Das „Genre“ war immer schon ein unsicherer Begriff, weil derartige „Dienste“ einer Begrifflichkeit auch schnell in Bevormundung und immer wieder in Enttäuschung der eigenen Erwartungen ausarten. Woraufhin dann zu fragen bleibt, womit diese Erwartungen geschürt wurden. Quasi ein Erfindungsgeist bis einem der Kopf schwirrt. Bevor es aber in diesem Text, sprich Wald, herausschallt, wie man hineinruft (hängt natürlich auch wieder davon ab, wie die Waldkultur bestellt ist: aus einem Mischwald tönt es beileibe anders als aus einer Monokultur), ist der geneigte Leser dazu aufgefordert, sich einige Fakten anzuschauen, die sich hier auf das Genre des nicht nur von männlicher Seite aus verehrten japanischen yakuza-Films beziehen.
Zunächst einmal eine Erklärung des dreisilbigen Wortes „ya-ku-za“ („acht-neun-drei“), welches das Verliererblatt eines japanischen Kartenspiels beschreibt. Bereits in der Tokugawa-Periode (1600-1867) gruppierten sich niedere „samurai“ zu einem losen Bruderkult, da die Zeit der Herrschaftskriege sich langsam dem Ende zuneigte. Völlig romantisiert in der japanischen Dichtung und Vorstellungswelt sahen sie sich als rastlose, das Land durchstreifende Beschützer und als Ersatzfamilie für solch meist mittellose umherziehende Krieger, deren Ehrenkodex sich erst auf völlige Loyalität zum „Vater“ der Gemeinschaft bezog („yabun“). Eine solche Loyalität konnte sich bis zur Selbstaufgabe intensivieren, den rituellen Selbstmord miteingeschlossen. Eine solche Gemeinschaftsstruktur sah sich in ihren nie ganz legalen Möglichkeiten des Geldverdienens dennoch als mustergültige Gruppierung oder gar Verein an, nicht unähnlich einer Gewerkschaft, die sich in erster Linie um das existentielle Wohlergehen seiner Mitglieder zu kümmern hatte. Dieser über die Jahrhunderte sich entwickelnde Familienverbund erklärt vielleicht die noch heute von westlicher Seite aus eher skeptisch betrachtete anerkennende Haltung der japanischen Gesellschaft gegenüber der „yakuza“. Legendenbildung bleibt selbstverständlich auch hier nicht aus, und diese fand über die japanische Literatur und nicht zuletzt über die traditionelle japanische Malerei ihren Weg zur Filmgeschichte. Wozu man noch gestaucht anmerken kann, dass die von westlicher Seite aus bewunderte japanische Kadrierung und Kameraführung ihren Ursprung nicht in der Photographie fand und sich etwa zum bewegten Bild weiterentwickelte zur neuen Ausdrucksmöglichkeit, sondern eben genau über die japanische Malerei und ihrer weiteren Form, des Holzschnittes (wenn man gerne einmal auf die cineastische Qualität im Blutbade aufmerksam machen will).
Als Genre immer gerne umstritten, nicht zuletzt aufgrund seiner vordergründigen Frauenfeindlichkeit, die in geballter Popularität ihren Weg auf die große Leinwand fand, bleibt aber zu bedenken, dass ein Genre sich nicht nur ausschließlich aus immer wiederkehrenden, meist heterosexuellen Phantasien und der Sehnsucht nach innerer Heimat begründet, sondern eben auch auf die Nachfrage eines Publikums. Auch aktuell zeigt sich die japanische Gesellschaft als ein kraftvolles, sozusagen „internes“ Matriarchat, soll heißen, der Mann wird bereits in der Kindeserziehung von der durchweg weiblichen und auch sich aufopfernden mütterlichen Erziehung dahin geführt, das spätere eigene kleine Gesellschaftssystem namens „Familie“ vor allem finanziell und somit gesellschaftlich im Ruder zu halten. Der „yakuza“-Film bedient diese Sehnsucht nach allen Regeln der Kunst, nämlich in den zuletzt doch sehr vereinfachten Motiven einer durchweg männlichen Kameradschaft im unermüdlichen Kampf gegen eine wie auch immer geartete gesellschaftliche und somit auch familiäre Unterdrückung. Dies soll beileibe keine Gewalt gegen Frauen rechtfertigen, aber besonders der „yakuza“-Film zeigt hier zumindest die geradezu brodelnde Auseinandersetzung mit diesem Thema auf, was gerne von einem sich allzuschnell beschwerenden, schockierten Publikum aber ignoriert wird (man denke nur an die immer noch nicht beruhigte Welle der Entrüstung gegenüber der Arbeit Miike Takashis, der sich mit diesem Thema als einer der wenigen besonders einfallsreich und auch intelligent auseinandersetzt). Was weibliche Figuren und die sexuelle Ausrichtung angeht, gibt es auch im Bereich „yakuza“ interessante Veränderungen in den Jahrzehnten zu beobachten.
Um vorher schon angesponnene Bezüge zu diesem japanischen Ur-Genre in westlicher Sicht fortzusetzen, geht man mit Filmbeispielen bestens nicht allzu weit zurück. In den 1960er Jahren geradezu im Besitz des japanischen Studiosystems (vorneweg Toei), ist die heutige Quelle der gern zitierte „Underground“, aber auch die seit den 1990er Jahren existierende, rein japanische Videoproduktion, soll heißen, ein Markt, der seine Produktion ausschließlich auf den Videosektor beschränkt, was der filmischen Qualität nicht immer Schaden zufügen muss. Dies bleibt wohl daher sinnstiftend, da die Regisseure aktuell sich finanziell und kreativ ihre Unabhängigkeit zu wahren suchen. Aus meiner Sicht wichtige Namen wären da aufzuzählen die Regisseure Fukasaku Kinji (1930-2003), Mochizuki Rokuro (Jahrgang 1957) und Kitano Takeshi (Jahrgang 1947). Mochizuki zählt, wie auch etwa Miike, zu der Gruppe des OV („original video“), seines Zeichens bereits ein Film-Veteran der japanischen Pornoindustrie, der aufgrund seiner privaten Kontakte noch in der Lage ist, seine Charaktere mit der Authentizität der Yakuza-Strukturen zu versehen. Sein Studium der Filmregie bei Kanai Katsu am Tokioter Image Forum bestätigte seine Einarbeitung von lebendiger Authentizität, und dazu gehören bei jedem menschlichen Wesen nun einmal auch Gewalt und Sex. Bei Mochizuki bedeutet dies aber vor allem nicht nur die exzessive Darstellung von »realer« Gewalt und sexueller Frustration, sondern die stete Zärtlichkeit und verzweifelte Sinnsuche, die in absolut jedem menschlichen Handeln auszumachen ist. Ob diese Einbettung einer realistischen Reaktion und vor allem Aktion wirklich nahe kommt, bleibt wie bei jedem Film der persönlichen Erfahrungswelt, eben inklusive Reaktion und Aktion, des Betrachters überlassen. Etwa in seinem Film Minazuki aus dem Jahr 1999: Ein Büroangestellter wird über Nacht von seiner Ehefrau verlassen und findet unerwartet Hilfe und auch Unterstützung bei dem Bruder seiner Frau, einem Gangster. Zunächst einmal als Ablenkung gedacht nimmt dieser ihn völlig unvorbereitet mit in seine Yakuza-Welt, Gewalt und Prostitution eingeschlossen, ein vermeintliches „back to the roots“ nach dem eigens gewählten Gefängnis einer reglementierten Eheschliessung.
Mochizuki zeigt den Menschen mit seinen heroischen und nobel gedachten Absichten, ein sozial-kompatibles Leben zu führen, um einem vor Augen zu führen, dass es zur inneren Zufriedenheit stets auch die »dunklen« Seiten braucht, dass Lust und Gewalt wie immer dicht beieinanderliegen, sich sogar auch gegenseitig bedingen, und das es erst einmal einen Auslöser braucht, um dies für sich zu entdecken, und selbstverständlich auch den passenden Partner, um im gegenseitigen Respekt seine Grenzen zu erkennen und diese nötigenfalls auch gemeinsam zu überschreiten. Alles andere ist und bleibt Lüge, forciert Frustration und sucht sich letztlich immer ein Ventil. Hierbei ist Mochizuki aber in der Lage, dem Zuschauer die Wahl zu lassen, er verurteilt weder die Freiheitssuchenden noch die Freiheitsfindenden, überlässt es dem Zuschauer, seinen eigenen Ausgangspunkt zu definieren. In absolut jeder Gesellschaftsform hat man immer die Wahl, die wohl einzige schreckliche Erkenntnis dieses Films. Oder mit einem viel zu wenig zitierten Beispiel der Film des Regisseurs Kitano Takeshi, der mit seiner Arbeit eher als „Weichspüler“ gilt, sich eifrig filmkritische Feinde produzierte, als er allzu schnell auf den Geschmack gekommen zu sein scheint, mit exzessiven japanischen Versatzstücken (durchaus auch wieder auf eigener Lebenserfahrung beruhend) ein vor allem europäisches Publikum zu bedienen. Das mag man sehen wie man will, aber Kitano ist der Regisseur, der es in Sekundenbruchteilen fertig bringt, ein Portrait der Liebe zu zeichnen: In Sonatine aus dem Jahr 1993 treibt Kitano den Yakuza-Männlichkeitswahn auf die Spitze (diese Ironie muss man erst einmal erkennen, um die Größe dieses Films zu sehen), in dem er sämtliche stilistischen Liebhabereien zur minimalistischen Gestik überhöht.
Jede Einstellung erscheint zu lang, jeder Schnitt rhythmisch zu perfekt, der Habitus der Figuren immer einen Tick zu viel des guten, bis Kitano, ausgerechnet in einer filigranen Liebesszene narrativ zu explodieren scheint. Es ist ganz simpel und dramaturgisch auch logisch, dass er in einer nicht enden wollenden Einstellung sein Maschinengewehr ausprobiert, aber unerwartet findet er in einem „rough-cut“ die Gesellschaft seiner zart Angebeteten, die das Gewehr schließlich auch ausprobiert und erstaunt ist, dass ihr die ziellose Knallerei gefällt: ein kurzer Blick und ein langes Verstehen und hier ist kommentarlos die große Liebe im Spiel. So hat das zu sein, im Leben und bei Kitano ist das so! In Interviews hat Kitano oft genug bestätigt, dass er in seiner Kindheit sich seines alkoholkranken Vaters schämte und schließlich genauso sehr seiner arbeitsamen Mutter, da ihm immer bewusster wurde, dass es ihm unmöglich sein würde, sich aus der Schuld ihr gegenüber jemals zu befreien. Als Kind und Jugendlicher fand er den wiederum befreienden Schutz der lokalen „Yakuza“, und Kitano sorgt aktuell immer noch gerne für die nötigen Schlagzeilen, da seine Filmproduktion sich eben jener Strukturen mehr als verbunden fühlt, und dies auch gerne gewaltbereit nach aussen demonstriert.
Und schließlich Fukasaku, der in seiner Arbeit schon deshalb ungemein interessant wird, als dass er von der westlichen Filmwelt innerhalb der 1980er Jahre eifrigst ignoriert wurde, völlig ungeachtet seiner eindeutig fulminanten Arbeit. Während er in Japan als Großmeister in Erinnerung bleibt, hatte die westliche schreibende Zunft bis dato immer noch ungeahnte Schwierigkeiten (man versuche nur einmal, halbwegs relevante englischsprachige Texte aus der Zeit aufzutreiben!). Wie viel Privat-Internes da mit hineinspielte, soll einmal ungeachtet bleiben, klar dürfte mittlerweile auf jeden Fall sein, dass Fukasaku mit seiner Kamerahandhabung innerhalb des Genres nun mal unübertroffen bleibt. Mit einer geradezu elitären Ausbildung zum Regisseur in der Tasche, ist vor allem seine vierteilige Reihe Jingi Naki Tatakai aus den Jahren 1973-1974 wohl die bekannteste, neben Jingi No Hakaba aus dem Jahr 1975.
Das ganze kann man als offensichtliche japanische Nachkriegsgeschichtsstunde ansehen, angesiedelt im Yakuza-Milieu von Hiroshima. Ein einzig bestürzender Reigen an Maskulinität samt der absoluten Versagungsangst innerhalb eines Krieges mit all seinem »Ersatz-Denken«, mit all den Ängsten und Behelfsmässigkeiten, die oberflächlich keine Lebenseinstellung mehr von einem abverlangen, sondern nur noch das reine Überleben herausfordern. Bis man dann doch immer noch zur Essenz stößt, dass gerade solche Zeiten die Gesellschaft um einen herum genauso prägen und ihren Einfluss auf die private Lebensführung nehmen, denn dies zeigt sich auch: dass selbst extreme Ausnahmesituationen nicht vor dem Bewerkstelligen und besonders der Stellungnahme gegenüber des ach so kleinen Alltags schützen, wohl die Sezierung des absoluten männlichen Alptraums, ja, die Definition von … Nichts; da es schließlich immer gilt, für sich tagtäglich eine neue Definition zu finden. Leben ist anstrengend. Oder auch ganz einfach: Bis dahin gilt es also hoffnungsvoll zu warten, bis man mir Terajima Tsusumu baren Oberkörpers in eng geschnürter Lederhose auf die Leinwand bringt, wie er linkshändig (!) einen silbernen Damenrevolver abfeuert … Aber die Zeit wird kommen!