Text: Frederik Lang
Eine Frage als Titel. Ein Film als Antwort. Stundenlang möchte ich zusehen, Nestlers Stimme lauschen, die wunderbare Worte spricht, um die Teile einer zu Orgel benennen: Windkasten, Oberlabium oder: „Der Wind dringt durch die Kernspalte und streift die Kante der Oberlippe. Die gerät ins Schwingen. Die Schwingung wird im Pfeifenkörper verstärkt und der Ton ist da.“ Feierlich tauchen Sonnenstrahlen die fertige Holzpfeife in warmes Licht, in der Orgelwerkstatt am Rande eines Waldes in Schweden. Einer der Tischler hat sich auch eine Holzpfeife gedrechselt, aber eine für Tabak. Sie steckt bei der Arbeit zwischen seinen Lippen.
Nach vierundzwanzig Minuten endet der Film abrupt. Es sind nur zwei Pfeifen gebaut: eine Holzpfeife und eine Trompetenpfeife aus Blei und Zinn. Die Pfeifen werden ausprobiert: quäkendes Metall, bezaubernd klingend das Holz, auf mehreren Registern gespielt. Als Nachhall ein feiner Vorhall der Barockmusik, mit der der Film eingestimmt hatte auf die Arbeit, die hinter dem Klang liegt. Ausgehend von Aufnahmen einer Kirche – Barock wird von Nestlers Kommentarstimme als Höhepunkt der Orgelbaukunst bezeichnet – führt der Film hinein in die Werkstatt. Die neue Orgel ist nicht ornamental verziert, ihre Funktion, ihre Herstellung aber identisch mit der barocken. Zur Musik Baupläne, Werkzeuge, irgendwann auch Menschen.
Bereits im ersten Bild des Films, ist auf einer antiken Reliefdarstellung eine Orgel zu sehen, dazu Nestlers Stimme: „Orgeln hat man schon lange gebaut, vor mehr als zweitausend Jahren. Aber die waren einfach in der Konstruktion.“ Der Film findet nachvollziehbare Bilder, um die komplexe Konstruktionsweise einer neuzeitlichen Orgel zu präsentieren. Denn Nestler erklärt mit einer den Orgelbauern verwandten Präzision, wie diese ihrer Arbeit nachgehen. Orgelbau ist exaktes Handwerk und doch mehr. Es sind völlig unterschiedliche Gewerke: Tischlerei, Metallverbeitung, Guss bei dreihundert Grad, sorgfältiges Testwiegen in der Hand zur Bestimmung der Legierungsmischung für die Trompetenpfeife, deren Material so weich ist, dass es ausgewalzt mit einer Schere geschnitten werden kann. Die Tischlerwerkstatt wirkt beinahe grobschlächtig dagegen, mit Sägen, Schleifen und Verleimen. In beiden Werkstätten herrscht oft Stille, nur manchmal ist O-Ton zu hören. In die Stille hinein Nestlers Stimme, präzise gewählte Worte zu den präzisen Handgriffen der Orgelbauer. Auch das ist Handwerk: Kameraarbeit, Ton, Text, Sprechen, Montage. Wie eine Orgel wirklich funktioniert, wie ihre Mechanik arbeitet, was Register sind: Das alles glaubte ich, beim Sehen verstanden zu haben. Nestlers Film, Nestlers Text ist so klar, dass ich folgen konnte, begreifen konnte, wie man eine Orgel baut; er ist aber auch so dicht und komplex, dass ich die Vorgänge nicht wiedergeben kann.
Wie zwei Orgelpfeifen hergestellt werden, habe ich gesehen. Wie man eine Orgel baut, hätte ich gerne gesehen. Aber das hätte mehr Zeit gebraucht, mehr Zeit, als das Fernsehen bereit war zu geben.
Der Film ist ein Anfangsmoment in Nestlers Werk. Ihm folgen weitere Filme über Herstellungsprozesse: Glas, Stoff, Papier, Erzbergbau, die Erfindung des Buchdrucks. Filme, die ein viel weitreichenderes materialistisch-politisch-historisches Spektrum abdecken. Am Anfang dieser Serie aber stand eine Frage: Wie baut man eine Orgel?