Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Die Haut und der Andere: Under the Skin von Jonathan Glazer

Der Film­ti­tel Under the Skin ist ein Ver­spre­chen. Denn, was uns unter die Haut geht, dass berührt uns im beson­de­ren Maße. Der Titel ver­spricht ein kör­per­li­ches Erle­ben: Angst, Ero­tik oder Mit­ge­fühl. Aber was unter der Haut ist, das ist auch unbe­kannt, fremd, manch­mal ekel­er­re­gend. Die Haut ist eine Gren­ze und ein Kon­takt. Sie ist immer zugleich die Flucht des Men­schen aus sei­ner Ein­sam­keit und der Schutz die­ser Ein­sam­keit. Wenn nichts mehr funk­tio­niert, dann zieht man sich in sich selbst zurück. Damit legt Regis­seur Jona­than Gla­zer bereits in sei­nen Titel das gan­ze Dra­ma, das sich für sei­ne Prot­ago­nis­tin, den Ali­en Lau­ra voll­zieht. Was bedeu­tet es Mensch zu sein? Was bedeu­tet es fremd zu sein? Ist das genu­in Mensch­li­che gar unsicht­bar, unter der Haut, ist es viel­leicht nicht so schön wie die gestyl­ten und geglät­te­ten Ober­flä­chen des All­tags es ver­mu­ten las­sen? In trance­ar­ti­gen Bewe­gun­gen durch­lö­chert der Film die Gren­zen zwi­schen Ver­su­chung und Abnei­gung, Gebor­gen­heit und Angst, Gewalt und Sex, Schön­heit und Häss­lich­keit. Irgend­wann ist es nicht mehr der Ali­en, der fremd ist, son­dern der Film selbst. Under the Skin lässt einen sein eige­nes ent­frem­de­tes Dasein emp­fin­den und führt die unbe­irr­ba­re Ein­sam­keit vor Augen.

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Ellip­tisch wird von einer sexu­ell auf­ge­la­de­nen Ali­en­in­va­si­on erzählt. Der von Scar­lett Johans­son im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes ver­kör­per­te Ali­en, der die Gestalt einer Frau ange­nom­men hat, fährt mit einem gro­ßen Van durch schot­ti­sche Arbei­ter­vier­tel und nimmt Män­ner mit. Sie scheint dem Wil­len eines stum­men Man­nes zu gehor­chen, der als Clea­ner mit dem Motor­rad hin­ter ihr her­fährt. Mit zuneh­men­der Übung gelingt es ihr, die Män­ner zu ver­füh­ren. Wie hyp­no­ti­siert fol­gen ihr die rau­en Ker­le in eine dunk­le, her­un­ter­kom­men­de Woh­nung, in der sich der Ali­en – jedes Mal beglei­tet von der glei­chen Musik – ent­klei­det. Die Män­ner tun es ihr gleich, zie­hen sich auch nach und nach aus. Sie bemer­ken nicht wie sie ganz lang­sam im Boden ver­sin­ken; nackt und sicht­bar erregt fal­len sie in ein schwar­zes Loch und ver­schwin­den. War­um dies geschieht, spielt kei­ne Rol­le. Der Ali­en zieht sich wie­der an und macht sich auf die Suche nach dem nächs­ten Opfer. In der Zwi­schen­zeit plat­zen die Kör­per der Män­ner. Kör­per, die durch das Schwarz der Lein­wand schwe­ben. Doch der Ali­en beginnt lang­sam, Neu­gier am Mensch­sein zu ent­wi­ckeln. Immer häu­fi­ger betrach­tet sie sich selbst im Spie­gel, sie ver­sucht etwas zu Essen, ver­sucht zu ver­ste­hen. Aus­lö­sen­des Ereig­nis für die­sen Wan­del könn­te die Begeg­nung mit einem, an einer ver­erb­ba­ren Haut­krank­heit lei­den­den Mann sein. Sie nimmt ihn mit wie die ande­ren Män­ner zuvor und bemerkt erst dann des­sen ent­stell­tes Gesicht. Den­noch ver­führt sie den Mann. Wie­der­holt sagt sie ihm, dass er schö­ne Hän­de habe. Sie nimmt sei­ne Hän­de und greift damit an ihren Nacken. Aller­dings lässt sie ihn ent­kom­men und flieht dann selbst. Ihr Part­ner auf dem Motor­rad sam­melt erst den ent­stell­ten Mann ein und macht sich dann auf die Suche nach dem Ali­en. Lau­ra hat inzwi­schen Unter­schlupf bei einem her­zens­war­men Mann gefun­den. Die­ser führt sie in eine fami­liä­re Stim­mung jen­seits der kal­ten Arbei­ter­stra­ßen der ers­ten Hälf­te des Films. Er macht ihr einen hei­ßen Tee und hört Pop­mu­sik beim Abspü­len. Nach einem roman­ti­schen Tag auf dem Land haben die bei­den Sex. Wäh­rend ihrer Ent­jung­fe­rung bekommt der Ali­en Panik. Sie unter­sucht ihr Geschlecht und flüch­tet in die Nacht. Sie gelangt in einen Wald. Dort trifft sie auf einen ein­sa­men Arbei­ter. Sie geht wei­ter und fin­det eine leer ste­hen­de Hüt­te. Sie schläft ein. Als sie erwacht, ver­greift sich der Arbei­ter an ihr. Sie ver­sucht zu flüch­ten, doch es gelingt ihr nicht. Im Kampf reißt der Mann dem Ali­en ein Stück der künst­li­chen Haut vom Rücken. Geschockt flüch­tet er. Der Ali­en nimmt sei­ne Ober­flä­che von sich und ent­blößt sei­ne wah­re Gestalt, die sich unter der mensch­li­chen Haut ver­bor­gen hat. Der Arbei­ter kommt zurück und über­schüt­tet das frem­de Wesen mit Öl. Er zün­det es an. Der Ali­en ver­brennt, der Mann auf dem Motor­rad kommt zu spät.

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Schon mit sei­nen ers­ten bei­den Lang­fil­men Sexy Beast und Birth hat Gla­zer, der unter ande­rem für Mas­si­ve Attack und Radio­head Musik­vi­de­os dreh­te, eine ganz eigen­wil­li­ge, fil­mi­sche Spra­che ent­wi­ckelt, die man als „Cine­ma­tic Stran­gen­ess“ bezeich­nen könn­te. Er benutzt die fil­mi­sche Spra­che, um ein Gefühl von Anders­ar­tig­keit zu erzeu­gen, eine Ent­frem­dung, die sich als Hyp­no­se und Cho­reo­gra­fie gleich­zei­tig dem Frem­den hin­gibt und es aus­schließt. Dabei geht es ihm weder um die vom Kino so ger­ne stra­pa­zier­te Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Mons­trö­sen (man den­ke an Han­ni­bal Lec­ter oder Mon­sieur Ver­doux), noch um eine nach Tole­ranz hecheln­de Aus­sa­ge à la „Das sind wir-wir sind alle gleich“, son­der viel­mehr um die exis­ten­tia­lis­ti­sche Fra­ge: „Was bin ich?“. Zunächst bedient sich Gla­zer in Under the Skin dafür eini­ger sti­lis­ti­scher Metho­den, die Alteri­tät als eine Emp­fin­dung jen­seits intel­lek­tu­el­ler Ideen mani­fes­tiert. Augen­fäl­lig erscheint der häu­fi­ge Ein­satz von atem­be­rau­ben­den Land­schafts­bil­dern in tota­len Ein­stel­lun­gen. Dabei wie­der­ho­len sich For­men und Far­ben, die man zuvor schon gese­hen hat wie bei­spiels­wei­se ein Drei­eck der Dun­kel­heit zwi­schen zwei Berg­gip­feln, das zuvor in sei­nen Bil­dern aus dem Welt­raum erkenn­bar war. Er ver­setzt den Zuse­her in ein schwei­gen­des Star­ren, ob die­ser Bil­der, die unwirk­lich wir­ken und kaum bewegt. In die­ser Star­re liegt ein Wider­spruch zum Wesen des Bewegt­bil­des. Man merkt: Etwas stimmt nicht. Nebel­schwa­den, rau­schen­des Was­ser und Dun­kel­heit gewin­nen Über­hand. Es war Camus, der in Der Frem­de, ob eines sol­ches Bil­des geschrie­ben hat: Der wun­der­ba­re Frie­den die­ses schla­fen­den Som­mers drang in mich ein wie eine Flut. Geo­me­tri­sche Tableaus bestim­men die Bild­spra­che von Under the Skin. Gla­zer hat sich genau Gedan­ken über Dunkelheit/​Licht oder For­men gemacht. Schon in sei­ner ers­ten Ein­stel­lung kommt ganz lang­sam ein wei­ßes Licht, das zunächst nur ein Punkt ist, auf uns zu. Immer wie­der kreu­zen Figu­ren hori­zon­tal oder ver­ti­kal das Bild. Der Bild­ka­der ver­stärkt die Fremd­heit, statt sie nur einzugrenzen. 

Auf­fal­lend sind auch die weit­wink­li­gen Ein­stel­lun­gen aus unter­schied­li­chen sta­ti­schen Per­spek­ti­ven von Lau­ra am Steu­er des Vans. Die­se kom­men auch des­halb zu Stan­de, weil Gla­zer man­che der Begeg­nun­gen des Ali­ens mit den Män­nern mit ver­steck­ter Kame­ra fest­hielt. Durch die­ses Vor­ge­hen ent­ste­hen Momen­te des Uner­war­te­ten, des Ande­ren und zudem wir­ken die dafür not­wen­di­gen Kame­ra­per­spek­ti­ven eigen­wil­lig und fremd­ar­tig. Gewis­ser­ma­ßen lie­fert sich die fil­mi­sche Prä­zi­si­on von Gla­zer hier dem Unbe­kann­ten aus, zugleich Ver­su­chung und Tod des nar­ra­ti­ven Film­schaf­fens. Die Gren­zen zwi­schen Rea­li­tät und Insze­nie­rung gera­ten ins Wan­ken. Man fährt mit dem als Frau auf­tre­ten­den Wesen durch Schott­land und fragt sich: Was pas­siert hier? Dabei ist aus­ge­rech­net die bekann­tes­te Dar­stel­le­rin im Film der Fix­punkt des Frem­den. Mit dem Cas­ting von Scar­lett Johans­son begin­nen die Gren­zen zwi­schen dem Ich in mei­nem Kino­ses­sel und dem Ande­ren auf der Lein­wand zu ver­schwim­men. Die Idee, die hin­ter dem Star­sys­tem der ame­ri­ka­ni­schen Traum­fa­brik steht, ist leicht ver­ein­facht auf den Punkt zu brin­gen: Eine Schau­spie­le­rin, die Zuse­her bereits aus ande­ren Rol­len ken­nen und über deren Pri­vat­le­ben sie Bescheid wis­sen, fun­giert leich­ter als Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gur (Kas­sen­ma­gnet) als eine unbe­kann­te Dar­stel­le­rin. Scar­lett Johans­son ist ein sol­cher Star, aber in Under the Skin ver­schließt sie sich vor uns. Ist ihre Haut, ihre welt­be­rühm­te Ober­flä­che gar nur eine Täu­schung? Der Film lie­ße sich als kri­ti­scher Kom­men­tar auf das Star­sys­tem ver­ste­hen. Statt Iden­ti­fi­ka­ti­on steht dann nur noch ein Fra­ge­zei­chen auf der Lein­wand. Wenn Iden­ti­fi­ka­ti­on bedeu­tet, dass man sich selbst auf der Lein­wand sieht, was sieht man dann wenn das Iden­ti­fi­ka­ti­ons­ob­jekt ein frem­des Wesen ist? Ver­stärkt wird die­ses Gefühl der Ent­frem­dung dadurch, dass der Film immer wie­der durch die Augen der Figur auf die Umwelt schaut. Man bemerkt klei­ne Details wie das rhyth­mi­sche Wip­pen des Man­nes beim Abspü­len oder betrach­tet über­for­dert ver­zehr­te männ­li­che Frat­zen hin­ter den Schei­ben des Vans. „Peo­p­le are stran­ge when you’­re a stran­ger. Faces look ugly when you’­re alo­ne.”, hört man da fast Jim Mor­ri­son lei­den und es wird lang­sam klar, dass das Ande­re immer bedroh­lich scheint. Sobald wir im Film die Per­spek­ti­ve des Außen­sei­ters ein­neh­men (und das machen wir oft), erscheint uns das „Nor­ma­le“ falsch, mons­trös und gefähr­lich. Wir begin­nen uns unse­rer Ein­sam­keit immer dann bewusst zu wer­den im Kino, wenn wir uns mit der ein­sa­men Per­son iden­ti­fi­zie­ren, wenn wir ihren Blick auf die Welt tei­len, ent­frem­det und ver­lo­ren. Wie sehen wir Men­schen wohl aus Sicht eines Ali­ens aus, wie ver­hal­ten sich Män­ner im Ange­sicht der Ober­flä­che einer Frau? The Devil in Dis­gu­i­se, ver­lo­cken­des Mons­ter. Wenn wir schon bei der Musik sind, soll­ten wir uns auch mit dem ver­frem­den­den und doch illu­sio­nä­ren Ein­satz von Musik in Under the Skin beschäf­ti­gen. Der trance­ar­ti­ge Elek­tro­sound von Mika­chu ist eigent­lich klas­sisch nach Moti­ven auf­ge­baut. Aber immer wie­der don­nert er durch die Bil­der hin­durch, tran­szen­diert sie oder bricht sie. Ein Bei­spiel fin­det sich als der mys­te­riö­se Mann mit dem Motor­rad den ent­stell­ten Mann, der nackt durch hohes Gras huscht, ein­sam­melt. Die plötz­li­che Aggres­si­on in der Musik ver­stört und macht die Fremd­ar­tig­keit des Gesche­hens emo­tio­nal greifbar.

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Ein wei­te­rer fast komö­di­an­ti­scher Kniff fin­det sich in der Ver­wen­dung von Spra­che im Film. Fast alle Män­ner spre­chen mit extre­mem schot­ti­schem Akzent. Die­ser ist wohl nur für Schot­ten tat­säch­lich ver­ständ­lich und so fin­det man sich häu­fig in einer ähn­li­chen Situa­ti­on wie Lau­ra. Man lauscht ver­wun­dert den Lau­ten und Tönen aus den kan­ti­gen Mün­dern und ver­sucht zu ver­ste­hen, was gemeint sein könn­te. Der Sozi­al­rea­lis­mus wirkt dabei ver­un­si­chernd. War­um ver­ste­hen wir die Men­schen nicht und den Ali­en schon? Ins­ge­samt wird sehr wenig gespro­chen. Statt einer Ein­deu­tig­keit der Spra­che ver­schreibt sich Under the Skin der Ambi­va­lenz und Ungreif­bar­keit von Bil­dern. Die Erfah­run­gen von Lau­ra in frem­den, oft bedroh­li­chen Situa­tio­nen sind Erfah­run­gen, in der zwei Wel­ten auf­ein­an­der tref­fen. Aller­dings weiß eine Welt das nicht. Es ist ein Spiel, ein sich Aus­pro­bie­ren im Ande­ren, das immer wie­der in bru­ta­ler Gewalt endet. Da man nichts oder wenig ver­steht, wird der Fokus auf die Kör­per­spra­che gelegt. Dies wird durch die Ver­wei­ge­rung einer klar nach­voll­zieh­ba­ren Hand­lung oder gar Psy­cho­lo­gi­sie­rung der Figu­ren noch ver­stärkt. Der Kör­per rückt ins Zen­trum des Gesche­hens, der Kör­per gewinnt an Auf­merk­sam­keit. Aber auch ihn kön­nen wir nicht ganz grei­fen, auch mit ihm stimmt etwas nicht. Der Body-Hor­ror in Under the Skin bewirkt eine Ver­un­si­che­rung gegen­über dem eige­nen Kör­per. Die plat­zen­den Kör­per unter Was­ser, zu Gri­mas­sen ver­zo­ge­ne Frat­zen, das nüch­ter­ne Aus­stel­len mensch­li­cher Nackt­heit, Kör­per, die sich im Schwarz der Lein­wand auf­lö­sen. Es ist offen­sicht­lich und wich­tig, dass erreg­te Geschlech­ter genau­so ins Bild gesetzt wer­den wie die Betrach­tung der eige­nen Ober­flä­che im Spie­gel. Es ist der Ver­such, den Kör­per und damit den Men­schen zu ver­ste­hen. Der Exis­ten­tia­lis­mus in Under the Skin braucht einen Spie­gel, um nichts zu sehen. Lau­ra exis­tiert nicht so, wie sie aussieht. 

Aber ihr Aus­se­hen ver­führt sie selbst. Sie möch­te so sein, wie sie auf ande­re wirkt. In Zei­ten der Online-Selbst­dar­stel­lung-Wel­ten, in denen wir ein frem­des Ich als Wunsch­bild unse­rer Exis­tenz auf­bau­en, ist ihr Ver­lan­gen nach dem Real­wer­den ihres äuße­ren Wunsch­bilds nur all­zu nach­voll­zieh­bar. Sie will das Mons­ter, das unter ihrer Haut lebt nicht wahr­ha­ben, sie will es los­wer­den. Ihre Haut ist dann kein Gefäng­nis, son­dern eine Flucht, trü­ge­risch und hoff­nungs­los. Die Ober­flä­che als kul­tu­rell defi­nier­tes Kon­strukt: Durch den Kör­per wird Lau­ra akzep­tiert und vor allem begehrt. Kein Wun­der, dass die Begeg­nung mit dem ent­stell­ten Mann etwas in ihr aus­löst, denn ihm ist das Glück der Akzep­tanz und des Begeh­rens nicht mög­lich in einer Gesell­schaft der Frem­den, die ihre Ein­sam­keit los­wer­den wol­len. Der Film selbst gibt sich die­sen Wün­schen hin, bewegt sich über sei­ne eige­ne Ober­flä­che als eine bestän­di­ge Trance­me­lo­die der Schön­heit. Die Schön­heit der defor­mier­ten Kör­per erin­nert an Augus­te Rodins Skulp­tu­ren oder die Gemäl­de von Fran­cis Bacon. Der Fil­me­ma­cher Bru­no Dumont hat viel gesagt über die Wich­tig­keit von Defor­ma­ti­on in der Kunst: Man nimmt einen natu­ra­lis­ti­schen Gegenstand/​Schauspieler, setzt ihn in ein natu­ra­lis­ti­sches Set­ting und sorgt dann für klei­ne­re oder grö­ße­re Defor­mie­run­gen. Somit wird die mensch­li­che Exis­tenz hin­ter­fragt oder die Natur als gan­ze und der Zuse­her kommt in einen Denk­pro­zess. Dumont sagt, dass er dafür an die Gren­zen gehen muss als Fil­me­ma­cher. Und um an die Gren­zen zu gehen, müs­se man immer etwas dar­über hin­aus­ge­hen. In der Doku­men­ta­ti­on Das Schö­ne ist mein Dämon beschreibt Dumont exem­pla­risch eine Sze­ne und wie er dort eine sub­ti­le Defor­ma­ti­on her­stel­len konn­te. Es geht um die Sze­ne in sei­nem L’humanité, in der der Prot­ago­nist ein Paar beim Sex auf dem Boden beob­ach­tet. Um einen defor­mier­ten oder nen­nen wir es ent­frem­de­ten Aus­druck zu bekom­men, hat Dumont den Schau­spie­ler nicht ein Pär­chen auf dem Boden beob­ach­ten las­sen, er hat dem Schau­spie­ler auch nicht gesagt, dass er sich ein Pär­chen auf dem Boden vor­stel­len soll, son­dern er hat sei­ne eige­ne Hand auf den Boden gelegt und gesagt: „Schau mei­ne Hand an.“; die Reak­ti­on ist selbst­ver­ständ­lich uner­war­tet und defor­miert. Ein Pro­zess beginnt, wenn man nun die Reak­ti­on des Man­nes auf das Pär­chen im Film sieht. Etwas stimmt nicht, aber man kann es nicht grei­fen. Und genau dann wird das Kino selbst zur Fremd­heits­er­fah­rung wie in Under the Skin. Am Ende stellt man sich dann die Fra­ge: Was ist ein Mensch? Ein Ali­en? Ihr frem­der, mons­trö­ser Kör­per über­lebt nur weni­ge Augen­bli­cke in der frem­den Welt. Er ver­brennt und die Kame­ra folgt den zum Him­mel stei­gen­den Rauch­schwa­den. Liegt dort noch­mal eine tie­fe­re Schicht? Eine See­le, die sich unter der Ali­en-Haut befin­det? Oder ist dort Nichts, nur der mate­ri­el­le Über­rest eines Kör­pers, der genau so viel bedeu­tet wie er zeigt: Rauch.

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Unter ihrer Haut ist die­ser Ali­en fremd auf der Erde. Und damit geht es ihr genau wie uns. Der fran­zö­sisch-litaui­sche Phi­lo­soph Emma­nu­el Levi­n­as bemerk­te in Die Zeit und der Ande­re: „Durch das Sehen, durch das Berüh­ren, durch die Sym­pa­thie, durch die Arbeit im all­ge­mei­nen sind wir mit den ande­ren. Alle die­se Bezie­hun­gen sind tran­si­tiv; ich berüh­re einen Gegen­stand, ich sehe den Ande­ren. Aber ich bin nicht der Ande­re. Ich bin völ­lig allein.“ Die Exis­tenz allei­ne wür­de das Allein-Sein kon­sti­tu­ie­ren. In Under the Skin ist der Ali­en immer allei­ne, immer fremd. Er kann nie das Ande­re sein, selbst wenn er genau­so aus­sieht, selbst wenn er Bewe­gun­gen, Ver­hal­tens­wei­sen und Stoff­wech­sel­prak­ti­ken über­nimmt. Er wird immer als Ali­en exis­tie­ren unter der Haut, als Mons­ter, das in uns allen lebt. Und dort ist man immer ein­sam. Das­sel­be gilt für die Kino­er­fah­rung, die man mit Levi­n­as und Under the Skin auch als eine Erfah­rung der eige­nen Ein­sam­keit ver­ste­hen kann. Der Phi­lo­soph bemerkt die Nähe von Ein­sam­keit und Zeit. Zeit fun­giert als Motor des Kinos. Nun mag man ent­ge­gen­hal­ten, dass die Kino­si­tua­ti­on nie ein­sam sein kann, son­dern eher einem kol­lek­ti­ven Erleb­nis, ja Gemein­schafts­ri­tu­al gleicht. Aber Levi­n­as ver­steht Ein­sam­keit nicht als Gegen­pol von Kol­lek­ti­vi­tät, son­dern schlicht als Wesen der Exis­tenz. Etwas fin­det unter unse­rer Haut statt jen­seits aller ande­ren Zuse­her selbst wenn sie uns noch so nahe­ste­hen. Gla­zer ver­stärkt die­sen Ein­druck gar durch sei­ne defor­mie­ren­de Bild­spra­che, sei­ne kör­per­li­chen Schocks und sei­ne Tabu­brü­che, die Gren­zen des Dar­stell­ba­ren aus­lo­ten. Denn dort wo Haut, also der Tast­sinn im Film eigent­lich nicht bedient wird, kann etwas, dass uns unter der Haut, in unse­rer eige­nen Ein­sam­keit trifft doch genau eine sol­che kör­per­li­che Reak­ti­on her­vor­ru­fen: Gänsehaut.