Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu Bard von Hamid Jafari

Text: Sebas­ti­an Bobik

Wer heut­zu­ta­ge an einer Film­schu­le stu­diert, wird frü­her oder spä­ter mit der Maxi­me kon­fron­tiert, dass ein Film (und vor allem ein Kurz­film) das Publi­kum sofort ab der ers­ten Ein­stel­lung (und damit in den ers­ten paar Sekun­den) packen muss. Ein mög­lichst dra­ma­ti­scher und uner­war­te­ter Ein­stieg soll dafür sor­gen, dass die Zuschau­er nicht auf die Idee kom­men, sich abzu­wen­den. Auch für Film­fes­ti­vals gilt das als effek­ti­ve Stra­te­gie, um Kurator:innen, die hun­der­te Kurz­fil­me sehen, bei Lau­ne zu halten. 

Bard von Hamid Jafa­ri beginnt mit einer Ein­stel­lung, die über fünf Minu­ten dau­ert: Aus einer Frosch­per­spek­ti­ve bli­cken wir durch Stei­ne hin­durch auf einen Fel­sen. Dahin­ter bezie­hungs­wei­se dar­über ein blau­er Him­mel, Wol­ken zie­hen vor­über. Eine schwarz geklei­de­te, älte­re Frau kommt hin­ter dem Fel­sen her­vor. Sie sticht, schlägt und hebt am Fel­sen her­um, ändert ihre Posi­ti­on und den Ein­schlag­win­kel. Der Fels wird immer locke­rer und wacke­li­ger, nach cir­ca fünf Minu­ten fällt er in Rich­tung Kame­ra und lan­det knapp vor der Lin­se. Die Frau keucht ange­strengt und setzt sich. Wir kön­nen ihren Kopf und Gesichts­aus­druck nicht klar sehen. Die Kame­ra ist zu weit weg und das Son­nen­licht, das fast direkt über ihrem Kopf auf uns scheint, ist zu grell. Dann sehen wir den Filmtitel. 

Für einen Kurz­film ist das ein unge­wöhn­li­cher Start und sicher­lich nicht, was an hie­si­gen Film­schu­len gelehrt wird. Doch die Direkt­heit, die Unmit­tel­bar­keit und das Mys­te­ri­um die­ser ers­ten Ein­stel­lung zie­hen sofort in ihren Bann. 

Das liegt vor allem an der Posi­tio­nie­rung der Kame­ra. Die Per­spek­ti­ve ist unge­wöhn­lich. Stark auf­sich­tig, scheint sie nicht den Blick eines Men­schen wie­der­zu­ge­ben. Wir sind Teil der Stei­ne am Boden: Viel­leicht der Blick des im Staub lie­gen­den Fel­sen, der vor dem umge­stürzt ist, der jetzt bear­bei­tet wird? Schon Char­lie Chap­lin hat gesagt, dass für jede Hand­lung, obgleich es schier unend­li­che Aus­wahl­mög­lich­kei­ten gibt, nur eine Kame­ra­po­si­ti­on die Rich­ti­ge ist. Oft­mals wird die­se Idee miss­ach­tet. Vor allem in Zei­ten klei­ner digi­ta­ler Kame­ras, die sich schein­bar über­all mon­tie­ren las­sen, ist es reiz­voll, Kame­ra­po­si­tio­nen zu suchen, die Men­schen unzu­gäng­lich sind. Manch­mal flie­gen Droh­nen weit über ihren Sub­jek­ten und so wei­ter. Jafa­ri aber posi­tio­niert sei­ne Kame­ra nah an der Erde. Das ist die rich­ti­ge Ein­stel­lung, denn so bekom­men wir etwas mit von der Arbeit die­ser Frau, ihren Mühen und Anstren­gun­gen. Auch eine Ein­stel­lung auf ihrer Augen­hö­he, oder der Per­spek­ti­ve einer ande­ren Per­son, wäre nicht rich­tig gewe­sen. Denn die Frau arbei­tet allei­ne. Es gibt kei­ne ande­ren Men­schen weit und breit, die ihr zuse­hen oder hel­fen, nur die Son­ne, ein paar Wol­ken, ande­re Stei­ne und man­che Zie­gen leis­ten ihr bei ihrer ein­sa­men Auf­ga­be Gesell­schaft. Des­halb muss es aus dem Boden, aus dem Gestein selbst sein, dass wir sie sehen. Es gibt nur eine rich­ti­ge Kame­ra­po­si­ti­on für jede Ein­stel­lung. Die Auf­ga­be der Filmemacher:innen ist es her­aus­zu­fin­den, wel­che das wirk­lich ist. In der ers­ten Ein­stel­lung von Bard hat Jafa­ri sie gefunden.