Träume. Werden sie in Erfüllung gehen oder zerfallen? Während sich ein junger Mann in einer abgeschiedenen Gegend Armeniens nach einer Partnerin sehnt, kämpfen am anderen Ende des Landes zwei junge Frauen für eine gendergerechte Zukunft. Die Fahrstuhlführerin hingegen träumt von den Sternen.
Der Beginn des Filmes 5 DREAMERS AND A HORSE scheint Mischa Hedinger auch passend als Einleitung für das Gespräch mit dem Filmemacher Vahagn Khachtryan und dem Editor Federico Delpero Bejar zu sein. Der Reiter, der mit seinem Pferd durch die weiße Weite galoppiert, erscheint wie ein Traum. Doch plötzlich fällt das Pferd und wir erwachen. Es ist ein Film über Träume, aber auch über die Realitäten unterschiedlicher Generationen, der Gesellschaft Armeniens, in der Frauen noch immer für die Ehe gekidnappt werden können. Es ist kein Frieden für die LGBTQ+-Community in Sicht. Hedinger erkennt unterschiedliche Vorstellungen der Träumenden, sowie des Regisseurs und der Zukunft, aber auch das Gefühl der Stagnation.
Die Frage, wie viel Fiktives in dem Dokumentarfilm steckt, kann auch Khachtryan nicht beantworten. Er selbst arbeitet mit Menschen, um ihren Wirklichkeiten einen Raum zu geben. Die darstellenden Personen wurden im Laufe des Filmes selbst zu Regisseur:innen. Wie viel Fiktion also im Kaffeesatzlesen der alten Dame oder im Kartenspiel der Mädchen ist, muss das Publikum sich selbst beantworten.
Das Konzept des Films scheint sehr natürlich entstanden zu sein. Seine Arbeit begann vor einigen Jahren mit seinem Neffen, der damals unbedingt ein Pferd haben wollte, das sich die Familie aber nicht leisten konnte. Als Khachtryan einige Jahre später nach Armenien wiederkehrte, hatte sein Neffe zwar ein Pferd, aber wollte nun eine Frau. Im selben Jahr, 2017, traf er den Co-Regisseur Aren Malakyan. Sie fingen an, über die Träume verschiedener Generationen zu sprechen und suchten nach Charakteren, die nach den Träumen ihrer Kindheit strebten, erklärt Khachtryan nach einer Publikumsfrage.
Der filmische Prozess scheint, genau wie das Konzept, einen organischen Vorgang zu haben. Khachtryan ist nicht nur Regisseur, sondern auch Kameramann und Freund – es war eine Entwicklung in jeder Hinsicht. Das Gefühl sollte stimmen und so entstand auch ein Gefühl für die verschiedenen Kamera-Positionen, Bewegungen und Charaktere.
Wie kam es aber dazu, dass man nur drei anstelle der fünf Personen, wie im Filmtitel beschrieben, zu sehen bekommen hat? Federico Delpero Bejar erklärt, dass es schwierig war, alle Geschichten auf eine natürliche Art und Weise zu verbinden. Sie seien alle interessant, aber am Ende sei eben ein Fluss aus dem Schweben, Aushalten und Bewegen entstanden, welcher die Generationen und Personen auf natürliche Weise verbinde. Der Reiter beispielsweise sollte die Darstellung von Tradition wiedergeben und das Gefühl der Weite erwecken. Die Frau im Aufzug hingegen sei eingesperrt und isoliert, weswegen sie nach Weite strebe, ergänzt der Regisseur.
Hedinger wundert sich, warum am Ende die Häuser, fremde Menschen, Explosionen und die große Demonstration mit tausenden von Menschen gezeigt werden. Khachtryan entpuppt sich selbst als einer der Träumenden, dessen Wünsche eben 2020 durch den Krieg gestorben sind.
Durch die Explosionen und die Darstellung der Massendemonstration stellt sich das Publikum auch die Frage, wie der Film in Armenien selbst angekommen ist und ob dieser überhaupt gezeigt werden durfte. Der Film wurde in Armenien staatlich gefördert und dort schon zweimal gezeigt. Bei der Premiere selbst wären auch die Darsteller:innen, zum Teil mit Frau und Kind, gekommen. Manche Träume erfüllen sich, während andere sterben. Khachtryan gesteht, dass er Angst vor der internationalen Reaktion hatte, aber irgendwie habe jede:r den Film am Ende gefühlt und verstanden. Der Traum ist am Ende also auch das Träumen selbst. Doch Träume scheinen sich vor allem dann zu erfüllen, wenn man auf dem Weg dorthin nicht allein ist.
Von Fabia Suhl