Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Approved by Lanzmann: Sobibor, 14 octobre 1943, 16 heures von Claude Lanzmann

Außer dem unlängst erwähnten Saul fia, war in Hamburg noch ein weiterer Film über den Holocaust zu sehen. In A Nazi Legacy: What Our Fathers Did werden Horst von Wächter und Niklas Frank, Söhne ranghoher NS-Beamter, mit ihrer Vergangenheit konfrontiert. Während Frank seinen Vater für seine Taten als Generalgouverneur von Polen verurteilt, weigert sich Wächter seinen Vater, den er als liebendes Familienoberhaupt in Erinnerung hat, als Monster abzustempeln. Wenig raffiniert spielt der Film die beiden gegeneinander aus und über die zunächst ambivalenten Beziehungen zwischen Vater und Sohn wird schon bald geurteilt. Mit Fortdauer des Films wird Wächter immer mehr antagonisiert; schließlich wird das komplizierte Geflecht aus Emotionen, Gedächtnis und moralischer Verantwortung schlicht in Gut (Niklas Frank) und Böse (Horst von Wächter) eingeteilt. Den Wendepunkt in der Inszenierung stellt der Besuch eines Veteranentreffens einer SS-Hilfseinheit in der Ukraine nahe Lemberg, dem ehemaligen Arbeitsplatz von Vater Wächter, dar. Dort wird der Sohn des ehemaligen Gouverneurs von Galizien von den Veteranen und den Sympathisanten herzlich willkommen geheißen. Unter ihnen sind jene, mit NS-Insignien geschmückten, ukrainischen Ultranationalisten die während der Maidan-Proteste in den Fokus der Weltöffentlichkeit getreten sind. Der Film verzichtet jedoch zugunsten einer eindeutigeren Dramaturgie, weitestgehend darauf diesen Bezug herzustellen, beziehungsweise die Rolle der ukrainischen Nationalisten im Zweiten Weltkrieg und in der Sowjetunion überhaupt, näher anzusprechen. Eine nicht zu verachtende Anzahl anti-russisch eingestellter Ukrainer hatte sich in den Kriegsjahren in den Dienst Hitlers gestellt, mit der Aussicht mit einer freien und unabhängigen Ukraine belohnt zu werden. Diese Männer verrichteten Hilfsarbeiten für die SS, ukrainische Wachmänner versahen zum Beispiel im polnischen Vernichtungslager Sobibor Dienst. Auch an jenem 14. Oktober 1943, als dort ein Aufstand der Gefangenen glückte, dem Claude Lanzmann ein filmisches Denkmal setzte.

Sobibor, 14 octobre 1943, 16 heures von Claude Lanzmann

Sobibor, 14 octobre 1943, 16 heures beruht, wie der Großteil von Lanzmann Filmschaffen, auf seinen Recherchen zu Shoah. Im Zuge der Arbeiten für sein monumentales Epos interviewte er 1979 in Haifa Yehuda Lerner, einen der wenigen Überlebenden des Aufstands von Sobibor. Obgleich das Lager selbst im Film vorkommt, lässt Lanzmann keines der Opfer zu Wort kommen; die rund zehn Stunden Material mit Lerner behält er jahrelang in Evidenz, bis 2001 Sobibor, 14 octobre 1943, 16 heures erscheint. Der gebürtige Warschauer Lerner war nach acht Ausbruchsversuchen aus verschiedenen Arbeitslagern, im Minsker Ghetto in eine Gruppe jüdisch-sowjetischer Kriegsgefangener geraten. Mit dieser Gruppe wurde er ins Vernichtungslager Sobibor transportiert, wo er sich als einer von 60 der über tausend Männer zum Arbeitsdienst meldete und so dem Tod entging. In für Lanzmann typischen, langen Interviewpassagen, die nur durch die Übersetzungen der Dolmetscherin unterbrochen werden, erzählt Lerner von den Vorbereitungen und der Durchführung des Aufstands. Im Vergleich zu Shoah hat sich das strenge formale Gerüst in Sobibor, 14 octobre 1943, 16 heures mittlerweile ein wenig verändert. Allein deshalb, weil Lanzmann auf ein Interview zurückgreift, dass zum Zeitpunkt der Produktion schon über zwanzig Jahre alt ist. Diese Aufnahmen von 1979 konfrontiert er mit aktuellen Bildern aus Warschau und Sobibor. Der Film endet mit einer Liste der Transporte aus den verschiedenen Teilen des Reiches, die Lanzmann selbst vorliest. Trotz allem bleibt der Franzose in formaler Hinsicht ein radikaler Purist. Er arbeitet ohne Archivaufnahmen, ohne gesprochene Kommentare, lehnt Rekonstruktionen ab, denn was damals geschah, könne man ohnehin nicht durch solche Mittel fassbar machen. Stattdessen lässt er Zeitzeugen zu Wort kommen; oral history nennt das der Fachmann. Die Wirkung von Lanzmanns Filmen liegt einerseits an seiner meisterhaften Interviewtechnik, einem stetigen Nachbohren und Nachhaken, das jedoch nie aufdringlich oder aggressiv wird, und kluger Montageentscheidungen, die zahllose Stunden Rohmaterials in eine geglättete, kohärente und stringente Form bringt. Lanzmanns Filme sind massive Zeugnisse unvorstellbarer Ereignisse und zweifellos meisterhafte Werke der Kunstgattung Film, doch der Mythos, der sich mittlerweile um die Person Lanzmann rankt ist problematisch. Wenn junge Regisseure wie László Nemes bei Lanzmann vorstellig werden, um sich Absolution erteilen zu lassen und das Urteil des alten Meisters dann als Adelsprädikat – approved by Lanzmann – mit sich herumtragen, dann hat das einen faden Beigeschmack. Lanzmann hat sich seine Position als (filmischer) Doyen in Holocaustfragen, durch seine jahrelange mühevolle Recherche und die akribische Arbeit am Material erworben, doch seine zweifelhafte Rolle als Moralapostel rechtfertigt sie nicht. Kürzlich war Marcel Ophüls mit seinem Film The Memory of Justice in Wien zu Besuch. Ophüls hat wie Lanzmann lange Jahre seines Lebens mit der filmischen Aufarbeitung des Holocausts verbracht, doch im Gegensatz zu Lanzmann, hat ihn diese Arbeit nicht gleichermaßen verhärten lassen. Ophüls, so mein Eindruck, hat nie verlernt neue Wege zu gehen und neue Perspektiven zuzulassen, bei Lanzmann fehlt mir dieses Gefühl.