Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Wörter für die Welt da draußen #1 Wintergoldhähnchen

Viele meiner Freunde interessieren sich nicht für bukolische Beschreibungen, weil man einem Baum oder einer blühenden Wiese nur schwer mit dem Zynismus oder der Wut begegnen kann, die sonst alles beherrschen, worüber geschrieben wird. Oft fehlt auch ganz einfach das Vokabular. Da geht es mir nicht anders, obwohl ich mich inzwischen (seit ich aufgrund einer plötzlich, mir selbst nicht ganz nachvollziehbaren Eingebung begonnen habe, Flusswasser und Schneckenhäuser zu sammeln) beinahe täglich in Wäldern, Berglandschaften, Flusstälern und wer weiß wo, möglichst weit von festen Straßen finde.

Nun muss es aber einen jeden Menschen ermüden, wenn immer nur von Bäumen, Vögeln oder Wolken gesprochen wird. Vor allem, wenn man mit sich selbst spricht, so wie ich es gern tue, um sicherzugehen, dass ich noch da bin. Daher werde ich von nun an an dieser Stelle von Wörtern berichten, die ich nicht kannte, solange ich sie nicht gesehen hatte. Ich bilde mir ein, dass man immer ein bisschen von der Erde rettet, wenn man etwas benennen kann.

Zum Beispiel ging ich kürzlich entlang eines matschigen Pfades durch die Hagenbachklamm. Es war wahrlich kein Vormittag, der von sich aus zum Wandern verführte; eine kalte, graue Suppe, in der Luft stehender Atem, alles versank in sich selbst, außer meiner Schuhe, die im Schlamm verschwanden. Die Hagenbachklamm liegt im Naturpark Eichenhain, in dem sich unter anderem die bemerkenswerten Patienten der Landesnervenklinik Gugging auf Spaziergängen verloren. Auch unter ihnen gab es welche, die alles benennen wollten, die, wenn es sein musste, Wörter erfanden, um das zu beschreiben, was sonst verloren wäre.

In dieser außergewöhnlichen, ständig im Verfallen begriffenen Sandsteinlandschaft erspähte ich (oder er erspähte mich) einen gelblich schimmernden, erstaunlich kleinen Vogel, der ziemlich keck vom dünnen Ast einer jungen Fichte auf mich pfiff und mit unglaublich hoher Stimme trillerte, ja hauchte. Was mich neben der Zerbrechlichkeit, dieses nur wenige Zentimeter großen Geschöpfs faszinierte, waren vor allem die grün-gelblichen Lamellenflügel. Das Farbenspiel verführte mich für einige Sekunden zu glauben, dass dieser Vogel ganz körperlos unter seinem Federkleid durch die Luft zog oder zumindest, wie manche Kopffüßer, in der Lage wäre, seinen Körper in sämtliche ihm angenehme Formen zu wandeln. Ein Geist gewissermaßen. Dieser Vogel nennt sich Wintergoldhähnchen und sobald ich den Namen ausgesprochen hatte, war er auch schon wieder zwischen den Bäumen verschwunden.

Ivana Miloš, Zlatoglavi kraljić, 2021 (Aquarell auf Papier)