Die mancherorts gesungenen Hymnen auf Yorgos Lanthimos Poor Things feierten in erster Linie seine außergewöhnliche Figur Bella Baxter gespielt von Emma Stone und weniger den Film. Dabei könnte einfallen, dass während ihrer Abwesenheit noch ein zweites Experiment stattgefunden hat, dessen Erfolg sich konträr zu Baxter nicht richtig einstellen wollte. Womöglich zur Bestätigung der Versuchsanordnung oder als Form des Ersatzes versuchen Dr. Godwin Baxter und sein Assistent Max McCandles abermals einer namenlosen Frau das Gehirn ihres ungeborenen Kindes einzusetzen. Sie wird Felicity getauft, entwickelt sich nur zögerlich und bleibt unter der Obhut der beiden freudig-fanatischen Ärzte, anstatt sich wie ihr Vorbild Bella zu emanzipieren. Um den Fehlschlag endgültig zu karikieren und jede Hoffnung aufzugeben, greift der Film, der sonst um satirischen Witz bestrebt scheint, zum sinngemäß sprachlosen, aber auch rohsten Mittel: Ein Ball wird geworfen und trifft den Kopf der unglücklichen Patientin. Dieser drastische Moment fällt scheinbar aus dem Film heraus, indem er den Widerspruch insinuiert, dass der Körper immer noch funktionieren kann, während der Kopf leer bleibt. So bleibt in dieser Szene des Films im Gegensatz zu den meisten anderen etwas Unvollständiges erhalten, was meist nur verunsichertes Lachen hervorruft. Gleichzeitig wirkt es, als ob sich der Film selbst seiner Grenzen vergewissern wolle und diesen Moment benötige, um seinen angeblich feinen Witz an anderer Stelle zu bestätigen. Dort, wo sonst barocke Narrheiten oder opulente Exzesse aufgetürmt werden, hilft plötzlich nur noch vermeintlich primitiver Slapstick.
Der demütigende, unfreiwillige Kopfball steht vielleicht der präzisen Chirurgie in ihrer Brutalität kaum nach – in beiden lebt schließlich ein gewaltvoller Witz. Humor, der ohne Worte funktioniert. Bei Lanthimos müssen dazu Köpfe rollen, getauscht werden, seltsam aussehen oder sonderbare Dinge vollführen, zumindest müssen sie getroffen werden, auch im übertragenen Sinn. Diesbezüglich könnte der Verdacht aufkommen, dass die burleske Komik des Films allein darin bestünde, den dahinterliegenden Ernst zu überlisten, indem man ihn bloß enträtselt. Beispielsweise löst sich die sexuelle Bedrängnis in der Kinderzimmerszene zwischen Bella Baxter und Duncan Wedderburn unumwunden in Lustempfinden auf, wenn zuverlässig angedeutet wird, dass doch beide angeblich mündig sind. Jedoch braucht es dafür erst den metaphorischen Schlagstockknall eines unzweideutigen Blicks, mit dem sich das gestörte Empfinden durchs Lachen befreit fühlen darf. Frieda Grafe schrieb, dass die Burleske die Munition im Kulturkampf war. Die Geschichte der Komödie ließe sich in diesem Film, der sich der Ästhetik einer fiktiven, rationalistischen Industriemoderne anverwandelt, wiederentdecken, allerdings kommt vielmehr ihre geschichtslose Pervertierung, ihre Farce, zum Vorschein. So wird in dieser Weise kaum zum befreiten Lachen angeregt, sondern eher versucht, das richtige Maß einzuüben. Die Absicht besteht nicht in der Verzerrung der Realität, wie sie in der Tradition der Groteske steht; eher dreht es sich darum, die realen Anspielungen des Films zu erkennen und damit pädagogisch aufzuarbeiten. Im Pointen-Feuerwerk fühlt sich der Film so aber eher wie ein dumpf hämmerndes Kopfweh oder undefinierbare Magenschmerzen an, an die man sich eventuell irgendwann gewöhnt, ohne zu verstehen, was sie überhaupt auslöst. Lanthimos versucht mit Poor Things, die vermeintlich kleinen Sorgen in aufreizenden Dekors zu verstecken, womit er sich aber nur mit ihrem Schein, nicht aber ihrer Wirklichkeit beschäftigt: Warum sich Victoria alias Bella Baxter ab der ersten Minute des Films von der Brücke stürzen will, muss dann nicht verhandelt werden. Denn als könne man das schon irgendwie verstehen, reicht es wohl, sich damit abzufinden, die alltäglichen Qualen vorzuführen, als seien sie Pausennummern zum Mitsingen, oder eine Visite vom Arzt, der nach kurzer Anamnese ein notdürftiges Rezept ausstellt.
Wenn ein Ball auf einen Kopf trifft, dann möchte man verwundert fragen, als wäre man selbst getroffen, wen das heute noch zum Lachen bringt, was gleichsam heißen könnte, wem das heute noch wehtut. Wahrscheinlich sind es jene, die wissen, wie es sich anfühlt und darin den Anachronismus entdecken. Slapstick heißt: Es schlägt, wer sonst geschlagen wird. Paradoxerweise ruft dieses Zurückschlagen in Erinnerung, welche Gewaltverhältnisse sich unaufhörlich normalisieren. Demgegenüber will Poor Things seine eigene Geschichte am liebsten betrauern, wenn nur dieser kurze Ausbruch wie ein Unfall zugelassen wird, um dann wieder verschreckt ins Indirekte, ins Innere zurückzukehren – möglicherweise, weil der Film seiner Geschichte selbst nicht traut. Seine Handlung stellt sich nicht gegen die Zumutungen der Realität, sondern nimmt sie allmählich an und baut sich am Ende ein umzäuntes utopisches Kleinod, in dem schon vorher operative Eingriffe nicht nur das Experiment, sondern immer auch dessen Hygiene bedeuteten. Gedanken reifen unter Laborbedingungen in einem Kopf, der ständigem Protokollieren untersteht. Analog zum unfreiwilligen Kopfball sollten alle herangetragenen emanzipatorischen Diskurse hieran abprallen und gleichzeitig die innere Leere zurückspiegeln, wenn auch sie versuchen nur nachzuzeichnen, was womöglich gar nicht vorhanden ist. Der Film rennt offene Türen in den Arztpraxen der Kritik ein. Nur an der Dumpfheit des Aufpralls müsste man sich stoßen und aufgerüttelt erinnern, dass darin vielleicht immer noch die humanste Form der Gewalt liegt, die die Figuren des Films erleiden müssen. Sie kommt von außen, nicht von innen. Bevor man sich vom Taumel erholt, der in den arbiträren Bildern nachhallt, mag diese somatische Läsion aber schon längst wieder vergessen sein. Schon Karin Prohaska sang, bis zur Hochzeit sei alles wieder gut.