Wenn man dazu ausholt, einen Film über das Begehren zu drehen, dann kommt man nicht am Blicken vorbei. Wenn man einen Film über das Blicken dreht, dann blickt man doppelt. Man blickt auf etwas und zwischen etwas hindurch, auf die Blickenden und Angeblickten, man setzt sich aus und heftet sich an. Luise Donschen hat mit ihrem Casanovagen eine Form gefunden, – vielleicht hat die Form auch sie gefunden – in der die spielerischen, biologischen, rituellen Modi der Verführung nicht nur zwischen Frau und Mann/Mann und Frau ablaufen, sondern auch zwischen den Bildern, Licht und Schatten, der Öffnung und Schließung des Projektors.
Gedreht auf 16mm, jenem Format, in dem alles verführerischer aussieht, folgt man verschiedenen Bewegungen, die wiederkehren, sich nie ganz berühren und doch einander bedingen. Flamingokostüme bei einem wolkendurchtränkten Karneval in Venedig, zärtliche Hände in einem merkwürdig stillen Club, Auszüge aus den Memoiren von Casanova, das Paarungsverhalten von Finken in einem Labor, Kinder beim Spielen im Wald, eine Prostituierte mit flüsternder Behutsamkeit in der Stimme, später unter Hypnose auf dem Weg zum Orgasmus und John Malkovich mit Augenringen, in der Umkleidekabine über seine Rolle als Casanova nachdenkend, sich selbst und die Rolle verkörpernd mitsamt der Präsenz der Filmemacherin im Raum, die verführt und verführt wird. Die Verbindungen zwischen den Szenen folgen keiner kausalen oder dramaturgischen Logik; der Film hintergeht sowohl das absolute Sehen, das sich in einer einzelnen Einstellung verlieren kann wie etwa in den Filmen eines Lisandro Alonso oder Helena Wittmanns (die als Kamerafrau mitgewirkt hat) Drift als auch das relative Sehen, in dem jede Szene ihren Wert nur aus der jeweils vorhergehenden oder folgenden zieht wie das im klassischen Erzählkino der Fall ist.
Casanovagen hängt am seidenen Faden einer illusorischen Zerbrechlichkeit. Wie in einem Sich-Näherkommen könnte ein falsches Lächeln, eine falschgesetzte Geste oder ein unglücklich formulierter Satz das Ende dieses Spiels bedeuten. Folglich erscheinen die Bilder beschützt. Das gilt für die Protagonisten, die nicht ausgeliefert werden, so wie man in einer Verführung niemals nackt dasteht, sondern immer mit dem Geheimnis einer größeren Persönlichkeit hinter den Fassaden und das gilt auch für die Bilder selbst: Bilder, die sich nichts gönnen, die vorsichtig vorgehen, die nicht zu nahe und nicht zu fern sind, perfekt aufgetragen im wahrheitssuchenden Niemandsland zwischen Fiktion und Dokumentation, sodass man sich nicht sicher ist, ob man gerade getäuscht oder geliebt wird.
Zur Liebe gibt es zu bemerken, dass man normal davon ausgeht, dass es etwas Gutes ist, wenn ein Film sich für die Menschen interessiert, die er zeigt. Bei Casanovagen ist das etwas anders, weil sich Donschen für das interessiert, was zwischen den Menschen passiert. Natürlich kann man das nicht filmen. Wie könnte man? Sie interessiert sich dafür so, als wäre das die Menschlichkeit selbst. Und die Tatsache, dass sie filmt, gibt ihr Recht. Denn jeder Blick auf einen Menschen im Kino ist immer ein Dazwischen. Kamera und Gesicht, Leinwand und Projektor, etwas ist zwischengeschaltet. Donschen filmt also immer dann in diesem Film, wenn wir gar nichts sehen. Zwischen den Bildern, wenn wir Brücken schlagen von A zu B zu C und in diesen Überbrückungen vergessen, dass wir es sind, die sehen, die gesehen werden vom Film.
Verführung ist entscheidend im Kino. Beginnend bei den kapitalistischen Bestrebungen von Produktionsfirmen, die Zuseher verführen wollen, ins Kino zu gehen, über erwünschte Wirkungen der Filmemacherinnen in ihren Filmen bis zum allgegenwärtigen, zum Teil vergifteten Prinzip der Identifikation, die nichts anderes ist, als eine Verführung in die Annahme jemand zu sein, der man nicht ist. Die Bilder verführen, ihr immer lauteres, immer grelleres Atmen zwischen dem Jetzt und dem Vergangenen; sie verführen in ihrem Angebot mit ihnen zu verschwinden. Casanovagen arbeitet weniger an einem solchen Verschwinden als daran, dass man in den Schritt eintaucht, den man fast jeden Tag wagt, wenn man sich verführen lässt. In dieser Hinsicht, auch wenn das durchaus komisch klingen mag, hat der Film einiges mit They Live von John Carpenter gemeinsam. Er funktioniert ein wenig wie der Blick durch eine Sonnenbrille, die einem etwas sichtbar macht, was immerzu arbeitet, sich aber zu gut anfühlt, um es zu dekonstruieren.
Dann aber gibt es ganz dezidiert Frauen und Männer in diesem Filmen. Es gibt Körper, die an dieser Verführung arbeiten, egal ob sterblich oder unsterblich, egal ob gekauft oder geborgt, unbeweglich oder tanzend; dokumentarische und fiktionale Körper, Körper, bei denen es keine Unterscheidung zwischen Frau und Mann mehr gibt. Was beginnt als Studie genetisch erklärter, männlicher Verführungsmechanismen, verpufft vor einer Kamera, die von einer Frau geführt wird, in einem Film von einer Frau in die Wolke eines Schauspielers vor einem Spiegel in einer Umkleidekabine und zeigt beständig auch die weibliche Verführung in Stimmen und Bildern von Annette von Droste-Hülshoff bis Rachel Ruysch, in den Verkleidungen, die alle Unterschiede aufheben bis zum Blick der Filmemacherin selbst, die uns verführt in ihrem Film, in dem sie die Dinge so zeigt wie sie sie zeigt, in dem sie immer filmt, wenn wir gar nichts sehen. Die in der Weltsicht von Casanova symbolisch angelegte Austauschbarkeit von Frauen und Wahrheit, die Art und Weise, in der man beides „erobern“ kann, erübrigt sich in Casanovagen hin zu einer Differenz in Bezug zur Identität, etwas Verschiedenes, dessen Ungleichheit sich von Ovids Narziss und Echo bis zu den genetischen Untersuchungen von Finken immer wieder annähert und abstößt und in keiner Weise festen Kriterien gehorchen kann. Donschen balanciert derart geschickt zwischen dem Konservativen und Modernen, den Rollenbildern und Erwartungshaltungen, dass man gar nicht merkt, was eigentlich passiert sein könnte.
Etwas entwischt in der Verführung. Zwei Bilder im Film tun das auch. Da gibt es die Aufnahme eines keinen Sees. Für einen Moment kommt das Sonnenlicht, dann verglüht es wieder hinter nicht-sichtbaren Wolken und lässt alles im Schatten zurück. Ein anderes Bild zeigt kurz einen Mann, der sich an einem Baumstamm festhält und in die Ferne blickt. Manche Bilder stehen einsam. Keine Verführung, kein Blick außer jene Flüchtigkeit, die uns manchmal in der Nacht aufschrecken lässt, ob wir nicht doch etwas entscheidendes übersehen haben während des Tages. Die Verführung wird körperlich, nicht symbolisch, nicht codiert. Sie wird unberechenbar, sie wird – wie Malkovich als Casanova erklärt – variiert. Was der Film nicht beantwortet, ist warum am einen Tag ein Blick die Welt bedeuten oder verändern kann und er am anderen Tag einfach an uns vorbei weht, als hätte es ihn nie gegeben. Vielleicht kann man das nur spüren, wenn man den Film zweimal sieht und sich einmal von ihm verführen lässt und einmal nicht.
Wir zeigen den Film gemeinsam mit Helena Wittmanns Drift am Mittwoch, den 13. März um 20:15 Uhr im Filmhaus am Spittelberg im Rahmen unserer Reihe Balkanrouten.