Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Viennale Notiz: Retrospektiv

«If Ein­stein taught us that light falls like any other body, Bazin taught us that light lea­ves a track like any other body, an imprint the came­ra makes into an image. But the came­ra is not the only machi­ne that makes the film image. The pro­jec­tor, the magic lan­tern, ani­ma­tes the track of light with its own light, brings the imprint of life to new life on the screen.» (Gil­ber­to Perez)

„The movie­goer wat­ches the images on the screen in a dream­li­ke sta­te. So he can be sup­po­sed to appre­hend phy­si­cal rea­li­ty in its con­cre­ten­ess“ (Sieg­fried Kracauer)

Jac­ques Rivet­te auf 35mm: L‘amour fou, einer von zwei Fil­men von Rivet­te, in denen man das Geräusch von Krat­zen hören kann wie eine Nar­be in der See­le. Es ist bei­na­he Nacht. Nie­mand bemerkt es. Eine jun­ge Frau spricht uns im Foy­er an. Sie wäre nicht bereit für vier Stun­den heu­te, ob wir ihre Kar­ten woll­ten. Ein Freund, der bei­na­he nicht gekom­men wäre, sagt: War­um hast du mir nicht gesagt, dass das so sel­ten ist? Die­sen Film auf 35mm. Die Kopie ist in schlech­tem Zustand. Jedes Licht, dass zwi­schen den 16mm und 35mm Auf­nah­men auf die Lein­wand gewor­fen wird, wirkt wie das letz­te einer ster­ben­den Lie­be, einer kämp­fen­den Lie­be, jeder Lie­be, kei­ner Lie­be, die­ser Lie­be. Die Geschich­te die­ser Kopie trägt sich mit in den Film. Als wären wir die letz­ten, die die­se Kopien sehen könn­ten. Als wür­den wir die Erin­ne­run­gen behal­ten müs­sen, an etwas, das es nicht mehr geben wird.

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Es fällt auf. Wir – ich glau­be es sind „wir“ als eine Grup­pe von Men­schen, die noch wirk­lich nach dem Kino sucht, aber ich weiß, dass das falsch ver­stan­den wer­den kann – gehen oft lie­ber in Retro­spek­ti­ven als in „neue Fil­me“. Wir suchen nach den raren Scree­nings, die noch auf Film gezeigt wer­den. Wir sind dort. Von Rivet­te wer­den nur L‘amour fou und Hur­le­vent nicht digi­tal gezeigt auf der dies­jäh­ri­gen Vien­na­le. Wir müs­sen das wohl akzep­tie­ren (Ana­lo­gue Plea­su­res are not sup­po­sed to be some­thing special). 

Wir gehen nicht aus Puris­mus ver­mehrt in die­se Vor­stel­lun­gen. Wir gehen auch in DCP-Scree­nings, wenn uns die Fil­me inter­es­sie­ren, wir kön­nen die­se Fil­me eben­so genie­ßen. Aber ver­mehrt fin­den wir uns in Retro­spek­ti­ven. War­um? Zum einen viel­leicht, weil die­se Fil­me sel­te­ner sind, weil sie dadurch fri­scher sind, weil es uns so vor­kommt, als wäre es die ein­zi­ge, die letz­te Chan­ce. Es gibt sicher­lich etwas aura­ti­sches an die­ser Erfah­rung. Wir haben das Gefühl, dass die Fil­me mit uns wirk­lich da sind, dass wir mit die­sen Fil­men da sind. Sie sind zu uns gekom­men, wir zu ihnen. Es wer­den ein­ma­li­ge Din­ge pas­sie­ren bei jedem die­ser Scree­nings. Play­ti­me von Jac­ques Tati wird in der Kopie von 1967 gezeigt. Eine sehr rot­sti­chi­ge faded 70mm-Kopie, in der drei­mal so vie­le Fil­me zu erken­nen sind, wie in allen digi­ta­len Kopien, die ich von die­sem Film bis­lang gese­hen habe. Als wür­de man den­ken, dass man weiß, wer Tati ist und ihn dann in den Ecken der Bil­der anders, schär­fer, vir­tuo­ser sehen. Weil man sein Medi­um unterschätzte. 

Ich glau­be wir gehen auch in die­se Scree­nings, weil wir den Mumi­en der Lein­wand ger­ne beim Ster­ben zuse­hen. Dem Kino, was wir noch gera­de so erahn­ten, als es begann zu ster­ben. Der Über­gang, den wir nicht wahr­ha­ben wol­len. Etwas, das wir noch ver­ste­hen, erfah­ren wol­len bevor es zu spät ist. Etwas, dass wir erhal­ten müs­sen. Wie das Kind am Bett des ster­ben­den, flüs­tern­den Vaters. Wir ver­ste­hen nicht mehr alles, aber hören genau zu. Was machen wir mit dem, was uns die­se Erfah­run­gen sagen?

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Wir sehen etwas zwi­schen den Bil­dern, weil es nur ana­log wirk­lich etwas zwi­schen den Bil­dern gibt. Und die­ses Medi­um in sei­ner inhä­ren­ten Frag­men­tie­rung, sei­ner Magie der Dazwi­schen­heit spricht intui­tiv sehr viel stär­ker mit den Erfah­run­gen, die wir im All­tag machen. Denn das Digi­ta­le ist zwar in unse­rem All­tag domi­nant, aber in sei­nem Tref­fen auf der phy­si­sche Rea­li­tät, in die­ser Kom­bi­na­ti­on aus dem Digi­ta­len und dem Phy­si­schen ist der gro­ße Platz für das Kino. Die­ser Idee, von Din­gen aus Licht, die uns bewe­gen, die sich bewe­gen. Es ist so, dass die­se Fil­me mehr mit unse­rer Welt spre­chen als die­se Files. Viel­leicht auch, weil sie Fil­me noch immer eine Ant­wort sind auf die Welt statt einer Kon­se­quenz aus die­ser Welt. In ihnen steckt bereits der Wider­stand, den wir suchen, woge­gen die DCPs kaum Wider­stand kennen. 

Es bricht aus­ein­an­der, denn wenn eine jun­ge Gene­ra­ti­on von Cine­phi­len sich schwer tut, den Wech­sel der Spra­che zu umar­men, dann bleibt nur das Bedau­ern. Wird sich dar­aus eine Film­kul­tur ent­wi­ckeln, eine Film­äs­the­tik? Das Bedau­ern ist nicht unser Antrieb, nein. Wir glau­ben ja an man­ches im neu­en Kino. Die Vien­na­le zeigt auch die­ses Jahr, dass unglaub­li­che, wun­der­ba­re Din­ge mög­lich sind von Ser­gei Loz­nit­sa, Wang Bing über Cris­ti Puiu hin zu Dami­en Mani­vel. Es gibt sowie­so kei­ne Ver­gan­gen­heit eines Kinos, das gezeigt wird. 

L‘amour fou ist zusam­men mit Pont du Nord der moderns­te Film des Fes­ti­vals. Fil­me, die von unse­rer Erfah­rung spre­chen, unse­rer Art zu leben, zu füh­len und zu ima­gi­nie­ren. Fil­me, in denen es um Über­wa­chung geht. Um Para­noia, um unsicht­ba­re Schmer­zen, um Ängs­te. Fil­me, in denen es um eine digi­ta­le Welt geht. Viel­leicht ist es naiv zu glau­ben, dass sich so vie­les ver­än­dert hat in den letz­ten 50 Jah­ren. Viel­leicht ist die tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung deut­lich schnel­ler als jene der Emo­tio­nen. Das wür­de erklä­ren, war­um das Kino, in des­sen Motor immer die Emo­ti­on und die Tech­nik arbei­te­ten so aus­ein­an­der bricht. Die­ses Gefühl eines Bre­chens ent­steht auch des­halb, weil wir allein sind. Ein gro­ßer Teil von kino­be­geis­ter­ten Men­schen jagt letzt­lich haupt­säch­lich das Neue. Als wäre das Kino Apple und wür­de regel­mä­ßig neue Pro­duk­te prä­sen­tie­ren. Inter­es­sant ist es doch eigent­lich im Dia­log zwi­schen heu­te und ges­tern, dem Kino und mir. Die Vien­na­le bie­tet die­sen Dia­log sehr bewusst an. 

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Es ist viel­leicht auch ein Teil unse­rer Fas­zi­na­ti­on mit dem Kino, das Ver­gan­ge­ne zu sehen. Jeder Film ist ver­gan­gen und gegen­wär­tig zugleich, aber wenn sich etwas vor uns bewegt, was vor 100 Jah­ren auf­ge­zeich­net wur­de, dann spürt man die Magie um so stärker.

Also schrei­ben wir auf, was wir dort sehen in die­ser Fremd­heit eines Medi­ums, das als gan­zes faded – nicht nur in ein­zel­nen Kopien. Des­sen ana­lo­ge Exis­tenz längst zum cine­phi­len Event wird. Die Chan­ce, die dar­in liegt, ist die feh­len­de Selbst­ver­ständ­lich­keit. Kino ist nicht mehr selbst­ver­ständ­lich. So ent­steht wie­der ein Stau­nen vor dem Licht, eine Ehr­furcht, ein Respekt, der nie­mals wirk­lich der Respekt vor einem Ster­ben­den sein kann, weil die­ses Medi­um selbst im Toten­bett aus Licht besteht und vor uns, mit uns tanzt. Es erzählt die trau­rigs­te Geschich­te der Mensch­heit: Jene des Ver­ges­sens, jene der Erin­ne­rung, der leben­den Toten, der ster­ben­den Leben­den. Ein Krat­zen auf einem Strei­fen, der in unse­rer Welt existiert.