Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Jahrgang 45 von Jürgen Böttcher

Berlinale 2016: …und dann bye bye

  • Nicht allen vier­hun­dert Fil­men, die die­ses Jahr auf der Ber­li­na­le gezeigt wur­den, wird gleich viel Auf­merk­sam­keit zuteil. So kommt es, dass in den Tie­fen der Pro­gramm­sek­ti­on Ber­li­na­le Clas­sics eine abso­lu­te Rari­tät qua­si fern­ab des Medi­en­in­ter­es­ses gezeigt wur­de. The Road Back von James Wha­le war das ers­te Mal in der vor­lie­gen­den Ver­si­on in Euro­pa zu sehen. Basie­rend auf Erich Maria Remar­ques Fort­set­zung sei­nes Best­sel­lers Im Wes­ten nichts Neu­es, erzählt The Road Back von den letz­ten Kriegs­ta­gen des Ers­ten Welt­kriegs und dem Schick­sal der Kriegs­heim­keh­rer in ihrer Hei­mat­stadt. Da Nazi-Deutsch­land vehe­ment gegen die Pro­duk­ti­on des Films oppo­nier­te, ruder­te Uni­ver­sal schließ­lich zurück und ließ eine Alter­na­tiv­ver­si­on ganz ohne den pazi­fis­ti­schen Grund­ton anfer­ti­gen. Die ursprüng­li­che Fas­sung des Films galt dar­auf­hin jahr­zehn­te­lang als ver­schol­len bis David Stenn sie im Archiv der Uni­ver­sal Stu­di­os wie­der­ent­deckt hat. Wäh­rend sich die deut­sche Kul­tur­po­li­tik ger­ne bei Gala-Pre­mie­ren von Metro­po­lis oder Das Cabi­net des Dr. Cali­ga­ri selbst auf die Schul­tern klopft, über­lässt man einer sen­sa­tio­nel­len Ent­de­ckung wie The Road Back (der zuge­ge­be­ner­ma­ßen fil­misch nicht über alle Zwei­fel erha­ben ist) in einer Neben­schie­ne sei­nem Schick­sal – auch das sagt eini­ges über deut­sche Archiv­po­li­tik aus.
  • End­lich habe ich Jür­gen Bött­chers Jahr­gang 45 gese­hen, den ich bis­her bei diver­sen Gele­gen­hei­ten ver­passt habe. Jahr­gang 45 ist einer jener DEFA-Fil­me, die nach dem berüch­tig­ten 11. Ple­num des ZK von der Zen­sur ver­bo­ten wur­de und nur in einer arg ver­stüm­mel­ten Ver­si­on ins Kino kam, und das obwohl der Film ohne gro­ße poli­ti­sche Bot­schaf­ten aus­kommt. Es reicht, die all­täg­li­chen Sor­gen, Zwei­fel und Wün­sche einer jun­gen Gene­ra­ti­on zu zei­gen, die sich nicht mit Mit­tel­maß zufrie­den geben und aus den stren­gen Bah­nen der par­tei­li­chen Pla­nung aus­bre­chen will. Es ist bezeich­nend für die Wider­sprüch­lich­keit der DDR, dass in einem poli­ti­schen Sys­tem, das sich nach Eigen­de­fi­ni­ti­on dem Sozi­al­rea­lis­mus als künst­le­ri­scher Aus­drucks­form ver­schrie­ben hat, ein Film der die sozia­le Rea­li­tät so unmit­tel­bar behan­delt wie Jahr­gang 45, mit Zen­sur zu kämp­fen hat­te. Ein gro­ßer Film, über die Schwie­rig­kei­ten sich selbst zu fin­den, der gleich­zei­tig uni­ver­sel­le Aus­sa­gen macht und an einen spe­zi­fi­schen Ort und eine spe­zi­fi­sche Zeit gebun­den ist.
The Road Back von James Whale
The Road Back von James Whale
  • Wir leben in einer absur­den Welt, in der Gian­fran­co Rosi bereits auf zwei A‑Festivals Haupt­prei­se gewon­nen hat.
  • Ich ver­las­se den Kino­saal, um in den Tag zurück­zu­keh­ren, der mitt­ler­wei­le zur Nacht gewor­den ist. Mal­gré la nuit von Phil­ip­pe Gran­drieux ist der letz­te Film, den ich am Abschluss­tag der Ber­li­na­le sehe. Das Fes­ti­val endet also mit der Woche der Kri­tik, die par­al­lel zur Ber­li­na­le statt­ge­fun­den hat­te und an die­sem Sonn­tag all ihre Film­pro­gram­me noch ein­mal zeigt. Mal­gré la nuit ist eine außer­ge­wöhn­li­che Erfah­rung: in abge­dun­kel­ten Räu­men, in glei­ßen­dem Licht wer­den Kör­per aus Fleisch und Blut greif­bar und fühl­bar. Das Licht und die Dun­kel­heit, die sexu­el­le Span­nung, die pul­sie­ren­de Bil­der­flut. Im Tau­mel die­ser Ein­drü­cke spa­zie­re ich durch den leich­ten Regen zur nächs­ten U‑Bahnstation; auf den Stra­ßen­bahn­schie­nen reflek­tiert das Licht der Stra­ßen­be­leuch­tun­gen. Wie immer ist es ein Ende mit gemisch­ten Gefüh­len: die Melan­cho­lie nach den lan­gen Tagen und das Abfal­len der Span­nung und Anstrengung.