Die Joropop-Sessions versüßen den blinzelnden Morgenhimmelblick. Di quién es feliz und ein zu starker Kaffee, während ich begleitet von mich anstarrenden Neufundländern nach Schwarzkohl in von in der Sonne glänzenden Schnecken bevölkerten Gemüsekisten am Kutschkermarkt greife. Es tut gut, etwas anzugreifen, bei all den Spiegelungen.
Ich sehe nochmal Isabel Pagliais Fantaisie. Ein Film, der versteht, dass die Helligkeit, mit der wir uns umgeben, keinen Schutz vor den Schmerzen liefert. Stattdessen taucht er ins Obskure ein, ins Schwarz der Leinwand und findet darin eine mögliche Nähe.
Selbstredend gibt es auch bei Pagliai Hunde (und eine Katze). In den Wäldern der Bretagne spielen sie am Wasser wie Kerberos am Ufer der Arve in ihrem Orfeo. Das Werk dieser erstaunlichen Filmemacherin erzählt bislang auch davon, dass die Kindheit nichtmal am Eingang zur Hölle endet.
Eine Szene, in der Louise Morel ihre Masturbation beschreibt, offenbart die sich zwischen Sprache und Bild öffnenden Potenziale. Manchmal wirkt es fast so, als wollte das Bild, die Worte stoppen und andersherum. Kein Entkommen.
Früher wurde während der Viennale mindestens ein Film von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub gezeigt. Eigentlich wäre das notwendiger denn je. Einfach nur, um dem Bildersturm etwas entgegenzuhalten. Am Abend sehe ich Schwarze Sünde. Ich nehme die Sturheit des Elfenbeinturmbewohners an den Hängen des Etna stärker wahr als beim letzten Sehen. Als Pausanias ihm von einem ruhigen Haus erzählt, in dem er doch auch leben könnte, gräbt sich die Hand von Empedokles in die Ascheerde. Dort in der dunklen Mitte des Gebirgs will er auch nicht sein. «Mir blüht es anderswo», sagt er in Hölderlins Worten und die Kamera beginnt die blühenden Waldhänge des Vulkans abzuschwenken, als wäre sie nicht sicher, ob dieses anderswo das Jenseits oder das unbedingte Diesseits meint. Dann wird langsam klar, wie eng das Ätherische und die Natur zusammenhängen, wohl immer noch ein radikaler Gedanke.
Die Müdigkeit vor der Wirklichkeit ist in diesem Film auch eine Demut vor der Zeit, die in sie eingeschrieben ist.
Ich denke an den Text, den Jean Epstein über den Etna geschrieben hat. Le Cinématographe vu de l’Etna. Darin beschreibt er, wie er nach Sizilien kam, um den Ausbruch des Vulkans 1923 zu dokumentieren. Wo bei Schwarze Sünde eine Verinnerlichung der Naturphänomene stattfindet, herrscht bei Epstein das Spektakel der Oberflächen. Dennoch gibt es im Blick auf die Landschaft einen entscheidenden Berührungspunkt, der sämtliche «Königreiche der Natur in einer gemeinsamen Ordnung fasst».
Es ist eine verpasste Chance, dass eine solche Filmschau wie jene, die Epstein gewidmet ist, nicht auch nachdrücklicher auf dessen Literatur eingeht. Eine Lesung wäre schon ein Anfang, denn Epstein ist ohne sein Schreiben gar nicht zu denken. Das bereits 2008 bei FilmmuseumSynemaPublikationen erschienene Buch Bonjour Cinéma und andere Schriften zum Kino (Übersetzungen von Ralph Eue) ist sehr zu empfehlen.
In B wie Bartleby zeigt Angela Summereder die römische Autofahrt ihres verstorbenen Ex-Partners Benedikt Zulauf aus Geschichtsunterricht von Huillet, Straub. Sie sagt mir, dass das Bildformat und das Filmmaterial ihren Ausgangspunkt im Film der Straubs haben. Ihre Arbeit ist also auch ein Fortschreiben. Ein Fortschreiben des gemeinsam begonnenen Films mit Zulauf, ein Fortschreiben von Herman Melvilles Bartleby-Text, ein Fortschreiben von Geschichtsunterricht. Ich kann nicht jede Richtung, in die sie damit geht, nachvollziehen. Wohl aber kann ich stets nachvollziehen, woher sie kommt.
Ah, Bartleby! Ah, humanity!

