Lázaro lebt mit seiner Mutter Tere und seiner Tante Rosa unter einem Dach. Agaven und ein Hund sorgen für Leben um die ansonsten vereinsamte Häuserfassade. Das Schlafzimmer im Inneren wirkt überdimensional, gleicht einer Höhle. Wie ein Heiliger liegt Lázaro dort, schwer atmend unter einer grünen, wärmenden Decke. Die Arbeit in der Mine macht ihm auch nach Schichtende noch zu schaffen, er befürchtet unter Asthma zu leiden und pocht auf eine Krankschreibung. Aber die Betriebsärztin ist skeptisch, er soll erst mal mit seinem gelegentlichen Rauchen aufhören, außerdem gehe er ja nur ein bis dreimal die Woche für ein paar Stunden hinunter. Seit sechzehn Jahren. Lázaro ist – oder spielt – überzeugt, dass ihm nicht recht geschieht. Eine zweite Meinung von jenem Arzt im Krankenhaus, für das Rosa arbeitet, soll Klarheit schaffen. Auch er stellt jedoch keine Asthma-Diagnose, bietet aber einen Deal an: für ein Date mit Rosa darf Lázaro den ersehnten Sauerstofftank leihen. Der willigt ohne Rücksprache ein.
In Cobre von Nicolás Pereda, einem nicht nur zur 36. Ausgabe gern gesehenem Gast am FID Marseille, bleiben so manche Beweggründe seiner Figuren unserer Spekulation überlassen. Keine Seltenheit bei Pereda. Ob Lázaro tatsächlich krank ist oder seine Hilfsbedürftigkeit letztlich einen Versuch darstellt, die Aufmerksamkeit seiner Tante auf sich zu ziehen, bleibt offen. Es scheint trotzdem von Anfang an gewiss, dass es zwischen den beiden zu keiner weiterführenden Annäherung kommen wird. Das könnte an der unaufgeregten Erzählweise des Films liegen, in dem auf bestimmte Blicke selten direkte Konsequenzen folgen. So zum Beispiel Lázaros Blicke auf Rosa, wenn sie, wie so oft, zu dritt mit ihrem Partner Harold durchs Brachland schweifen, und immer wieder ein besonderes Blitzen in den Augen erkennbar wird. Ebenso fällt Rosa Lázaros andauerndes Lächeln auf, welches er auf ihren Kommentar hin dementiert. Für Harold bleiben diese Nuancen im Verborgenen, während er mit seinen Lederhandschuhen das Lenkrad des aufgemotzten Autos festhält. Für die anderen beiden bleibt es ein harmloses Spiel, das keine Bedeutung hat, solange es sich nicht verändert und keinen Namen erhält. Weder Lázaro noch Rosa, oder die nicht vorhanden Passant*innen schenken Harolds Auto besondere Aufmerksamkeit, der den tiefliegenden Fahrersessel genießt. Düsen, spazieren, zelten, in Orangen hineinbeißen, viel mehr braucht oder gibt es nicht, um die freie Zeit zu füllen.
Lázaros Mutter Tere hängt unterdessen in ihrem neben der Spüle eingerichteten Küchenbüro die meiste Zeit am Telefon. Allzu gutmütig verpflegt sie auch ihren erwachsenen Sohn. Lázaros Arbeitsplatz wird nur in Form der Arztpraxis und des Gesprächs mit dem Chef sichtbar, der ihm vorwirft, zu simulieren. Außerdem sei er von einem seiner Kollegen neben der Leiche eines Minenarbeiters gesichtet worden – Lázaro verneint wieder. Diesmal wissen wir, dass er lügt, denn Cobre beginnt mit der Begegnung zwischen Lázaro und dem Toten am Straßenrand. Aber wie sich die Tat zugetragen hat, bleibt unklar, lediglich die Unschuld des Protagonisten meinen wir bezeugen zu können. Dass er auf jegliche Meldung des Vorfalls verzichtet, empfehlen Mutter und Tante – Selbstschutz geht vor und es könnte übel kommen, in Dinge hineingezogen zu werden. Im Radio heißt es, dass es sich in der Bergbaustadt bereits um den dritten Toten innerhalb kurzer Zeit handle. Man legt sich besser nicht mit dem lodernden Feuer an.
In Cobre gelingt vor allem die Verknüpfung von Schwere und Leichtigkeit, die in erster Linie in den Dialogen entsteht. Auf indirekte Weise erfahren wir über die Beziehungsdynamiken zwischen Lázaro, Rosa, Tere und Harold durch ihre Gespräche. Besonders in der Szene, in der Rosa und Tere auf Lázaros Bett sitzend das Date mit dem Doktor proben: Warum sie denn mit einem Mechaniker zusammen wäre, wenn sie doch einen Doktor haben könnte, improvisiert Tere neben Rosa, womit sie ihr eigenes Leben in der Rolle ihres Verehrers ihrem imaginierten Selbst gegenüber infrage stellt. Die Leichtfertigkeit, mit der die Sätze hervortreten, macht die bereits länger währende Präsenz dieser Gedanken klar. Lázaro tritt lachend hinzu und meint, dass sein gesundheitlicher Zustand nicht erlogen sei. Tere sorgt dafür, dass ihre Hausarbeit, das Einkaufen und Kümmern um die Schwester in diesem Spiel auch Erwähnung finden. Lázaro macht anschließend Rosa klar, er würde dem Doktor sagen, dass er zu alt für sie sei. Worauf Rosa, noch in ihrer Rolle des abwesenden Arztes, behauptet, dass sie vielleicht alt, aber gesund und voller Leben sei. Sie steht auf, um sich auf der anderen Seite des Bettes zu Lázaro zu setzen, der nun plötzlich zu Rosa wird, und ihm bzw. ihr das lockende Angebot zu unterbreiten, dass sie nie wieder arbeiten müsse, wenn sie zusammen wären. Mit einem Lachen löst sich die Szene auf. Ernst nehmen die drei die durchgespielte Szenerie vielleicht nicht, doch in ihren Rollen machen sie ihre Anliegen und Gedanken hörbar.
Widerwillig, aber ihrem Neffen zuliebe, wird Rosa mit dem Verehrer ausgehen. Und es wird nichts an ihrer Beziehung zu Harold, die in erster Linie auf Zuneigung und Leidenschaft zu beruhen scheint und keinem Deal, ändern. Auch jene zu Lázaro wird wie bisher mit Zuneigung und ohne Leidenschaft, als Teil der familiären Wohngemeinschaft weitergehen. In Lázaros Höhle seufzt fortwährend der Sauerstofftank. So laut, dass Rosas Behauptung nicht schlafen zu können, plausibel erscheint. Cobres Erzählung vom Zusammenleben seiner Protagonist*innen, von einem Minenarbeiter, der Gesundheitsrisiken ausgesetzt ist und sich zugleich selbst am nächsten ist, malt das humoristische Bild eines Mannes, der zwar im Kleinen gegen seine Lebensbedingungen revoltiert, dabei aber letztlich stets in der Bequemlichkeit des mütterlichen Nestes, gewärmt durch die Präsenz der umschwärmten Tante, Zuflucht findet.

