Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notiz zu labilen Bildern: Marcel Hanoun & Catherine Binet

Es gibt Bil­der in Mar­cel Hanouns Le Prin­temps, die so flüch­tig mon­tiert sind, dass man ihr Sicht­bar­wer­den nicht ver­steht. Zum Bei­spiel, wenn Mäd­chen auf dem Schul­hof einen Rei­gen tan­zen und sich ein­zel­ne Gesich­ter ins Bild drän­gen, die­sel­ben, die von den Wor­ten des Dorf­pfar­rers und vom Licht des Kinos gebannt wer­den. Oder mär­chen­haf­te Zeich­nun­gen, die eine Erzäh­lung zwi­schen den Geschwis­tern beglei­ten. Gleich­zei­tig fehlt ihnen der Effekt blitz­ar­tig erschei­nen­der Bil­der, die angeb­lich sub­ku­tan wir­ken sol­len, indem sie doch wie­der für eine gewis­se Wei­le auf der Lein­wand ver­har­ren. Die Dau­er ihres Erschei­nens liegt über der Reiz­schwel­le, aber noch unter der Begriffs­schwel­le. Das bedeu­tet, man erkennt, was zu sehen ist, doch kann sich nicht dar­in ver­tie­fen, sich nicht dar­an fest­hal­ten, kaum erin­nern. Als wür­de man beim Ver­steck­spiel beob­ach­ten kön­nen, wie jemand her­vor­schaut, um sogleich wie­der andern­orts zu ver­schwin­den. Par­al­lel zur Geschich­te eines flüch­ten­den Man­nes gibt Le Prin­temps Ein­drü­cke aus dem Leben eines jun­gen Mäd­chens wie­der. Bei­den Hand­lun­gen fehlt es sowohl an Affek­ti­vi­tät wie Erzähl­kraft. Ein Man­gel, der sich in der Labi­li­tät der Bil­der nie­der­schlägt: freu­di­ge, trä­nen­un­ter­lau­fe­ne Augen, die dem gan­zen Film gel­ten. Was bleibt, sind die schat­ten­haf­ten Res­te eines jun­gen Mäd­chens, das ohne Scheu, ganz im Gegen­satz zum mög­li­cher­wei­se ver­folg­ten Mann, die länd­li­che Welt und ihre Eigen­tüm­lich­kei­ten mit­samt der Schlach­tung eines Hasen wahr­nimmt. Cathe­ri­ne Binet, die die­sen drit­ten Film des Jah­res­zei­ten­zy­klus mit Mar­cel Hanoun gemein­sam rea­li­sier­te und mon­tier­te, taucht zwi­schen den bei­den gegen­läu­fi­gen, far­bi­gen und schwarz-wei­ßen, Hand­lungs­strän­gen auf. Als frisch ver­hei­ra­te­te, als Tote am Stra­ßen­rand oder Ophe­lia rezi­tie­rend. Als Fol­ge die­ser Zusam­men­ar­beit lie­ße sich Hanouns Film L’Automne, der vier­te und letz­te des Zyklus, ver­ste­hen, am Schnei­de­tisch zwi­schen Micha­el Lons­da­le und Tamia spielt. In Binets eige­nem ein­zi­gen Film Les Jeux de la com­tesse Dolin­gen de Gratz, den sie eini­ge Jah­re spä­ter mit der finan­zi­el­len Hil­fe Geor­ges Perecs umsetz­te, fin­den sich die­sel­ben Bil­der aus Le Prin­temps wie­der. Die Rui­ne des Schlos­ses, die Augen einer zer­bro­che­nen Pup­pe, der Abschied von der Kind­heit. Die Bil­der haben sich ein wenig sta­bi­li­siert, da sie nicht mehr nur in ihrer eigen­wil­li­gen Unmit­tel­bar­keit her­vor­tre­ten. Den­noch blei­ben sie labil. Das heißt, sie sind immer noch anfäl­lig für das, was sie wäh­rend ihres kur­zen Ver­wei­lens, ihres kur­zen Blicks, fort­reißt. Man kann sich ein­re­den, das kur­ze Sehen wür­de sich die Details erspa­ren, wäh­rend das lan­ge Sehen das Betrach­te­te tot­schlägt. Die labi­le Län­ge eines Bil­des kann sich an nichts fest­hal­ten, weder am Neu­en noch am Alten, ohne Trau­er oder Ver­lan­gen. Cathe­ri­ne Binets Ver­ges­sen zeugt viel­leicht vom Unzeit­ge­mä­ßen ihre Arbeit, also der Anfäl­lig­keit für die Zeit dar­in und nicht außerhalb.