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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Filmfest München: Trois souvenirs de ma jeunesse von Arnaud Desplechin

Arnaud Desplechin kehrt mit Trois souvenirs de ma jeunesse nicht nur zurück zu bereits bekannten Figuren, sondern vor allem zurück zu seiner alten Lebendigkeit. Dieser Film, der eine Vorgeschichte zu Comment je me suis disputé… (ma vie sexuelle) erzählt und dennoch völlig eigenständig funktioniert, beinhaltet eine Energie, die man als die dynamische Melancholie einer Jugend bezeichnen kann, die ständig im Begriff ist, sich aufzulösen und die dennoch bis in die Augen und den Schmerz der Gegenwart pulsieren. Anders könnte man formulieren: Trois souvenirs de ma jeunesse ist der Proust-Film, den Olivier Assayas schon immer drehen will. Nun hat Desplechin das für ihn übernommen. Ein Film, in den man sich verlieben muss.

Im Zentrum steht die Figur des Paul Dédalus, den wir hier in unterschiedlichen Phasen seines Lebens begleiten. Vor allem eine als eine Art Agententhriller aufgemachte Episode in der Sowjetunion und die Liebesgeschichte zu Esther bekommen hier eine große Bedeutung. Paul ist jemand, der sich selbst immerzu beobachtet, der sich falsch einschätzt, in dem man eine Kraft und eine Angst zugleich spürt. Nicht nur in dieser Hinsicht kann man durchaus von Desplechins Antoine Doinel sprechen. Ein Mensch, der Geheimnisse behält und Geheimnisse nur mit dem Zuseher teilt. Im ruhigen Blick dieser Figur herrscht eine verliebte Panik und in seiner Wut eine wissende Gelassenheit. Dennoch ist er eine einsame Figur. Zwischen ihm und seiner Umgebung ist ein unsichtbares Glass, das sich wiederum hin in den Zuschauersaal erstreckt. Dieses Glass ist auch eine fehlende Fähigkeit zu lieben, zu fühlen. Paul ist ein Ausgestoßener, ein junger Mann, der im wahrsten Sinne des Wortes seiner Identität beraubt wird. Die Position zum Leben und die Thrillerkomponente erinnern oft gar mehr an La sentinelle denn an Comment je me suis disputé… (ma vie sexuelle). Wie in La sentinelle werden politische Ereignisse, wie der Fall der Berliner Mauer umgehend auf ihre persönliche Bedeutung überprüft. Politik bestimmt hier ein Leben, zu dem es keinen Zugang hat.

My Golden Years
Mathieu Amalric in seiner Rolle als Paul Dédalus

So oder so, Desplechin bleibt ein Soft-Spot Catcher, einer der wenigen, die es schaffen großes Kino zu machen, ohne dass sie sich in einer Krise der Repräsentation befinden. Man kommt nicht umhin, so besetzt und schwierig ein solcher Begriff ist, diesen Film als lebensnah zu bezeichnen. Wie in den besten Filmen von Desplechin bekommt man dieses Truffaut-Gefühl, diese Freiheit in der Kontrolle der kinematographischen Sprache. Als herausragendes Beispiel dient dafür die vielfältige Art und Weise, in der hier die zahlreichen Briefe vorgetragen werden. Das kennen wir auch schon von Desplechin, aber in Trois souvenirs de ma jeunesse herrscht eine Monikaesque Leichtigkeit in der Traurigkeit, wie bei Bergman und Harriet Anderson liegt die Vernichtung gerade in dieser Lockerheit der Jugend und dadurch, dass uns diese jungen Gesichter immer wieder ansehen, wenn sie ihre Briefe vortragen, können wir ihr Verlangen und ihre Zeitlichkeit in einer berührenden Direktheit erleben.

Ein Kuss in diesem Film ist die einfachste Schönheit, die man sich vorstellen könnte. Er passiert einfach und doch so unendlich kompliziert. Die Tiefe von Gefühlen läuft hier an den Figuren vorbei und erst in der Erinnerung an ihre Jugend wird die Tragweite ihrer Liebe bewusst. Darin liegt das Melodramatische, für das man aber kaum Zeit hat, weil das Leben bei Desplechin immer weiterläuft, unaufhaltsam und geheimnisvoll. Und so mag man ihm romantische Einstellungen mit dem Eiffelturm nicht nur verzeihen, nein, sie sind sogar absolut notwendig, weil sie gleichzeitig von der Erinnerung wie von der Wahrnehmung durch die Augen der Jugend sprechen, etwas aufgeladenes, das man trotzdem nicht festhalten kann, die unglaublichsten Momente huschen hier nur vorbei, dort wo andere Filmemacher in Liebesfilmen die Unendlichkeit eines Augenblicks festhalten, weil sie mehr sehen als ihre Figuren, da fliegt Desplechin schon weiter und greift somit nach der wahren Essenz dieser verlorenen Schönheiten. Zu seinem und unserem Glück ist diese Flüchtigkeit prädestiniert für das Kino und so entfalten sich bei aller proustianischen Romanhaftigkeit der Erzählung, filmische Kräfte, die weit darüber hinausreichen. Kleine Gesten, die sich wiederholen, Handlungen am Rand der Bilder, die von einer Sehnsucht erzählen oder die äußerst energetische Verquickung von Musik und Bild.

My Golden Years

Desplechin vermag das Gefühl einer ersten Liebe, zu einer lebendigen Schönheit der Verunsicherung zu machen und dadurch wirkt der Film eher wie eine Dokumentation über die Erinnerung an eine Jugend als eine Fiktionalisierung irgendwelcher Ereignisse. Desplechin haucht Leben in Persönliches und lässt sich dann ins Treiben seiner Welten sinken oder besser, er lässt sich vom Strom dieser jugendlichen Lebendigkeit mitreißen und erzeugt so erst in dieser Differenz zwischen der Erzählperspektive und der Kraft von Bildern und Musik jene Melancholie, die andere in die Bilder und Töne selbst legen. In diesem Sinn ist Trois souvenirs de ma jeunesse sicherlich verwandt mit US Go Home von Claire Denis und – der Filmemacher nannte diesen Film selbst als Einfluss – Superbad von Greg Mottola. Erwachsenwerden als Gefühl, als Bedauern, als Leichtigkeit, als Schönheit, als Grauen, als Vergangenheit.