Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Eine Zahnbürste im Kino

Vor kur­zem saß ich im Kino und ganz ohne Vor­ah­nung sehe ich plötz­lich eine Zahn­bürs­te auf dem Sitz vor mir lie­gen. Wenigs­tens ist es ein Frei­luft­ki­no, dach­te ich mir, ohne zu wis­sen wes­halb. Ich konn­te das Rät­sel nicht lösen. Bei Ste­ven Spiel­berg mei­ne ich Kin­der beim Zäh­ne­put­zen gese­hen zu haben, oder waren es jun­ge Bor­der­line-Frau­en vor ihrem ers­ten Mal mit der Pas­te auf den schmut­zi­gen Fin­gern? Dabei wäre es sicher nicht schlecht, nach dem Kino Zäh­ne zu put­zen, schließ­lich muss man ja auch ver­dau­en. Okay, wo gibt es Zäh­ne? Natür­lich bei den gro­ßen Raub­tie­ren (wie­der Spiel­berg, hat er etwas mit Zäh­nen?), Tom Hanks hat sich womög­lich bei Robert Zeme­ckis (wie­der Spiel­berg) einen Zahn mit den Kufen eines Schlitt­schuhs sozu­sa­gen ope­ra­tiv ent­fernt in „Cast Away“. Dra­cu­la, ja sicher­lich. Ich erin­ne­re mich wie­der an mei­ne Erfah­run­gen mit Dario Argen­to vor eini­ger Zeit in Linz. Er beißt. Er beißt. Da muss man eine Zahn­bürs­te parat haben. Sicher­lich auch bei Albert Ser­ra (nicht Spiel­berg, ganz sicher nicht) und sei­nem „His­tòria de la meva mort“, aber noch siche­rer eigent­lich bei sei­nem „Honor de caval­le­ria“ und „El cant dels ocells“. Wer außer Ser­ra könn­te sich die Fra­ge stel­len, ob Sancho Pan­za oder die Hei­li­gen Drei Köni­ge nicht auch mal Zäh­ne put­zen muss­ten. (Mein Ein­druck war, dass Alko­hol rei­nigt). Frü­her muss­te ich immer Zäh­ne­put­zen beim Fern­seh­schau­en und dann durf­te ich noch eine hal­be Stun­de wach­blei­ben. Viel­leicht liegt dar­in die Bedeu­tung jener omi­nö­sen Zahn­bürs­te in einem Frei­luft­ki­no in Wien. Sie wird gezückt, wenn der Film sich dem Ende zuneigt bezie­hungs­wei­se die Geduld der Zuse­her ähn­lich wei­ßer Tücher in spa­ni­schen Are­nen. Eine Zahn­bürs­te ver­mag so eini­ges zu bedeu­ten, in einem Film. Sie kann einen exis­ten­tia­lis­ti­schen Moment ein­läu­ten, schließ­lich ver­bin­det man den Akt des Zäh­ne­put­zens immer mit Spie­geln. Mehr noch liegt dar­in ein Auto­ma­tis­mus, der sich das gan­ze Leben nie ändert. Es sind immer die glei­chen Bewe­gun­gen. Vie­le Fil­me­ma­cher ver­wei­sen auf den All­tags­trott, wenn sie Figu­ren geis­tes­ab­we­send Zäh­ne put­zen las­sen. Schließ­lich dient die Zahn­bürs­te im Kino auch als Rhyth­mus­in­stru­ment. Ähn­lich wie Bil­der eines Son­nen­auf­gangs oder Son­nen­un­ter­gangs, einer Uhr oder Kalen­der­blät­ter kann so das Begin­nen oder Ver­ge­hen eines Tages ange­zeigt werden.

Stranger than Fiction

In „Burn after Rea­ding“ von den bei­den Brü­dern (nicht die Darden­nes oder Tavia­nis) checkt Geor­ge Cloo­ney immer wie­der sei­ne blit­ze­blan­ken Zäh­ne oder…nein…es ist „Into­le­ra­ble Cruel­ty“, einer die­ser Fil­me, der im Titel schon alles sagt. Viel­leicht hat bei Dar­ren Aro­nof­sky mal jemand in einer Hip-Hop Mon­ta­ge hek­tisch sei­ne Zäh­ne geputzt (mit dickem Sound und so), aber wen inter­es­siert das? Ich glau­be es gab Zahn­bürs­ten bei Kubrick. Und dann gibt es die­se Sze­ne in Ber­nar­do Ber­to­luc­cis „The Drea­mers“, der Alb­traum aller Zahn­bürs­ten-Benut­zer und Zahn­bürs­ten. Denn Micha­el Pitt pisst mehr oder weni­ger ver­se­hent­lich über ein Exem­plar, das am nächs­ten Mor­gen vom fran­zö­si­schen Beau mit den Wuschel­haa­ren (er spielt bei sei­nem Vater und bei sei­ner Ex-Freun­din, die bei Spiel­berg gespielt hat auch) nichts ahnend benutzt wird. Das ist Sus­pen­se. Wir wis­sen etwas, was er nicht weiß. Aber die­se Zahn­bürs­te, die ich im Frei­luft­ki­no betrach­te­te, sah harm­los aus. Ich den­ke an „Dog­tooth“ von Gior­gos Lan­t­hi­mos. Zurück zu Kubrick: Das fal­sche Gebiss in „A Clock­work Oran­ge“, die­ser groß­ar­ti­ge, absur­de Chap­lin-Moment bei Kubrick. Natür­lich spricht nichts dage­gen, sich im Kino die Zäh­ne zu put­zen. Man­cher mag bes­ser atmen kön­nen, manch einer mag viel­leicht den Geschmack lie­ber als jenen von Pop­corn (und das Gan­ze ist auch nicht so laut).Vielleicht ist Abbas Kiaros­t­amis „The Tas­te of Cher­ry“ ein heim­li­cher Wer­be­spot für Zahn­pas­ta? Ein Fil­me­ma­cher, der förm­lich nach dem Gebrauch einer Zahn­bürs­te schreit, ist Xavier Dolan, schließ­lich sieht bei ihm alles so aus wie Kau­gum­mis und das ist-wie wir alle wis­sen-schlecht für die Zäh­ne. Ein fas­zi­nie­ren­des Objekt. Chris­toph Waltz fährt mit einem Zahn auf sei­ner Kut­sche durch den Wil­den Wes­ten in „Djan­go Unchai­ned“ von Quen­tin Taran­ti­no. Spä­ter ent­hüllt der Zahn noch Geheimnisse.

Hotel Chevalier2

Wie wenig Zäh­ne­put­zen jedoch brin­gen kann, egal ob im Wil­den Wes­ten oder sonst­wo ist in John Schle­sin­gers „Mara­thon Man“ sicht­bar. Die Fol­ter­sze­ne beim Zahn­arzt hat wohl jedem der nach „Psycho“ Schwie­rig­kei­ten mit dem Duschen hat­te, nach „Jaws“ (ahhhh da ist er ja der Spiel­berg und die Zäh­ne von sei­nem Hai sind groß) ungern Baden ging, ein Leben mit schlech­ten Zäh­nen beschert. Ich habe das Gefühl, dass ich schon tau­sen­de Zahn­bürs­ten im Kino gese­hen habe. Aber nie so wirk­lich, nie bewusst. In „Lemminge:Arkadien“ von Micha­el Han­eke (ganz sicher nicht Spiel­berg) nimmt die jun­ge Frau ihre Zahn­putz­sa­chen mit als sie zum ers­ten Mal beim jun­gen Mann über­nach­tet. Ein zärt­li­cher Moment der Unschuld. Die Zahn­bürs­te hat etwas Unschul­di­ges. Oder nicht? In „Hotel Che­va­lier“ von Wes Anderson/​Anderson Wes (Schreib­wei­se aus Sym­me­trie-Grün­den) putzt Nata­lie Port­man ihre Zäh­ne im Bad von Jason S. Sie nimmt ein­fach die Zahn­bürs­te, nach­dem sie zuvor schon auf einem Zahn­sto­cher her­um kau­te. (Zahn­sto­cher bevor­zugt auch Ryan Gosling) Sie redet und wir ver­ste­hen nicht ganz, was sie sagt. Im Hin­ter­grund steht Jason S. mit Blu­men. Dann spült sie aus, denn auch das gehört dazu. Antoine Doi­n­el (spä­ter war sein Erfin­der mal bei Spiel­berg zu sehen) spricht lie­ber mit dem Spie­gel vor dem Schla­fen­ge­hen, statt die Zäh­ne zu rei­ni­gen. Aber eine Fra­ge des Kinos muss natür­lich schon sein: War­um soll­te sich Antoine Doi­n­el die Zäh­ne put­zen? In „Stran­ger than Fic­tion“ von Marc Fors­ter glaubt Will Fer­rell für eini­ge Momen­te, dass sei­ne Zahn­bürs­te mit ihm spricht. Er hört eine Stim­me, die sein Leben lenkt. Es ist nicht so absurd eine sol­che Stim­me in der ein­ge­trich­ter­ten Sim­pli­zi­tät einer Zahn­bürs­te zu suchen. Für vie­le ist das Zäh­ne­put­zen auch der letz­te Schritt vor dem Träu­men, also dem Kino. Sie dort­hin mit­zu­neh­men, ist als wol­le man frü­her träu­men, als wol­le man schon beim Zäh­ne­put­zen träu­men. Am Ende der Vor­stel­lung war die Zahn­bürs­te verschwunden.