Der ominöse „weibliche Blick“

Im Zeughauskino in Berlin zelebriert man dieser Tage die erste Welle von weiblichen Filmemacherinnen, die sich in den 60er Jahren in der männerdominierten Filmwelt durchsetzen konnten. Fünfundzwanzig Filme von zwanzig europäischen Regisseurinnen werden mit umfangreichem Begleitprogramm präsentiert. Viele dieser Filme sind Wiederentdeckungen, die lange nicht mehr zu sehen waren oder überhaupt zum ersten Mal auf deutschem Boden gezeigt werden. Sie sind in einer Welt entstanden, in der Frauen in der Produktion und Distribution von Filmen benachteiligt werden. Die jahrelange Marginalisierung von Frauen in der Filmkunst, die wie keine andere Kunstform von finanziellen Rahmenbedingungen abhängt, ist beklagenswert. Wie viele Meisterwerke sind durch die Ausgrenzung großer Künstlerinnen verloren gegangen?

O něčem jiném von Věra Chytilová

O něčem jiném von Věra Chytilová

Immer wieder wird in Diskussionen dabei der „weibliche Blick“ beschworen. Dieser ominöse „weibliche Blick“ soll Filmemacherinnen ureigen sein und sich als ästhetische Konstante durch deren Werk ziehen. Wenn auf den großen Festivals ein Film einer Regisseurin für Furore sorgt, oder sich in den Arthauskinos ein Film einer Frau besonders gut verkauft, dann dominiert er die Berichterstattung. Ähnlich wie Filmemacher mit Migrationshintergrund oder nicht-weißer Hautfarbe gerne auf diese Eigenschaft reduziert werden, ist es im filmischen Diskurs gelungen Filmemacherinnen auf den „weiblichen Blick“ zu reduzieren. Nach einem Screening ihres Films Le Meraviglie konstatierte Alice Rohrwacher, selbst wenn sie einen Film machen würde, indem pausenlos Menschen mit Maschinengewehren niedergemäht werden, wäre nur eine Aufnahme einer Blumenwiese im Film, würde man ihr einen „female gaze“ unterstellen. Dabei wird dann gerne darauf vergessen, dass diese Filme nicht ihre „Weiblichkeit“ auszeichnet, sondern ihre Qualität. Als kürzlich nach dem Tod Chantal Akermans hervorgehoben wurde, dass sie die bedeutsamste feministische Filmemacherin war, wurde ganz darauf vergessen, dass sie darüber hinaus „eine der größten und bedeutendsten Künstlerinnen (unabhängig ihres Geschlechts)“ war, wie es Patrick in seinem Nachruf für kino-zeit.de formulierte. Am Beispiel Akermans wird ohnehin deutlich, dass eine Filmemacherin, auch wenn sie als größte feministische Filmemacherin gepriesen wird, nie nur Frau ist, sondern sich ihre Perspektive (oder ihr Blick, wenn man so will), immer aus verschiedenen Erfahrungen zusammensetzt; Akerman ist Frau/Mädchen, Jüdin, geprägt durch ihre Kindheitstage in Armut und ihr wechselvolles Verhältnis zu ihren Eltern. Der Begriff des „weiblichen Blicks“ ist insofern irreführend, als er dazu verleitet anzunehmen, dass Frauen durch ihr zartes, feinfühliges Innenleben automatisch eine bestimmte Form von Filmbildern, eine bestimmte Ästhetik bevorzugen. Das ist bullshit. Genauso fehlgeleitet, wie der Versuch, die restlichen 90 oder mehr Prozent, aller gedrehten Filme unter dem Begriff eines „männlichen Blicks“ subsumieren zu wollen. Ohne Zweifel wird man die Blumenwiese finden, wenn man sie sucht, genauso den Phallus. Geht man in der Thesenbildung von einer patriarchalischen Struktur im „männlichen Blick“ aus, so wird man fündig werdenSelbstverständlich unterscheiden sich Filme von Frauen in gewissen Punkten von den Werken ihrer männlichen Kollegen und selbstverständlich ähneln sie sich dafür untereinander in sehr vielen Punkten, aber das liegt weniger an einer verborgenen Sentimentalität oder typisch weiblichen Charakterzügen, die ihre Filme prägen, sondern an der Welt in der sie leben. Mit der Marxismus-Keule in der Hand könnte man von Determinierung sprechen.

Ein Künstler oder eine Künstlerin (es gibt sicherlich Ausnahmen) projiziert immer Bestandteile ihres Lebensumfelds in ihr Werk. Bei manchen ist das offensichtlich, bei manchen wirkt es verborgen. Frauen leben in einer Welt, die es ihnen in vielerlei Hinsicht nicht leicht macht. Dies trifft umso mehr auf Frauen in den 60er Jahren zu. Dementsprechend findet sich in Filmen von Frauen oft ein Abbild dieser Verhältnisse. Sie verarbeiten ihre Lage, ihre Ängste, ihre Probleme mittels ihrer Filme. Bei den Pionierinnen weiblichen Filmschaffens, denen diese Schau gewidmet ist, finden sich vermehrt solche Motive, denn die Lebenserfahrung dieser Frauen als Filmemacherinnen war bestimmend für ihr Filmschaffen. Diese Erfahrungen unterschieden sich sehr stark von jenen ihrer männlichen Kollegen – Frauen arbeiteten in einem fremden und diskriminierenden Umfeld, ob in Frankreich, Ungarn oder der Tschechoslowaki, deshalb finden sich trotz nationaler und kultureller Unterschiede Verbindungslinien zwischen ihren Filmen. In Opposition zu den Filmen männlicher Regisseure, wo es zumeist um Männer geht, handeln ihre Filme oft von Frauen und ihren Alltagserfahrungen, im Speziellen ihrem Arbeitsleben und ihren (sexuellen) Sehnsüchten. Die Andersartigkeit dieser Filme ist also bedingt durch die alternative Perspektive auf die Welt, die diese Frauen mittels ihrer Filme teilen, und nicht mit einem „weiblichen Blick“, der eine bestimmte Ästhetik zur Folge hat. In weiterer Folge werde ich also vermeiden einen „weiblichen Blick“ in der Bildsprache dieser Filmemacherinnen herbeizuimaginieren, sondern ihre Filme als das zu beschreiben, was sie sind: gute, mitunter auch großartige Werke.

Neun Leben hat die Katze von Ula Stöckl

Neun Leben hat die Katze von Ula Stöckl

Věra Chytilovás O něčem jiném ist ein Musterbeispiel für einen Film, der die Lebenswelt der Frau thematisiert und fassbar macht. Ursprünglich als Film über die damalige Weltklasseturnerin Eva Bosáková konzipiert, geht Chytilová weit über die Konventionen des biografischen Films hinaus. Zwar lässt sich der Film problemlos innerhalb der Nová vlna verorten – reduzierte, kontraststarke Schwarz-Weiß-Bilder, eine nicht ungetrübte Sicht auf die Lebensverhältnisse in der damaligen Tschechoslowakei und eingestreut, ein paar formal sehr wagemutige Montagesequenzen und raffinierte Kameraeinstellungen – doch im Umgang mit seinen Figuren und deren Lebenswelt ist der Film außergewöhnlich. An die Seite Bosákovás, die sich im Film selbst spielt, stellt Chytilová eine zweite weibliche Figur. Die beiden Frauen begegnen sich nie, ihre Geschichten laufen parallel nebeneinander, führen nie zusammen, kommentieren sich jedoch gegenseitig. In beiden Fällen geht es um den Terror der weiblichen Existenz. Zum einen manifestiert sich dieser Terror in Evas täglichem Training, der Monotonie, den Erwartungen, die in sie gesetzt werden und die sie ermüden, die Fremdbestimmung durch ihre Trainer. Zum anderen ist da die tägliche Hölle der Věra, die als Hausfrau für ihren Sohn sorgt und gleichzeitig auch ihren Ehemann bemuttern muss. Chytilová zeichnet die ständig wiederholenden, entwürdigenden und nervenaufreibenden Alltagstätigkeiten der Věra in hektisch geschnittenen Montagesequenzen nach, wohingegen das Training der Eva in langen Einstellungen gezeigt wird, in denen sich die gleichen Bewegungsmuster wiederholen. Beide hadern sie mit ihrem Schicksal – Eva kündigt schließlich ihren Rücktritt vom Leistungssport an, Věra nimmt sich einen Liebhaber – schlussendlich können sie ihrem Leben aber beide nicht entfliehen. Eva arbeitet nach ihrer aktiven Laufbahn als Trainerin weiter, Věra bettelt ihren Ehemann an, bei ihr zu bleiben, als dieser ihr von seiner eigenen Affäre berichtet. Es gelingt ihnen also nicht die diskriminierenden Strukturen zu durchbrechen, doch sie testen ihre Grenzen aus und nehmen sich innerhalb des einengenden Systems ihre Freiheiten. Chytilovás zeichnet ihre Frauenfiguren weder als Revolutionärinnen, noch als Märtyrinnen, sondern die Veränderung im Kleinen ist ihr Programm, ähnlich wie in anderen Filmen der Reihe, wie Nelly Kaplans La fiancée du pirate, Ula Stöckls Neun Leben hat die Katze oder Lina Wertmüllers Il mio corpo per un poker. Es gilt, das System von innen heraus zu verändern.

Im Zeughauskino in Berlin zelebriert man dieser Tage die erste Welle von weiblichen Filmemacherinnen, die sich in den 60er Jahren in der männerdominierten Filmwelt durchsetzen konnten. Fünfundzwanzig Filme von zwanzig europäischen Regisseurinnen werden mit umfangreichem Begleitprogramm präsentiert. Viele dieser Filme sind Wiederentdeckungen, die lange nicht mehr zu sehen waren oder überhaupt zum ersten Mal auf deutschem Boden gezeigt werden. Sie sind in einer Welt entstanden, in der Frauen in der Produktion und Distribution von Filmen benachteiligt werden. Die jahrelange Marginalisierung von Frauen in der Filmkunst, die wie keine andere Kunstform von finanziellen Rahmenbedingungen abhängt, ist beklagenswert. Wie viele Meisterwerke sind durch die Ausgrenzung großer Künstlerinnen verloren gegangen?

O něčem jiném von Věra Chytilová

O něčem jiném von Věra Chytilová

Immer wieder wird in Diskussionen dabei der „weibliche Blick“ beschworen. Dieser ominöse „weibliche Blick“ soll Filmemacherinnen ureigen sein und sich als ästhetische Konstante durch deren Werk ziehen. Wenn auf den großen Festivals ein Film einer Regisseurin für Furore sorgt, oder sich in den Arthauskinos ein Film einer Frau besonders gut verkauft, dann dominiert er die Berichterstattung. Ähnlich wie Filmemacher mit Migrationshintergrund oder nicht-weißer Hautfarbe gerne auf diese Eigenschaft reduziert werden, ist es im filmischen Diskurs gelungen Filmemacherinnen auf den „weiblichen Blick“ zu reduzieren. Nach einem Screening ihres Films Le Meraviglie konstatierte Alice Rohrwacher, selbst wenn sie einen Film machen würde, indem pausenlos Menschen mit Maschinengewehren niedergemäht werden, wäre nur eine Aufnahme einer Blumenwiese im Film, würde man ihr einen „female gaze“ unterstellen. Dabei wird dann gerne darauf vergessen, dass diese Filme nicht ihre „Weiblichkeit“ auszeichnet, sondern ihre Qualität. Als kürzlich nach dem Tod Chantal Akermans hervorgehoben wurde, dass sie die bedeutsamste feministische Filmemacherin war, wurde ganz darauf vergessen, dass sie darüber hinaus „eine der größten und bedeutendsten Künstlerinnen (unabhängig ihres Geschlechts)“ war, wie es Patrick in seinem Nachruf für kino-zeit.de formulierte. Am Beispiel Akermans wird ohnehin deutlich, dass eine Filmemacherin, auch wenn sie als größte feministische Filmemacherin gepriesen wird, nie nur Frau ist, sondern sich ihre Perspektive (oder ihr Blick, wenn man so will), immer aus verschiedenen Erfahrungen zusammensetzt; Akerman ist Frau/Mädchen, Jüdin, geprägt durch ihre Kindheitstage in Armut und ihr wechselvolles Verhältnis zu ihren Eltern. Der Begriff des „weiblichen Blicks“ ist insofern irreführend, als er dazu verleitet anzunehmen, dass Frauen durch ihr zartes, feinfühliges Innenleben automatisch eine bestimmte Form von Filmbildern, eine bestimmte Ästhetik bevorzugen. Das ist bullshit. Genauso fehlgeleitet, wie der Versuch, die restlichen 90 oder mehr Prozent, aller gedrehten Filme unter dem Begriff eines „männlichen Blicks“ subsumieren zu wollen. Ohne Zweifel wird man die Blumenwiese finden, wenn man sie sucht, genauso den Phallus. Geht man in der Thesenbildung von einer patriarchalischen Struktur im „männlichen Blick“ aus, so wird man fündig werden; dieses Verzetteln in absurden geschlechterspezifischen ästhetischen Kategorien, das ist die große Verirrung der feministischen Filmtheorie. Selbstverständlich unterscheiden sich Filme von Frauen in gewissen Punkten von den Werken ihrer männlichen Kollegen und selbstverständlich ähneln sie sich dafür untereinander in sehr vielen Punkten, aber das liegt weniger an einer verborgenen Sentimentalität oder typisch weiblichen Charakterzügen, die ihre Filme prägen, sondern an der Welt in der sie leben. Mit der Marxismus-Keule in der Hand könnte man von Determinierung sprechen.

Ein Künstler oder eine Künstlerin (es gibt sicherlich Ausnahmen) projiziert immer Bestandteile ihres Lebensumfelds in ihr Werk. Bei manchen ist das offensichtlich, bei manchen wirkt es verborgen. Frauen leben in einer Welt, die es ihnen in vielerlei Hinsicht nicht leicht macht. Dies trifft umso mehr auf Frauen in den 60er Jahren zu. Dementsprechend findet sich in Filmen von Frauen oft ein Abbild dieser Verhältnisse. Sie verarbeiten ihre Lage, ihre Ängste, ihre Probleme mittels ihrer Filme. Bei den Pionierinnen weiblichen Filmschaffens, denen diese Schau gewidmet ist, finden sich vermehrt solche Motive, denn die Lebenserfahrung dieser Frauen als Filmemacherinnen war bestimmend für ihr Filmschaffen. Diese Erfahrungen unterschieden sich sehr stark von jenen ihrer männlichen Kollegen – Frauen arbeiteten in einem fremden und diskriminierenden Umfeld, ob in Frankreich, Ungarn oder der Tschechoslowaki, deshalb finden sich trotz nationaler und kultureller Unterschiede Verbindungslinien zwischen ihren Filmen. In Opposition zu den Filmen männlicher Regisseure, wo es zumeist um Männer geht, handeln ihre Filme oft von Frauen und ihren Alltagserfahrungen, im Speziellen ihrem Arbeitsleben und ihren (sexuellen) Sehnsüchten. Die Andersartigkeit dieser Filme ist also bedingt durch die alternative Perspektive auf die Welt, die diese Frauen mittels ihrer Filme teilen, und nicht mit einem „weiblichen Blick“, der eine bestimmte Ästhetik zur Folge hat. In weiterer Folge werde ich also vermeiden einen „weiblichen Blick“ in der Bildsprache dieser Filmemacherinnen herbeizuimaginieren, sondern ihre Filme als das zu beschreiben, was sie sind: gute, mitunter auch großartige Werke.

Neun Leben hat die Katze von Ula Stöckl

Neun Leben hat die Katze von Ula Stöckl

Věra Chytilovás O něčem jiném ist ein Musterbeispiel für einen Film, der die Lebenswelt der Frau thematisiert und fassbar macht. Ursprünglich als Film über die damalige Weltklasseturnerin Eva Bosáková konzipiert, geht Chytilová weit über die Konventionen des biografischen Films hinaus. Zwar lässt sich der Film problemlos innerhalb der Nová vlna verorten – reduzierte, kontraststarke Schwarz-Weiß-Bilder, eine nicht ungetrübte Sicht auf die Lebensverhältnisse in der damaligen Tschechoslowakei und eingestreut, ein paar formal sehr wagemutige Montagesequenzen und raffinierte Kameraeinstellungen – doch im Umgang mit seinen Figuren und deren Lebenswelt ist der Film außergewöhnlich. An die Seite Bosákovás, die sich im Film selbst spielt, stellt Chytilová eine zweite weibliche Figur. Die beiden Frauen begegnen sich nie, ihre Geschichten laufen parallel nebeneinander, führen nie zusammen, kommentieren sich jedoch gegenseitig. In beiden Fällen geht es um den Terror der weiblichen Existenz. Zum einen manifestiert sich dieser Terror in Evas täglichem Training, der Monotonie, den Erwartungen, die in sie gesetzt werden und die sie ermüden, die Fremdbestimmung durch ihre Trainer. Zum anderen ist da die tägliche Hölle der Věra, die als Hausfrau für ihren Sohn sorgt und gleichzeitig auch ihren Ehemann bemuttern muss. Chytilová zeichnet die ständig wiederholenden, entwürdigenden und nervenaufreibenden Alltagstätigkeiten der Věra in hektisch geschnittenen Montagesequenzen nach, wohingegen das Training der Eva in langen Einstellungen gezeigt wird, in denen sich die gleichen Bewegungsmuster wiederholen. Beide hadern sie mit ihrem Schicksal – Eva kündigt schließlich ihren Rücktritt vom Leistungssport an, Věra nimmt sich einen Liebhaber – schlussendlich können sie ihrem Leben aber beide nicht entfliehen. Eva arbeitet nach ihrer aktiven Laufbahn als Trainerin weiter, Věra bettelt ihren Ehemann an, bei ihr zu bleiben, als dieser ihr von seiner eigenen Affäre berichtet. Es gelingt ihnen also nicht die diskriminierenden Strukturen zu durchbrechen, doch sie testen ihre Grenzen aus und nehmen sich innerhalb des einengenden Systems ihre Freiheiten. Chytilovás zeichnet ihre Frauenfiguren weder als Revolutionärinnen, noch als Märtyrinnen, sondern die Veränderung im Kleinen ist ihr Programm, ähnlich wie in anderen Filmen der Reihe, wie Nelly Kaplans La fiancée du pirate, Ula Stöckls Neun Leben hat die Katze oder Lina Wertmüllers Il mio corpo per un poker. Es gilt, das System von innen heraus zu verändern.

In Neun Leben hat die Katze sehen sich die Protagonistinnen schließlich mit einem ähnlichen Dilemma konfrontiert. Die Welt geht einfach weiter, das System beschneidet weiter ihr Leben, die Welt ist ein Kreislauf, doch dieser schließt Veränderung und Ausbrechen nicht kategorisch aus. Der Film beginnt im Auto, Katharinas französische Freundin Anne ist gerade in München angekommen. Nur langsam erschließt sich durch die sprunghafte, episodische Struktur das Umfeld dieser vielschichtigen Frauen. Sie sind der Fokus des Films, die Männer sind schablonenhafte, farblose Stereotypen; die Kräfteverhältnisse sind also umgekehrt. Während im Film zumeist Frauen auf bestimmte Rollenbilder reduziert werden, und dadurch wenig lebendig wirken, sind es hier die Männer (ein ähnliches Schicksal erleiden die Männer in O něčem jiném). Die Umkehrung der Verhältnisse ist ein Hauptmotiv in Neun Leben hat die Katze. In surrealistischen Einschüben werden die verborgenen Sehnsüchte, die Fantasien (keine Männerfantasien) von Anne und Katharina präsentiert. Sie unterhalten sich in einem Jargon, der typisch ist für die Generation junger Filmemacher der 60er Jahre, die durch die Nouvelle Vague inspiriert sind, und auch aus der Feder Godards stammen könnte. Beide Frauen sind emanzipiert und nehmen sich Freiheiten, aber auch sie müssen sich schließlich dem System geschlagen geben. Der Film endet wieder mit einer Autofahrt, diesmal sind es aber zwei Männer, die wir auf einer Sonntagsfahrt begleiten. Das Roadmovie durch das Leben der beiden Frauen nimmt schlagartig ein Ende. Sie haben die Oberhand über die Narration verloren, auch sie konnten die Strukturen nur biegen, Grenzen austesten, aber nicht zerschlagen. Veränderung findet auch hier nicht als Revolution, sondern im Kleinen statt.

Ähnlich verhält es sich bei Belle Starr, der Heldin in Lina Wertmüllers Spaghetti-Western Il mio corpo per un poker, dem einzigen Film dieses Genres, der von einer Frau gedreht wurde. Belle ist eine berüchtigte Revolverheldin, sie pokert, raucht Zigarren, duelliert sich und steht ihren männlichen Kontrahenten in nichts nach. Sie nimmt sich in der Männerdomäne des Wilden Westens was sie will, denn dort gilt nur das Gesetz der Waffe. Ihre Freiheit hat sie mit einem hohen Preis bezahlt: sie hat den Tod ihres Vaters und ihres besten Freundes verschuldet. Sie kann als Frau in dieser Männerwelt nur überleben, indem sie ihre Weiblichkeit bis zu einem gewissen Grad aufgegibt. Belle trägt Männerkleidung, ordnet sich dem Gesetz des Westens, dem ewigen Schwanzvergleich unter. Als sie ihre weiblichen Seiten wieder zulässt, endet sie wie dutzende andere „Belles“ des klassischen Westerns: sie opfert sich auf für einen Mann, lässt sich kleinkriegen, verzichtet auf ihre Selbstbestimmheit, um es dem Mann zu ermöglichen, in den Sonnenuntergang zu reiten. Il mio corpo per un poker ist der Versuch einer Revolution, die sich Kompromiss verliert; eine Revolution des Scheiterns.

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