Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Wo der Witz hingeht

Je mehr und je öfter man Ernst Lubitschs Filme sieht, desto stärker dürfte auffallen, dass sie in aller Regel laut beginnen und immer leise enden. Was am Anfang noch zum Lachen war, verliert mit der Zeit seine Komik, indem sich eine reale Seite offenbart. Das passiert über die Filme hinweg, aber auch in ihnen selbst. So stellt das Ende weniger einen kraftvollen Akkord als ein unschuldiges Fade-Out dar. Der Witz verschwindet. Vielleicht wie bei einer der alten Glühbirnen, die in ihrem Glaskörper so hell leuchtet, als könnte sie jeden Moment zuspringen; doch beim Ausschalten ist sie nicht einfach dunkel und kalt, weil kein Strom mehr fließt, wie bei einem neuen Modell, sondern sie glüht stets noch einige Momente nach. Es bleibt immer noch etwas Licht übrig, während sich alles um einen selbst herum verdunkelt. So glaubte man als Kind verstehen zu können, als man dabei zusah und halb erblindete, wie sich das Licht ausbreitet und beim Löschen wieder zurückzieht. Später lernt man, dass es etwas komplizierter ist als in der eigensinnigen Vorstellung, und Licht nicht einfach verschwindet, so wie es auch nicht einfach da ist. Bei Lubitsch verhält es sich ähnlich: Einer seiner letzten Filme Heaven can wait beginnt in der Hölle, die mit ihrer breiten Treppe wie eine Tillerrevue aussieht, wo alte Damen lüstern Röcke heben, um ihre Beine zu zeigen und dann durch eine Falltür im Fegefeuer verschwinden. Das Setup ist bereits vorhanden und was eigentlich das Ende ist, macht hier den Anfang. Ein Mann, Henry Van Cleve, erzählt seine Autobiografie der Leidenschaft, beginnend bei seiner Kindheit, über sein junges Erwachsenenalter, bis zu seinem Lebensabend, wo er sich stets entlang gesellschaftlicher Tabugrenzen bewegt. Am Ende des Films befindet Luzifer, Van Cleve muss nicht bis in alle Ewigkeit schmoren, sondern darf mit dem Aufzug zu seinen Liebsten in den Himmel. Das Setup wird durch einen teuflischen Hauch Sentimentalität aufgeweicht, andere wie auch Van Cleve, die Schlimmeres erwartet haben, würden sagen – es erlischt. Das höllische Leuchten glüht allmählich aus. Anderes Geschlecht, andere Zeit, andere Sitten, aber dieselbe Richtung hat auch der viel ältere Film Madame Dubarry: Wo am Anfang sich noch die Männer Pola Negri zu Füßen werfen, fliegt am Ende ihr Kopf in die Luft. Erst geht es nach unten, dann nach oben. Das ist Lubitschs Regel und das ist auch der Weg des Witzes, der zu Beginn närrisch kitzelt und schüttelt, um mit der Zeit älter zu werden. Er beginnt ganz unten bei einer ungebrauchten Hose, so in Bluebeard’s Eighth Wife, und steigt die Treppen nach oben (wo wieder eine Hose fehlt). Es heißt, Lubitschs Witz befände sich hinter den Türen, was sicherlich nicht falsch ist, aber ebenso suggeriert, dieser wäre immer der gleiche. Aber eher müsste man ihm eine Veränderung bescheinigen oder diese wenigstens suchen. Denn was bleibt, ist eine Erinnerung an einen Witz auf einer Treppe, ein Treppenwitz, ein fragender Blick zurück: weniger nach der vorübergehenden Gelegenheit, sondern nach dem Verbleiben des Witzes, seinetwegen man vor einigen Minuten noch seinen Becher verschüttete. Wo ging er hin? Aber wie das Licht ist Lubitschs Witz weder da noch abwesend – er ist im Verschwinden begriffen und nur wer lange genug noch hinsieht, kann ihn auch noch bis zum Ende leuchten sehen. Das unterscheidet ihn von solchen Witzen, die sich am selbstreferentiellen Lagerfeuer wärmen. Beinah hätte dieser Text mit einem »Es fiel mir auf …«, »Ich habe den Eindruck …« oder »Mir scheint …« begonnen und stattdessen steht dort eine in ihrer angestrengten Allgemeinheit geradezu anmaßend-kontroverse Feststellung. Wie man aber gerade daran erkennen kann, ist, wenn etwas verschwindet, immer mehr als nur ein Individuum davon betroffen, weshalb es kaum Grund gibt, nur von sich selbst zu sprechen. Das Verschwinden löst also kein bloßes subjektives Gefühl aus, es hinterlässt ebenso eine geteilte Erinnerung. Von sich selbst könnte man nur sprechen, ginge man davon aus, niemand könnte an den eigenen Gedanken Anstoß nehmen und nur so ließe sich ihnen Sinn verleihen, womit diese Erklärung bereits streitbarer ist, als zu behaupten, Lubitsch verliere mit der Zeit seinen Witz.