Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

La Empresa über la empresa von El Alberto

„Noch am Abend ihrer Vertragsunterzeichnung steigen die Deutschen einen Hügel hinauf und versuchen von dort, die Ostseite des Dorfes zu erfassen.“ Ein idyllisches Bild des genannten Dorfes im Mondlicht. Aber viel ist eigentlich nicht zu sehen. Die Kamera schwenkt, zoomt rein, zoomt wieder raus, versucht zu fokussieren, sucht nach dem richtigen Bildausschnitt. Ja, was suchen wir hier eigentlich, fragt sich auch das Filmteam (die Deutschen).

Das Dorf El Alberto und seine Hauptattraktion (Caminata Nocturna), eine Simulation einer illegalen Grenzüberquerung, bei der Touristinnen in die Rolle von Migranten schlüpfen, während Dorfbewohner den Grenzschutz, Schlepper und Drogenbanden mimen. Die Deutschen sind nicht die ersten, die sich für diese Simulation interessieren, die darin ein reizvolles filmisches Motiv sehen. Andere Filmteams aus der Welt waren auch schon da, haben Dokumentarfilme, Spielfilme, Telenovelas, journalistische Beiträge über die Caminata Nocturna gedreht. Das Dorf verwaltet neben der Attraktion der Simulation auch das filmische Interesse daran, es ist längst ein Unternehmen (la empresa) geworden. Und das Unternehmen (La Empresa) des deutschen Filmteams?

Die Bilder, die die Deutschen drehen, sind schön. Sanft abgestufte Schwarz-Weiß-Töne. Weite, mittelamerikanische Landschaften, ein paar Häuser, Vögel zwitschern, Bäume rascheln, Menschen gehen friedlich ihrem Alltag, ihrer Arbeit nach. Cinematisch sind diese Bilder, könnte man fast sagen. Aber das Format ist ein bisschen zusammengestaucht. Cinemascope ist das dann doch nicht. Das Bildformat suggeriert Bescheidenheit, erinnert – wie auch viele andere künstlerische Filme heutzutage – eher an ein Fernsehformat, in das die filmische Landschaft nicht ganz rein passen muss. Oder ist es vielleicht die Erzählstimme, die die Assoziation zum Fernsehformat weckt? Die routinierte Monotonie der Stimme erinnert an die Professionalität (vermeintliche Objektivität) eines Fernsehreporters. Nur ist die diese so übertrieben, dass sie schon ins Gelangweilte kippt und die Ironie dabei deutlich wird. Das Unterfangen der Deutschen hat etwas Absurdes, dessen sind sie sich bewusst. Die sorgfältige Komposition macht auch deutlich, dass die Assoziationen an verschiedene mediale Zugänge gewollt sind. Spielfilm-Inszenierung, Reportage, Interviews, Reenactment, Beobachtung – all dieser Formen bedient sich La Empresa und betont damit die Konstruktion der Dokumentation.

Wie kann ein reales Ereignis (der illegale Grenzübertritt) ästhetisch erfahrbar gemacht werden? Die Caminata Nocturna bietet die Simulation einer körperlichen Erfahrung an, indem sie das reale Ereignis als Reenactment nachstellt. Das deutsche Filmteam dokumentiert diese Inszenierung. Oder inszeniert es die Inszenierung? Erzählt La Empresa etwas über Migration oder vielmehr über die Darstellung von Migration? Die Caminata Nocturna ist selber schon eine Darstellung von Migration. Bleibt den Deutschen, die Darstellung von Migration darzustellen? Auch das haben schon andere gemacht, die internationalen Filmteams sind in El Alberto nicht zu übersehen. Außerdem regnet es beim ersten Versuch auch noch. Dann werden eben diese schon gedrehten Darstellungen der Darstellung von Migration dargestellt, denn die laufen in El Alberto sowieso auf den Bildschirmen. Die filmische Darstellung (La Empresa) einer filmischen Darstellung (die andere Doku) einer Darstellung von Migration (die Caminata Nocturna).

Bei all dieser Inszenierung und Inszenierung von der Inszenierung scheint die Unterscheidung von Dokumentarfilm und Spielfilm nur bedingt sinnvoll. Den Mitarbeitern aus El Alberto ist das sowieso klar. Telenovelas oder Dokumentarfilme mit Schauspielerinnen, alles wird in einem Atemzug genannt, denn so oder so: „Wir verkaufen eine Geschichte“, aber das Persönliche der Dorfgemeinschaft ist dabei nicht im Vertrag enthalten. Gedrängt in die Distanz richten die Deutschen ihren Blick auch auf die eigene Position. Und von dort aus der Außenperspektive werden die Spuren, die Auswirkungen, die medialen Vermittlungen der Migration in den Blick genommen, die Geschichten. Ein ‚tatsächliches‘ Bild des Grenzübertritts ist für dieses Unternehmen das Unwichtigste. Wichtiger scheint ein Schmunzeln über das dokumentarische Filmemachen, über die verschiedenen Möglichkeiten ästhetischer Darstellung.

Es bleibt eine Unsicherheit darüber, ob diese distanzierte Ironie vielleicht auch bequem ist. Weil man beim Herstellen von Nähe so viel falsch machen kann. Eine Unsicherheit darüber, wie offen die Selbstreflexion eigentlich ist, oder ist es inszenierte Transparenz? Wie kalkuliert ist die dargebotene Ratlosigkeit? Geht es denn mehr um Simulation als um Migration? Und werden in diesem Schmunzeln all diese Fragen aufgeworfen oder umgangen?

von Anna Stocker