Leos Carax.Regisseur

Man sollte die Augen öffnen und sich einfach von den Emotionen leiten lassen. Sag eine Nummer: 1,2,3!

Boy meets girl

Boy meets Girl

Das Kino von Leos Carax ist keines durch das man langsam gleitet, keines das sich zusammenhängend erschließt. Ich weiß noch als ich zum ersten Mal einen Film von Leos Carax gesehen habe, war ich mit offenem Mund da gesessen und wusste nicht mehr, was ich fühlen soll. Dieser Film war „Les Amants du Pont-Neuf“ und man hatte mich auf ein besonderes Erlebnis eingestellt, aber nicht darauf. Magie. Kino ist Magie bei Carax. Die Lichter spiegeln sich auf dem Wasser und die nackte Fatalität der Figuren scheint sich in die filmische Sprache selbst verwandelt zu haben. Immer wieder gibt es wahnsinnig schnelle Parallelfahrten bei Carax und man hat das Gefühl, dass Charaktere und Kamera aus den Filmen flüchten wollen. Bis zu dessen Tod arbeitete Carax, dessen Name eine Art Anagramm aus seinem tatsächlichen Namen Alexandre Oscar Dupont ist, mit Kameramann Jean-Yves Escoffier zusammen und bei ihnen ist jedes Bild ein Plakatmotiv. Die Flucht vor der Filmwelt, vor den Oberflächen und letztlich der Materialität findet sich immer bei Carax. Es ist als wären seine Figuren eingesperrt im Rahmen des Bildes und so reibt Alex, der meist so heißt und meist von Denis Lavant gespielt wird in „Les Amants du Pont-Neuf“ seinen Kopf gegen den Asphalt als wollte er entweder diesen oder sich selbst auflösen, wie wenn Lavant in den Punkten des Motion Capture Systems in „Holy Motors“ verschwindet oder wie Juliette Binoche seinen Blicken in „Mauvais Sang“ als eine tatsächlich gefilmte Gänsehaut entgleitet und doch in ihm bleibt, das dampfende Bad in „Pola X“, die Sterne in „Boy meets Girl“:

Spiegel,

Schatten,

Licht,

Berühre mich

1. Spiegel

Holy Motors

Holy Motors

In vielerlei Hinsicht macht Carax immer einen Film über das Kino. Sei es in seiner dadaistischen Variation auf japanische Horrorfilme (das wird seinem Beitrag zum Omnibusprojekt „Tokyo!“ nicht mal annähernd gerecht…) „Merde“, seien es Bresson-Zitate in „Mauvais Sang“, hunderte Zitate dort und überall, das Schauspiel in „Holy Motors“ und vieles mehr. Bei ihm spielen Schauspieler auch immer im Bewusstsein ihrer bisherigen Karrieren. Man sieht das natürlich bei Lavant, den Carax in vier seiner fünf Langfilme vor Spiegel stellte, aber auch bei Édith Scob oder Juliette Binoche. Binoche ist der schönste Geist der Filmgeschichte, ein Wesen, das die Zeit anhält, jedes Mal halten seine Filme beim Blick auf sie, bewundernd, ängstlich, heilig und erkennen in ihr das ganze Kino. Kein Wunder, dass Carax sich selbst vor die Kamera bewegte. Zum einen am Beginn von „Holy Motors“ als schleichender Voyeur im Kino, als einsames Wesen hinter unseren Blicken und dann in seinem Viennale-Trailer „My last minute“. Seine Einflüsse sind nicht zu greifen, weil sie nichts im Kino verneinen außer der Gewöhnlichkeit. Jean-Luc Godard und Robert Bresson scheinen offensichtlich, aber auch Georges Méliès, Stan Brakhage, Hollywoodklassiker der 40er und 50er oder Jean Cocteau sind nicht zu weit hergeholt. Carax ist eine Filmexplosion. Er feuert aus allen Rohren der kinematographischen Grammatik. Alleine in welch elaborierter Art er Aufsicht und Untersicht ineinander wirft, wie beim ihm das Artifizielle zum Realen wird und andersherum zeigt, dass Carax ein Mann des Kinos ist, der immer in den Spiegel blickt, wenn er Kino macht. Und machen heißt bei ihm träumen.

Boy meets girl

Boy meets Girl

Musical, Stummfilm, Actionfilm, Horrorfilm, schwarz-weiß Bliss, flache Bilder, tiefe Bilder, schnelle Schnitte, keine Schnitte, Sprünge, Jukebox- oder Orchestersound, Flüstern, Schreien, ein Schwenk, ein Zoom, Found-Footage, Schärfenverlagerung, ein Cache, alles, wirklich alles nur nicht dann, wenn man es erwartet. In der Zeit des cinema du look großgeworden atmet Carax den Geist der Nouvelle Vague weiter, aber er ist ein Individualist, jedes Label wird ihm ungerecht, eigentlich auch jedes Wort. In der wohl herausragenden Arbeit über Leos Carax schlechthin haben Adrian Martin & Cristina Álvarez López auch auf bewegte Bilder zurückgegriffen, um ihre großartigen Gedanken zu Spiegeln und Glasflächen, Türen und Bildern im Kino von Carax zu unterstreichen und zu ergänzen. Ich persönlich habe Probleme zu wissen, was ein Spiegel ist bei Carax. Ich traue den Spiegeln nicht, ich habe das Gefühl sie existieren nicht, ich glaube, dass auf der anderen Seite ein Doppelgänger lauert. In „Pola X“ gibt es einen ganz kurzen Moment, als Guillaume Depardieu seine Familie verlässt und sich ganz kurz in einer Reflektion sieht. In diesem Moment explodiert die Glühbirne und das Licht erlischt zusammen mit der Spiegelung. In „Holy Motors“ taucht eine solche Spiegelung kurz am Autofenster von Kylie Minogue auf. Dort erscheint Denis Lavant und es ist als würde er sich selbst den Weg zur anderen Person verstellen. Insofern passen auch die eingangs beschriebenen Fluchtversuche zu den Spiegeln bei Carax. Denn sie machen klar, dass auf der anderen Seite nichts ist, nur eine Illusion. Man kommt nicht raus aus diesem Rahmen, der früher immer eine Leinwand war (Nostalgie ist nicht falsch mit Leos). Aber das ist in sich ein Spiegelbild, denn statt dem Zuschauer klarzumachen, dass er nur eine Illusion sieht, macht Carax seinen Figuren klar, dass sie nur eine Illusion sind. In „Boy meets Girl“ verharren die sterbenden Liebenden vor einer sich spiegelnden Glasfassade. Sie sehen nur noch die Geister ihrer Träume. Bowie singt und ich will mit Leos weinen. Bei ihm heißt das Kino betrachten auch immer gegen das Kino rebellieren.

2.Schatten

Pola X

Pola X

Carax ist ein Surrealist. Ein Komiker der Schatten. Seine Filme umarmen das Irrationale. Bei ihm springen Gefühle wirklich, sie zerspringen wie die reifen Knospen an einem Springkraut im Frühling. Jedes neue Bild ist bei ihm wieder eine neue Herausforderung, ein neues Spiel. Wer schaut wohin, warum und was (ist) passiert? Für ihn ist sicherlich der Kino-Moment wichtiger als eine Geschichte. Er sucht die perfekten Bilder, die perfekten Töne für den Moment. Wenn es ihm an Körperlichkeit fehlt, dann findet er sie, wenn es ihm an Tränen fehlt, dann findet er sie, wenn es ihm an Gewalt fehlt, dann findet er sie. Am eindrücklichsten zeigen sich diese Neigungen in den musikalischen Eskapismus-Szenen seiner Filme wie beispielsweise der Modern Love Sequenz in „Mauvais Sang“ oder dem Akkordeon-Zwischenspiel in „Holy Motors“. Aber bei genauerer Betrachtung ist eigentlich fast jede Szene eine neue Richtung. Die episodische Struktur von „Holy Motors“ ist nur das weniger subtile Ende dieser Straße bei Carax. Seine scheinbare Willkür in der Form dient genau dieser Unberechenbarkeit. Erst mit der letzten Einstellung erkennt man, dass alles am richtigen Platz ist. Damit will ich nicht sagen, dass in der letzten Einstellung irgendwelche Plotdetails verraten werden, sondern dass sie einen Erinnerungsschock auslöst, der die zerbrochenen Teile zu einem Bild zusammenfügt: Das Blut in „Boy meets Girl“, Binoche rennt bis sie selbst zum Flickerbild wird in „Mauvais Sang“ oder eine unscharfe Vision eines Waldes in „Pola X“.

Les Amants du Pont Neuf6

Les amants du Pont-Neuf

Carax umarmt diese Unschärfe, er liebt das Unsichtbare. Immer wieder verschwinden Figuren aus unserem Blickfeld, er versteckt sie im Rauch seiner Schönheit, hinter Türen, in Autos. Jederzeit spüren wir trotz der Magie bei Carax, dass etwas nicht greifbar ist. Unser Begehren zu Schauen wird geweckt und dann verneint. Er macht uns klar, dass Begehren immer scheitert, aber wir immer dafür fallen werden. Auf narrativer Ebene wird das durch die melodramatischen Liebesgeschichten noch unterstützt, denn Carax erzählt ganz klassisch von einer unmöglichen Liebe gegen die Gesellschaft, gegen die Voraussetzungen, gegen das Leben. Im Zentrum stehen Außenseiter, Neurotiker, einsame Drifter. Sie sind immerzu fremd in ihrer Welt. Das Kino von Carax verbündet sich mit dem Fremden, indem es das Fremde umarmt und huldigt. Das Außergewöhnliche wird zum Genuss, zur Ekstase. Man verliebt sich in Neurotiker, man muss ein Neurotiker sein, um seine Filme wirklich zu sehen, aber wer ist kein Neurotiker? Einer dieser Fremden ist Monsieur Merde, ein Monster aus der Unterwelt, das zuerst in „Tokyo!“ vorkommt und dann auch in „Holy Motors“ aufkreuzt, um Eva Mendes zu entführen. An der Oberfläche ist er ein Monster, aber in der Unterwelt hat er sich ein kleines romantisches Paradies geschaffen. In „Merde“ nutzt Carax die Figur noch für wilde politische Allegorien, in „Holy Motors“ wird sie dann selbst eine Rolle. Jedenfalls ist diese Person der Inbegriff des Ausgestoßenen. Und so fühlt sich wohl auch Carax, der öffentlich seinen eigenen Schatten wahrt, häufig äußerst schüchtern und wortkarg auftritt und meist eine Sonnenbrille trägt. Der Regisseur hat um sich selbst und vor allem um seine Beziehungen zu seinen Hauptdarstellerinnen ein ähnliches Mysterium errichtet wie im zeitgenössischen Kino beispielsweise auch Pedro Costa. Das Mysteriöse, das Unsichere ist Teil ihrer Persönlichkeiten und Teil ihres Kinos. Sie halten damit ein romantisches Bild des Künstlers aufrecht, das es heute eigentlich kaum mehr geben kann. Ihr gemeinsamer Meister: JLG. In den Filmen wird dann konsequenterweise Blindheit thematisiert, die Augen werden in Mitleidenschaft gezogen. In „Les Amants du Pont-Neuf“ verliert die Malerin Michèle langsam ihr Augenlicht. Als eine Behandlung der Krankheit möglich wird, will Alex nicht, dass das passiert, denn das fehlende Augenlicht macht sie zu einer Außenseiterin ganz so wie er ein Außenseiter ist und nur so ist ihre unmögliche Liebe auf der Brücke, unter der Brücke und über der Brücke möglich. Aber das fehlende Augenlicht ist auch eine Verneinung dessen, um was es im Kino geht: Das Sehen. Der weiße, tote Augapfel von Monsieur Merde und seinem Anwalt in „Merde“, die Hände von Lavant über den Augen von Julie Delpy in „Mauvais Sang“, die Maske in „Holy Motors“. Carax will alles sehen und nichts sehen. Und so trennt er verschiedene Einstellungen mit einem kurzen schwarzen Bild, ein Augenzwinkern, ein Schatten auf den Lidern der Zuseher.

3.Licht

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Pola X

Was wir sehen im Kino von Carax sind Frauen. Außer vielleicht bei Ingmar Bergman kann man solche Frauen nicht finden. Solch eine Hingabe zur Poesie des Blicks, die Frauen auf der einen Seite zu Müttern, Huren und Heiligen stilisiert und auf der anderen Seite ihre Individualität feiert, sie völlig frei in die Augen fluten lässt. Er hat ein Auge für fragmentierte Schönheit, wieder sind es Momente, diesmal jene der Frauen. In der 700.Ausgabe der Cahiers du Cinéma hatte Carax auf die Frage nach Emotionen im Kino mit dem gefilmten Nacken von Frauen geantwortet. So wie jener Nacken von Binoche in „Mauvais Sang“, in dem sich das Bild völlig verliert, wieder filmt Carax Gänsehaut. In jungen Jahren hatte er mal gesagt, dass er Filmemacher geworden sei, um mit seinen Hauptdarstellerinnen zu schlafen. Soweit ich es beurteilen kann, ist ihm das gelungen. Aber das spielt keine so große Rolle, denn seine Kamera, sein Mikrofon, sein filmisches Gewissen schläft mit jeder Frau in seinen Filmen. Carax filtert jedes Bild nach seiner schönsten Regung. Er fokussiert mal die Haut, in leichtem sterbenden Licht, dann den Nacken, pulsierend, oft die Augen, die wie das Glas oder die Spiegel leuchten, die oft weinen, manchmal lachen, die krank sind oder sich weigern weiter zu sehen. Er konzentriert sich auf die Füße, auf die Körperlichkeit, elegante Schritte, ein Schweben, Haare, die im Wind wehen. Die Filme von Carax sind Liebesbriefe an die Liebe. Dabei spielt auch immer der Blick selbst eine Rolle im Licht der Frauen. Der Voyeurismus des Kinos ist mit Carax seine größte Stärke. Lavant beobachtet immer wieder die Frauen, steht am Rand, wenn sie mit ihren eigentlichen Partnern zusammen sind, blickt durch Fenster, so wie Carax selbst im Kino lauert. „Boy meets Girl“ ist so ein „Boy looks at Girl“ und die Unschuld darin liegt in der offensichtlichen Schuld. Hier blickt jemand, weil er nicht anders kann. Dabei spielen Körper und ihre Bewegung eine essentielle Rolle. Insbesondere die Körperlichkeit von Denis Lavant wird zu einer Spielfläche der Emotionen bei Carax. Immer wieder wirft Carax körperliche Szenen und Stunts in seine Filme, die eher metaphorisch mit dem Rest des Films zusammenhängen, aber vielleicht auch der wahre Kern, der Herzschlag von Carax sind: Fallschirmsprünge, Wasserskieinlagen samt Feuerwerk, wildes Rennen, Tanzen in Einsamkeit, ein Ausritt auf dem Pferd, Akkordeonmusicalszenen. Es sind athletisch-körperliche Akte, es sind Herausforderungen für die Körper, die in ihrer Unberechenbarkeit und Schönheit von Carax erforscht werden. Er sagt, dass er diese Szenen proben würde, die „normalen“ Szenen nicht.

Mauvais sang

Mauvais Sang

Die Bewegung ist auch eine Sache der Fahrzeuge bei Carax. Motorboote, Motorräder, Flugzeuge, Limousinen. Bei Carax gibt sich alles dem Rausch einer endlosen Bewegung hin, seine Kamera ist nicht geduldig, sie fährt nach vorne und hinten, sie sucht in jedem Bild die Schönheit, man hat jederzeit das Gefühl, dass sie sich bewegen möchte, selbst wenn sie steht. Dazu träumen David Bowie oder Scott Walker und man ahnt, dass es sich nur um Träume handeln kann. Das Licht bei Carax ist ein Licht der Träume, der Wünsche. Die Irrationalität hängt mit einer Traumlogik zusammen, die manchmal in eine Hysterie kippt, die man sonst etwa von Andrzej Żuławski (der am selben Tag wie Carax und einem anderen Hysteriker, nämlich Terry Gilliam Geburtstag hat) kennt. Licht ist nicht immer natürlich hier, sondern Ausdruck einer Emotion. Und impressionistische Züge weißen bei Carax immer zurück auf die Realität, denn sie entsprechen der Wahrheit einer Wahrnehmung. Die Ästhetisierung und Stilisierung ist eine Reflektion des Blicks. Sie sagt etwas über denjenigen aus, der etwas sieht und sie sagen etwas über das Sehen an sich aus, denn das Sehen ist bei Carax immer eine Konstruktion von Begehren.

4. Berühre mich

Pola x

Pola X

Carax dreht die letzten Liebesfilme des Kinos. Die Weltsicht seiner Filme ist durch und durch von Romantik beseelt. Über die fatalen Beziehungen habe ich bereits geschrieben, aber es gibt mehr. In „Mauvais Sang“ geht es auch um eine bedrohliche Krankheit: STBO. Dieser sicherlich an AIDS angelegte Virus befällt Teenager, die Liebe machen ohne zu lieben. Wenn Carax später „Modern Love“ von Bowie spielt, dann ist das sicherlich kein Zufall, denn moderne Liebe, ihr Scheitern und der Drang dieses Scheitern zu ignorieren ist jede Sekunde spürbar. Carax greift nach kleinen Lichtpunkten am Himmel, Sterne, die es nicht gibt. Er ist ein grausamer Schöngeist. In seinen Filmen wir geflüstert und geschrien. Es geht einem durch Mark und Bein. Jede Entscheidung bei Carax ist ein Spektakel. Damit meine ich sowohl die Entscheidungen der Figuren, die ihre Welten und Emotionen mit jedem Schritt aufs Neue an den Abgrund manövrieren und damit meine ich die Regieentscheidungen von Carax, der einen aus einem lockeren Lächeln in eine existentialistische Krise bewegt und wieder zurück. Bis Mitternacht sollten wir einmal gelacht haben. Eine solche Entscheidung betrachten wir zum Beispiel in „Pola X“, eine Entscheidung, die der Liebe folgt, nie dem Verstand. Carax macht vielleicht keine Filme, sondern Liebe. Vielleicht ist es auch gar keine Traumlogik sondern tatsächlich das Paradox einer Logik der Liebe. Die Folge ist Intensität und das Verlangen einfach mit dem Atmen aufzuhören. Seine Blicke sind meist unbedingte Blicke, sie drücken mit einer Faust auf das Herz. Direkt und unverbraucht erreichen die Filme Stellen in mir, die ich nicht kenne. Oft klingen Worte in seinen Filmen wie Lyrik. Sie zielen nicht auf Information, sondern immer auf Emotion, auf das Stottern, den Bruch zwischen den Sätzen, die Einsamkeit des Sprechenden, sein Verlangen, seine Wut, seine innere Zerrissenheit.

Les amants du point neuf

Les amants du Pont-Neuf

Die poetische Montage, die ich mit dem Begriff „Montage der Sinnlichkeit“ beschreiben würde, funktioniert genau gleich wie die Worte der Figuren. Sie wirft einen zurück auf eine andere Wahrnehmung jenseits aller Logik mitten hinein in das Gefühl jedes einzelnen Frames. Er schneidet oft von einem Blick auf ein Gefühl. Die erste Einstellung ist dabei eine Halbnahe oder Nahaufnahme auf den blickenden Charakter, aber der Gegenschuss zeigt nicht, was die Figur sieht, sondern was sie fühlt. So gibt es in „Les amants du Pont-Neuf“ einen dieser plötzlichen Lichtwechsel im Moment des nächtlichen Erkennens als Binoche nur noch die Schemen von Lavant sieht. Oder in „Boy meets Girl“ als Lavant sein Gesicht mit einem Tuch verdeckt, sodass nur mehr die Augen hervor lugen und Mireille betrachtet. Er steht dort und kündigt sich an, er betrachtet sie im Off, Regenwasser dringt durch das Dach in die Wohnung und dann kommt der Gegenschuss, der eben nicht Mireille zeigt, sondern zunächst Schwarz, ein Aussetzen, ein Blinzeln, ein Stoppen, um sofort wieder aufzublenden auf den nassen Boden und die Schuhe von Lavant, der durch die Pfützen geht. Die Kamera schwenkt über diese Pfützen, begleitet vom Rauschen des Regens und die Bewegung wird kontinuierlich fortgesetzt in einer Einstellung, die das Paar umschlungen vor dem sich spiegelnden Fenster zeigt. In der ersten Begegnung der Geschwister in „Pola X“ ist es ein Blick hinter dem Rücken. Depardieu blickt sich um, aber wir erkennen nur die Angst einer weiblichen Person, nicht ihr Gesicht.

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Carax in Holy Motors

Bei Carax tropft das Blut von der Leinwand in meine Erinnerung. Ein Fluss voller Blut und nackter Körper, eine Wunde in der Hand, am Kopf, in der Seele. Schlechtes Blut dringt aus den Kanälen und Carax trinkt aus den Kanälen. Es ist Nacht bei Carax. Jemand ist immer alleine. Heute bin es ich, morgen bist es du. Nein?

Boy meets Girl

Mauvais Sang

Les amants du Pont-Neuf

Pola X

Holy Motors

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