Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Lissabon, Los Angeles, hin und zurück

Die­se Woche wur­de Wim Wen­ders acht­zig Jah­re alt. Anders als der Groß­teil der deut­schen Fil­me­ma­cher drän­gen sei­ne Fil­me an die Lan­des­gren­zen und dar­über hin­aus. Man könn­te glau­ben, Wen­ders wäre beson­ders am Ande­ren selbst gele­gen, als bloß an gewis­sen Orten zu sein. Aller­dings sind sei­ne gesam­mel­ten Ein­drü­cke der Fer­ne sel­ten weni­ger fas­zi­nie­rend als die Bewe­gungs­for­men, die sei­ne Fil­me wäh­rend jene Rei­sen ver­fol­gen. Der per­ma­nent foto­gra­fie­ren­de Regis­seur blickt, ohne sich auf ein bestimm­tes Ziel zu kon­zen­trie­ren, auf alles, was die Welt ihn gera­de sehen lässt. Und viel­leicht dau­ert es so auch nicht mehr lang, bis sei­ne Fil­me als Welt­kul­tur­er­be ein­ge­tra­gen wer­den. In Ita­li­en gibt es bekannt­lich eine offi­zi­el­le Lis­te von Fil­men, die das Kul­tur­mi­nis­te­ri­um als erhal­tens­wert aner­kennt, unter denen sich eini­ge von Wen­ders› Vor­bil­dern wie die jene von Michel­an­ge­lo Anto­nio­ni befin­den. Sei­ne eige­ne Stif­tung, die sich um die Bewah­rung der Fil­me küm­mert, hat Wen­ders bereits. Deut­sche Minis­te­ri­en ken­nen kei­ne Lis­ten, allen­falls Fritz Langs Metro­po­lis, der als soge­nann­tes Welt­do­ku­ment in den schüt­zen­den Hän­den der UNESCO liegt. Einen Teil könn­te dazu auch Wen­ders bei­getra­gen haben, als er Fried­rich Mun­ro in Der Stand der Din­ge über sei­nen Stern am Walk of Fame schrei­ten ließ. Mun­ro ist dabei weit mehr als eine spie­le­ri­sche Ver­beu­gung vor Mur­nau, son­dern auch Wen­ders’ Alter Ego. Ein deut­scher Regis­seur kommt nach eini­gen Jah­ren, die er in den USA ver­brach­te, zurück nach Euro­pa, genau­er nach Lis­sa­bon, um dort die Neu­ver­fil­mung eines Roger-Cor­man-Strei­fens zu dre­hen. Samu­el Ful­ler, der Kame­ra­mann (sein Assis­tent ist Robert Kra­mer, der auch am Dreh­buch mit­schrieb), muss dann die bit­te­re Nach­richt über­brin­gen, dass die Arbeit nicht mehr wei­ter­ge­hen kann, weil Mate­ri­al­nach­schub fehlt. Der ver­ant­wort­li­che Pro­du­zent in Ame­ri­ka ist nicht zu errei­chen, Tage des War­tens ver­ge­hen, bis sich Mun­ro selbst nach Los Ange­les auf­macht, um den unter­ge­tauch­ten Pro­du­zen­ten zu fin­den. Am Ende ihrer Begeg­nung sind bei­de tot, erschos­sen von einem dubio­sen Ver­fol­ger. Mit Lis­bon Sto­ry kehrt Wen­ders nach Lis­sa­bon zurück. Fritz Mun­roe ist immer noch da, der Name ist nur etwas anders. Dies­mal ist er der Gesuch­te, von sei­nem Ton­mann Phil­ipp Win­ter, bekannt aus Ali­ce in den Städ­ten, der aus Frank­furt mit einem gebro­che­nem Bein und eini­gen Kof­fern anreis­te, nur um sich sogleich in die schöns­ten Klän­ge der Stadt zu ver­lie­ben. Die selbst­re­fe­ren­zi­el­len Reden über das Geschich­ten­er­zäh­len und das Kino sind hier immer noch die­sel­ben, statt Ful­ler steht aber jetzt Man­oel de Oli­vei­ra als Cameo vor der Kame­ra. Ful­ler taucht statt­des­sen ein letz­tes Mal in The End of Vio­lence als Vater eines NASA-Infor­ma­ti­kers auf, hier wie­der in Hol­ly­wood. Dort sucht nun kein Regis­seur oder Ton­mann, son­dern der Pro­du­zent, Mike Max, einen ande­ren Mann auf, den Regie­rungs­mit­ar­bei­ter Ray Berings. Auch die­se am Ende tot, womit die Geschich­te aber dies­mal nicht endet. Irgend­et­was hat sich bei dem vie­len Hin-und-Her­rei­sen und Wie­der­ver­wen­den alter Cha­rak­te­re ver­än­dert. Nicht nur ist das Gespro­che­ne in Lis­bon Sto­ry sowie The End of Vio­lence plötz­lich so selt­sam sen­dungs­be­wusst statt selbst­iro­nisch – es geht um digi­ta­le Bil­der und die zuneh­men­de Über­wa­chung –, auch der gan­ze Klang der Fil­me hat sich ver­än­dert: Es läu­tet und klin­gelt neu­er­dings in jeder Ecke sei­ner Fil­me. In der Regel sind es Tele­fo­ne, Uhren oder Com­pu­ter. Als wäre da auf ein­mal eine Welt, die auf sich auf­merk­sam macht und nicht nur zu sehen gibt. Gab es in Der Stand der Din­ge allein ein Tele­fon im gan­zen Hotel, von des­sen Abhän­gig­keit der Regis­seur zu lei­den hat­te, aber die Mög­lich­keit zum Wei­ter­ma­chen bedeu­te­te, wim­melt es danach nur so von piep­sen­den Gad­gets, die nach Erreich­bar­keit und Beant­wor­tung suchen und von der Arbeit ablen­ken. Damit zieht pünkt­lich zum ein­hun­derts­ten Jubi­lä­um des Kinos der Rück­wärts­ge­wand­te, der Sto­isch-Skep­ti­sche bezie­hungs­wei­se der Nost­al­gi­ker als neu­er kri­ti­scher, neu­ro­ti­scher Figu­ren­ty­pus, der vor den stö­ren­den Geräu­schen flieht, wenn er nicht sogar Angst hat, neben den Drift­ern, Engeln und vor allen den Ent­täusch­ten in Wen­ders’ Kino ein. Sehen Wen­ders› Cha­rak­ter sel­ten mensch­lich aus, sie sind meist eher poe­ti­sche Hypo­sta­sen, könn­ten die­se Geplag­ten fast als nor­mal gel­ten. Wen­ders› Kino wen­det sich damit aller­dings zuneh­mend der Tech­nik zu, sieht man von ein paar splee­ni­gen Aus­rei­ßern, wie der mit Cam­pi­no gedreh­te Paler­mo Shoo­ting, ab. Gleich­zei­tig beflü­geln sei­ne alten Fil­me ein neu­ar­ti­ges Lob der Lang­sam­keit, das sich sprach­los der tech­ni­fi­zier­ten All­tags­steue­rung ent­ge­gen­stellt, als müss­te man sei­ne alten Arbei­ten zur Acht­sam­keit in der so schnell­le­bi­gen Welt ver­ord­nen. Wer etwas vom alten-neu­en Wen­ders sehen will, dem sei gera­de Óli­ver Laxe Film Sirāt emp­foh­len, dem tech­no­iden Wüs­ten­ra­ve-Road­mo­vie, wo sich Hand­lungs­ar­mut, Musik­fort­trieb und Staub­transzen­denz umar­men, wenn Men­schen und Tech­nik wie­der ein­mal unaus­weich­lich aufeinanderprallen.