eine angefasst. Ich huste. Wer öffnet das Fenster?
«Untertitel sind ein Verlustgeschäft», schreibt Sandro Huber in unserem sogleich erscheinenden Heft, das sich Víctor Erices El sol del membrillo und den Quitten widmet. Am Morgen lese ich deutsche Übersetzungen der Gedichte von Salvatore Quasimodo und entdecke mal wieder einen seltsamen Umgang mit Wörtern, die die Natur beschrieben. Da wird «uno strazio d’albatri» zu einer »Plage von Meeresvögeln» und ein «foresta» zu einer «Wildnis». Nun sind Albatrosse bekanntlich Meeresvögel, sie sind aber zum Beispiel keine Austernfischer.
Eine weitere, weniger irritierende Begegnung mit einem Tier habe ich bei einem Besuch von Lisa Truttmanns Ausstellung Strangely, I Look More Realistic Now bei der IG Bildende Kunst. Die Ausstellung ist eine Art plastischer Exzerpt aus einem Film, an dem sie gerade arbeitet, in dem sie sich mit den bei einem Brand in ihrer Atelierwohnung zerstörten oder beschädigten Gegenständen beschäftigt. Auf einem Podest steht ein verkohlter Kunststoffelefant, an der Wand gegenüber befindet sich eine Fotografie eines formgleichen Elefanten, allerdings unversehrt. Dazu gibt es einen Text von Andy Rector, der sich mit dem Leben dieses Dings beschäftigt und auch mit der Doppelung der Leben, dem Kino also. In dieser kleinen Gegenüberstellung öffnet sich eine Welt an Fragen zu Repräsentation, zum Leben der Dinge, zu Vergänglichkeit.
Ich frage mich, was echter ist. Das Bild oder das Objekt. Ich bemerke, dass ich das Bild nach einer gewissen zeit nicht mehr betrachte. Der im Raum stehende Elefant ist präsenter. Womöglich liegt es auch an seinen Verletzungen. Das Bild ist nichtmal ein Schatten. Es ist da und weit weg.
Was Rector beim Verfassen des Textes nicht wissen konnte: Eine kleine Spinne hat es sich auf dem verkohlten Elefanten gemütlich gemacht und sie spinnt ihre Fäden um ihn, als wolle sie ihn vor weiterem Schaden schützen. Ich stehe mit der Künstlerin vor dem Objekt und als sie versucht, die Spinne mit ihrem Handy zu fotografieren, gelingt ihr das nicht. Die Spinne ist zu klein und flink, ihre Fäden zu unsichtbar. Strangely, ist das, was sich auf ihrem Bild nicht zeigen kann, das, was mir am realistischsten vorkommt.
Es ist gar nicht so leicht, ein Tagebuch zu beenden, zumal das Festival meine Tage nicht vollends gekapert hat, ich also gar nicht das Gefühl habe, dass etwas endet. Wahrscheinlich ist ein solch subjektiver Gedankenstrom nur dann etwas weniger selbstwichtig, wenn er in einem abgesteckten Rahmen stattfindet, in dem sich auch andere bewegen.
Ich frage mich, ob ich in den vergangenen Tagen dem Kino wieder etwas nähergekommen bin oder ob ich mich weiter von ihm entferne und stelle fest, dass ich dazu nichts sagen kann. Ich habe ein paar Filme gesehen. Vielleicht wäre ich besser im Wald gewesen, ich weiß nicht. Ein Verlustgeschäft war es nicht, Schönes vermehrt habe ich auch nicht. Nicht mehr oder weniger als sonst jedenfalls. Vielleicht schreibe ich hier weiter von Waldspaziergängen. Ein Wald ist schließlich auch ein kleines Festival. Was sagt mir diese Wildnis? Ich glaube durchaus, dass ich dann mehr zu sagen hätte. Die Worte wären womöglich weniger verbraucht, der Zynismus würde verpuffen, ich könnte mich mehr öffnen. Mal sehen.

