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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notizen zu Peter Nestler: Får de komma igen? Om nyfascistica tendenser i Västtyskland

Text: Max Grenz

Dür­fen sie wie­der­kom­men? kann als Fra­ge über neo­fa­schis­ti­sche Ten­den­zen auf min­des­tens zwei Ebe­nen beant­wor­tet wer­den. Als Prin­zi­pi­en­fra­ge darf die Ant­wort damals wie heu­te allein ein ent­schie­de­nes »nie wie­der« sein. Deut­lich kom­pli­zier­ter wird sie hin­ge­gen, wenn sie an den rea­len poli­ti­schen Zustän­den gemes­sen wird. Aus die­ser Per­spek­ti­ve lie­ße sie sich wie folgt umfor­mu­lie­ren: Gibt es Struk­tu­ren oder Akteu­re, die dem Wie­der­erstar­ken des Faschis­mus nicht nur nichts ent­ge­gen­set­zen, son­dern die­se Ten­den­zen sogar aktiv beför­dern (egal ob mit oder ohne Absicht)? Im ers­ten Fall bleibt der Faschis­mus eine abs­trak­te Gefahr, gegen die man sich im all­ge­mei­nen Lip­pen­be­kennt­nis aus­spricht, im zwei­ten wird die Exis­tenz der Ten­den­zen zum Faschis­mus aner­kannt und nach den Ursa­chen gesucht. Letz­te­res Ver­ständ­nis lei­tet auch das Inter­es­se des Films.

Dür­fen sie wie­der­kom­men? ent­steht 1971, auf einem Höhe­punkt rechts­extre­mer Bewe­gun­gen in der jun­gen Bun­des­re­pu­blik. Die NPD ist in meh­re­ren Land­ta­gen ver­tre­ten und ver­passt 1969 nur knapp den Ein­zug in den Bun­des­tag. Aus ihr ent­ste­hen zahl­rei­che außer­par­la­men­ta­ri­sche rechts­extre­me Orga­ni­sa­tio­nen wie die Akti­on Wider­stand, die offen faschis­ti­sches Gedan­ken­gut pro­pa­gie­ren. All die­se Ent­wick­lun­gen wer­den am Anfang des Films auf­ge­ru­fen, selbst wenn man­che von ihnen ihren Zenit bereits über­schrit­ten hat­ten. So wur­de die Akti­on Wider­stand noch 1971 wie­der auf­ge­löst und die NPD ver­lor in den 1970ern bereits rapi­de an poli­ti­schem Boden. Doch das Anlie­gen des Films besteht weni­ger in neu­tra­ler Doku­men­ta­ti­on als poli­ti­scher Inter­ven­ti­on. Das zeigt sich bereits bei der Aus­wahl der Gesprächspartner*innen, die kei­ner­lei Anspruch auf Aus­ge­wo­gen­heit erhebt, viel­mehr als Stel­lung­nah­me in einem noch offe­nen poli­ti­schen Aus­hand­lungs­pro­zess über die Ursa­chen hin­ter den Ent­wick­lun­gen zu ver­ste­hen ist.

Alle sie­ben Inter­view­ten tei­len Erfah­run­gen von akti­vem Wider­stand gegen den Faschis­mus Hit­lers zum einen, poli­ti­schen Akti­vis­mus gegen sei­ne fort­be­stehen­den Ursa­chen zum ande­ren. Zuerst spricht Bir­git­ta Wolf über die Unmensch­lich­keit des ver­schärf­ten Arrests im deut­schen Straf­ge­setz, ein Instru­ment der Staats­ge­walt, das spä­ter maß­geb­lich dank Wolfs Akti­vis­mus abge­schafft wur­de. Rein­hard Kühnl wie­der­um hat­te sei­ne Pro­fes­sur in Mar­burg erst im Jahr des Gesprächs mit Mit­te Drei­ßig ange­tre­ten, gegen den Wider­stand von Ernst Nol­te, des­sen reak­tio­nä­re Rela­ti­vie­rung des Holo­causts fünf­zehn Jah­re spä­ter den Anlass zum His­to­ri­ker­streit geben wer­den. Statt Nol­te als Gegen­pol zur mar­xis­ti­schen Inter­pre­ta­ti­on des Faschis­mus durch Kühnl her­an­zu­zie­hen, gibt Nest­ler zusätz­lich Kühnls Dok­tor­va­ter Wolf­gang Abend­roth, dem Begrün­der der lin­ken Mar­bur­ger Schu­le, den längs­ten Rede­bei­trag des Films, ein Jahr vor sei­ner Emeritierung. 

Neben der ein­deu­ti­gen Posi­tio­nie­rung im wis­sen­schaft­li­chen Dis­put um die Ursa­chen des Faschis­mus kom­men auch die Per­spek­ti­ven eines ita­lie­ni­schen Arbei­ters oder eines Veterans aus dem Spa­ni­schen Bür­ger­krieg zu Wort. Die jewei­li­gen Stel­lung­nah­men ste­hen weit­ge­hend für sich. Mit teils sicht­ba­ren Notiz­zet­teln, von denen vor­ge­tra­gen wird, wir­ken sie fast wie Gast­bei­trä­ge zu einem Kom­pi­la­ti­ons­film. In der Zusam­men­stel­lung gera­ten die Per­spek­ti­ven in Dia­log mit­ein­an­der. Es geht um das Erstar­ken rech­ter Strö­mun­gen in Momen­ten der Kri­se, einen über­stei­ger­ten gesell­schaft­li­chen Hass gegen lin­ke Bewe­gun­gen, die Emp­fäng­lich­keit einer kon­ser­va­ti­ven Mehr­heit für die Radi­ka­li­sie­rung durch eine rech­te Min­der­heit, die rech­ten Gesin­nun­gen der CDU/​CSU und die Anpas­sun­gen ande­rer Par­tei­en wie der SPD. Par­al­le­len, die sich bis in unse­re Gegen­wart ver­län­gern lassen.