Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Les rêveurs du Pont Neuf: Quatre nuits d’un rêveur von Robert Bresson

Es gibt Far­ben in Quat­re nuits d’un rêveur von Robert Bres­son, sol­che die berüh­ren, sol­che die ver­let­zen, sol­che die verzerren.

Das Schaf­fen von Bres­son wird gern getrennt zwi­schen dem Schwarz/​Weißen und dem Far­bi­gen. War­um wird klar, wenn man sieht, wie sehr er wirk­lich mit Far­ben arbei­tet. Neben Anto­nio­ni und Godard gehört Bres­son zu den weni­gen Fil­me­ma­chern, bei denen der Wech­sel zur Far­be immer eine Ent­schei­dung ist. Heu­te hat sich das irgend­wie natür­lich gedreht und es gibt wenn dann Fil­me­ma­cher, bei denen schwarz/​weiß eine Ent­schei­dung ist. Wohl sei aber bemerkt, dass Godard über Bres­sons Au hasard Balt­ha­zar sag­te: Ein Film in den Far­ben schwarz und weiß.

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Sie klin­gen ähn­lich wie die ers­ten Töne von Chap­lin, die­se Far­ben bei Bres­son. Vor allem Rot ist es in Quat­re nuits d’un rêveur, man sieht es stän­dig. Es ist ein Film über die Lie­be, war­um also nicht die­se Far­be, möch­te man fra­gen. Wie unter ande­rem Luch­i­no Vis­con­tis Le not­ti bian­chi basiert der Film auf Dos­to­jew­skis Novel­le Wei­ße Näch­te. Weiß, weil es in der Zeit um die Sonn­wen­de nicht rich­tig dun­kel wird in St. Peters­burg. Bei Vis­con­ti hat die­ses Weiß eine Über­set­zung in künst­li­chen Schnee­fall bekom­men. Ein Film im Stu­dio, der ähn­lich mit der Fra­ge der Fik­tio­na­li­tät einer Roman­tik umgeht wie zuletzt Die Geträum­ten von Ruth Becker­mann. Statt der Illu­si­on der Wor­te ist es bei Vis­con­ti jene der gan­zen Welt, der Umge­bung, der Zeit­lich­keit, des War­tens zusam­men, des Tan­zes, des Schnee­falls. Auch wenn man das Gefühl hat, dass die Figur von Mastroi­an­ni den gan­zen Film über weiß, dass das eigent­lich nichts wer­den kann, viel­leicht. Die Geschich­te ist letzt­lich trotz vie­ler Anpas­sun­gen die glei­che bei allen drei Künst­lern. Ein Mann trifft eine Frau, die auf ihre Lie­be war­tet und dar­an ver­zwei­felt. Der Mann ver­liebt sich in die Frau und gera­de als sie beginnt dar­auf ein­zu­ge­hen, kommt der ande­re Mann doch und die Frau ver­schwin­det mit ihm.

Bei Bres­son ist Weiß etwas ande­res. Es ist das Papier bevor es bemalt wird, der Urzu­stand, die Unschuld. Lie­be macht Schuld, befleckt, aber auch: Kre­iert ein Gemäl­de. Farb­tup­fer, abs­trak­te Far­ben, die in der Unschär­fe in der Tie­fe des Bil­des von den Reflek­tio­nen einer mög­li­chen Nacht erzäh­len. Far­ben, die die­se Nacht ver­än­dern, täu­schen, erhe­ben, beleuch­ten. Der Film fin­det genau an die­ser Schwel­le statt. Zwi­schen dem Weiß und der Far­be, der Lee­re und der Fül­le, der Unschuld und der Schuld. Die gro­ße Lie­be hin­ter einer wei­ßen Wand in der viel­leicht offens­ten ero­ti­schen Sze­ne eines Fil­me­ma­chers, bei dem die Ero­tik nor­mal zwi­schen den Bil­dern statt­fin­det. In einem Schnitt, in der Ima­gi­na­ti­on. Hier jedoch ein nack­ter Kör­per. Er streift an der Wand ent­lang. Auf der ande­ren Sei­te der Wand ein Klop­fen, eine Ver­füh­rung, die Wand bleibt weiß. St. Peters­burg ist Paris bei Bres­son. Ein Paris bevöl­kert von einer Jugend, auf die Bres­son in sei­nem Spät­werk so sehr den Fokus leg­te. Man folgt einem Träu­mer, des­sen Blick auf die Stadt mit den unschar­fen Farb­tup­fern har­mo­niert, es ist sei­ne Wahr­neh­mung. Leicht abs­trakt, sinn­lich, ver­füh­rend, leer. In Die Sanf­te von Dos­to­jew­ski, eben­falls bril­lant ver­filmt von Bres­son in Une femme douce, beschreibt der Schrift­stel­ler letzt­lich auch die­se Figur, den fata­lis­ti­schen Träu­mer Jac­ques aus Quat­re nuits d’un rêveur: „Das gan­ze Pro­blem ist, dass ich ein Träu­mer bin. Ich war schon damit zufrie­den, dass ich genug Mate­ri­al für mei­ne Träu­me gesam­melt hat­te. Was sie betraf, so dach­te ich, dass sie war­ten kön­ne.“ So fla­niert die Figur in ihre Lie­be, alle schei­nen immer in die Lie­be zu fla­nie­ren bei Bres­son. Lie­ben wie das War­ten auf einen Brief, der viel­leicht nie ankommt, bei dem aber das War­ten schon die Lie­be ist.

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Aber was ist das hier für eine Lie­be zwi­schen den Far­ben am Pont Neuf, den Leos Car­ax Jah­re spä­ter nicht nur nach­bau­en hat las­sen, son­dern ein einen Exzess der Far­ben zwi­schen Ufer und Was­ser ver­wan­del­te, wobei er dabei durch­aus die glei­chen Fra­gen stell­te wie Bres­son: Wenn es eine Illu­si­on ist, lässt du dich dann trotz­dem fal­len? Statt des Sturms bei Car­ax gibt es bei Bres­son das Flüs­tern auf der Brü­cke. Car­ax zeigt das Fal­len, Bres­son nicht. Er erzählt von einer Roman­tik, die nicht auf­geht. Durch­aus mit Humor für das Fata­le. Ein Stre­ben nach Idea­len, nach Illu­sio­nen, nach Bli­cken. Jac­ques ver­folgt Frau­en mit Bli­cken wie der Mann in Dans la ville de Syl­via von José Luis Gue­rín. Lan­ge Bli­cke, dann senkt sich die Kame­ra wie so oft bei Bres­son auf die Schrit­te, dann wie­der ein Blick. Bli­cke und Schrit­te. Schon öfter beschlich mich das Gefühl, vor allem bei L‘argent, dass Bres­son-Fil­me eigent­lich Ver­fol­gungs­jag­den sind, zumin­dest soll­te man sie so betrach­ten. Alle fol­gen sich, die Kame­ra folgt ihnen, man folgt und blickt. Jac­ques geht nicht auf die Frau­en zu, obwohl sie sei­ne Bli­cke erwi­dern. Er ist einer die­ser magne­ti­schen Model­le von Bres­son, nicht zuletzt wegen sei­ner, typisch für Bres­son, bei­na­he zusam­men­ge­wach­se­nen Augen­brau­en. Sei­ne Augen sau­gen Far­ben auf. 

Sie dage­gen heißt Mar­the. Sie ist sui­zi­da­ler als Maria Schell bei Vis­con­ti. Sie hängt an einem Moment der unschul­di­gen Schuld für die Ewig­keit. Nackt im Zim­mer mit dem Unter­mie­ter, ihre Mut­ter schreit ihren Namen, sie bewegt sich nicht, die Tür ist abge­schlos­sen. Ein Ver­spre­chen, eine Schuld, ein Gefäng­nis und ja, ein Ver­schwin­den. In ihr und ihrem Zim­mer fin­den sich die wei­ßen Spu­ren einer Unschuld, die Bres­son fas­zi­nie­ren. Bres­son reflek­tiert das durch­aus im Film. Ein älte­rer Fil­me­ma­cher und sei­ne Fas­zi­na­ti­on mit der Jung­fräu­lich­keit, man denkt dabei an Man­oel de Oli­vei­ra. Frü­her wird Mar­the mit ihrer Mut­ter zu einer Kino­pre­mie­re ein­ge­la­den. Sie sehen etwas, dass auf­fäl­li­ge Ähn­lich­keit zu Taran­ti­nos Reser­voir Dogs hat. Vol­ler künst­li­cher Far­ben, vor allem Rot. Mar­the sagt ihrer Mut­ter, dass sie in eine Fal­le gera­ten sei­en und die bei­den ver­las­sen das Kino.

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In den vier Näch­ten, an denen Mar­the und Jac­ques sich auf der Brü­cke tref­fen, tau­chen sie in ein Lich­ter­meer. Vor allem die bateaux mou­ch­es, denen sie sich kaum ent­zie­hen kön­nen, erzeu­gen dif­fu­se, fast blen­den­de Lich­ter und Far­ben, beglei­tet von Musi­kern auf dem Boot, eine Nacht für Träu­mer und Geträum­te. In die­sen Bil­dern fin­det sich die Hys­te­rie von Dos­to­jew­ski kon­den­siert. Eine Hys­te­rie, die Bres­son sonst in das Reich der Sug­ges­ti­on schiebt und dar­über auf eine Unsi­cher­heit ver­weist, eine Unsi­cher­heit gegen­über der Ernst­haf­tig­keit der Gefüh­le. Sie sind for­ciert wie der Blick auf den Mond am Ende, als Jac­ques Mar­thes Kopf packt und ihn gegen den Mond rich­tet, weil sie nicht mit ihm in die­sem Moment ist oder weil sie nicht dem Bild ent­spricht, das er zeich­nen kann. Sie sind dif­fus und unklar wie die Far­ben des Films, die meist in der Unschär­fe tan­zen und wenn sie kräf­tig auf­leuch­ten, wie beim Schal den Jac­ques Mar­the umbin­det, dann sind sie ver­gäng­lich. Eine Hys­te­rie, die sich nicht zeigt und die man genau des­halb spürt.

Die Erzähl­stim­me ver­la­gert Bres­son mit weni­gen Aus­nah­men trotz sei­nes gro­ßen Gespürs für Voice Over aus der ers­ten Per­son (man den­ke an Jour­nal d‘un curé de cam­pa­gne oder Pick­po­cket) fast im Sti­le Chris Mar­kers auf einen Tape Recor­der. Was Jac­ques dar­in sagt, erin­nert mehr an Duras als Dos­to­jew­ski. Hier ist ein Fie­ber, eine Hin­ga­be, Lie­be, aber es ist zeit­lich ver­scho­ben, sie wird ent­frem­det wie­der­ge­ge­ben. Jac­ques hört es sich an. Mal liegt er dabei auf dem Bett und träumt, mal hört er es wäh­rend er malt, womög­lich als Inspi­ra­ti­on und ein­mal spielt er es heim­lich in einem Bus ab und irri­tiert damit zwei älte­re Fahr­gäs­te. Es gibt eine merk­wür­di­ge Distanz zu die­ser Hys­te­rie, ein Spiel, eine Arro­ganz, eine Hilflosigkeit.

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Es gibt die­se Ten­denz, den Film zu ver­tei­di­gen, in dem man sagt, dass er weit­aus sub­ti­ler und viel­schich­ti­ger mit Roman­tik umgeht (oft fällt hier das Wort Humor), als man zunächst glaubt. Quat­re nuits d’un rêveur setzt die­sen Humor aber nicht auf. Er ist ein­fach Teil der Hilf­lo­sig­keit und der roman­ti­schen Hin­ga­be. Es ist so, dass die­se Welt samt ihrer Far­ben und Nicht-Far­ben der Erfah­rungs­welt der Figu­ren ent­spricht. Wie so oft bei Bres­son ist es nicht nur ein Film auf der Suche, son­dern auch ein Film über eine Suche. Sie mün­det hier in eine Ent­täu­schung, die es viel­leicht genau­so wenig gab wie die Hoff­nung. Am Ende gibt es immer noch ein Weiß. Aber nur bei Jac­ques. Es ist glei­cher­ma­ßen sei­ne Lee­re als auch sei­ne Unschuld. Mar­the dage­gen ver­schwin­det in den far­bi­gen Lich­tern der Groß­stadt mit einem roten Schal.