Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notizen zu Peter Nestler: Om papperts historia. Del I & II

Text: Fio­na Berg

„Ich werd nie mehr so rein sein, so dumm sein, wie wei­ßes Papier“ besingt die Grup­pe Ele­ment of Crime melan­cho­lisch das Ende einer Lie­be. Die Lis­te an Meta­phern um unbe­schrie­be­nes Papier ist lang. Dass die Her­stel­lung von Papier jedoch gar nicht so rein ist, son­dern eine recht schmut­zi­ge Ange­le­gen­heit, die viel Was­ser benö­tigt, beschrei­ben Zsó­ka und Peter Nest­ler in dem zwei­tei­li­gen Fern­seh­film Über die Geschich­te des Papiers. Die­ser kommt gänz­lich ohne meta­pho­ri­sche Ver­glei­che aus und doku­men­tiert die Ent­wick­lung eines Pro­duk­ti­ons­zwei­ges. In jeweils fünf­zig Minu­ten ana­ly­sie­ren die bei­den punkt­ge­nau die­se Kul­tur­tech­nik, die emble­ma­tisch für die mensch­li­che Ent­wick­lungs­ge­schich­te ist. Peter Nest­ler spricht wie immer poin­tiert, zeigt prä­zi­se und anschau­lich his­to­ri­sche und aktu­el­le Ent­wick­lun­gen der Papier­pro­duk­ti­on auf. Der Off-Text bezieht sich direkt auf die Bil­der und funk­tio­niert nicht ohne sie. So wer­den Gegen­stän­de vor­ge­führt, ein­ge­ord­net und beschrie­ben. Sieb­bö­den, Tro­cken­pres­se, Filz trennt sich von der Papier­rol­le. Die genaue Erläu­te­rung von dem, was wir sehen, hilft der Ori­en­tie­rung. Aber nicht immer sind Wor­te von Nöten. Wenn der Fil­me­ma­cher schweigt, über­lässt er uns der Aus­sa­ge­kraft der Bil­der. Die Berech­ti­gung zum Kom­men­tar ruht auf dem Wil­len zur Ver­mitt­lung. Ver­schie­de­ne Medi­en und Ele­men­te die­nen dabei als Anschau­ungs­mit­tel: Holz­schnit­te und Papier­stü­cke, die die Nutz­bar­ma­chung von Wind- und Was­ser­kraft fest­hal­ten, ban­nen die Ele­men­te sozu­sa­gen ein zwei­tes Mal. Deren Kraft wird im Inne­ren der Müh­le gebün­delt, die hand­ge­schöpf­ten Bögen ins Rol­len gebracht. Gebrauch­te Lum­pen wer­den zer­hackt und zer­stampft. Der soge­nann­te Hol­län­der zer­reibt den Stoff, Halb­zeug wird zu voll­kom­men zer­fa­ser­tem Ganz­zeug. Die Wel­le treibt die Fasern im Trog her­um, zer­reibt sie auf dem Boden. Plä­ne und Doku­men­te hal­ten die Funk­ti­ons­wei­se und den Auf­bau ver­schie­de­ner Müh­len fest, die Kame­ra ver­folgt die ein­zel­nen Arbeits­schrit­te der Räder. Eine Col­la­ge ent­steht, die sich aus Archiv­auf­nah­men und eigens gedreh­ten doku­men­ta­ri­schen Bil­dern zusam­men­setzt. Sie ver­dich­ten die Geschich­te die­ses Pro­duk­tes und repro­du­zier­ba­ren Pro­duk­ti­ons­mit­tels, sprin­gen von Tota­len zu Halb­to­ta­len ins Detail. Die­se Tri­as ist form­ge­bend und bestimmt die Dyna­mik der Bil­der. Mit der ein­set­zen­den Mecha­ni­sie­rung nimmt die Pro­duk­ti­on an Fahrt auf, die Dampf­ma­schi­ne ist ihr Motor. Die Opti­mie­rung der Fabri­ka­ti­ons­pro­zes­se und die Effi­zi­enz der Bewe­gung ver­dich­ten sich in der Nah­auf­nah­me. Die Geschich­te des Papiers ist eine Geschich­te der Arbeit und damit eine der Indus­tria­li­sie­rung, der Glo­ba­li­sie­rung und Aus­beu­tung. Betrie­be wer­den grö­ßer, die Zer­glie­de­rung in ein­zel­ne Arbeits­schrit­te deu­tet auf die Ent­frem­dung der Arbei­te­rin­nen vom Pro­dukt hin; frü­her führ­ten sie alle Schrit­te selbst aus. Auch die öko­lo­gi­sche Dimen­si­on die­ser Expan­si­on bleibt nicht uner­wähnt. Far­ben wer­den zur Mah­lung, Che­mi­ka­li­en für ver­schie­de­ne Hand­ha­bungs- und Druck-Eigen­schaf­ten ver­wen­det. Die Abwäs­ser ver­schmut­zen Flüs­se und Küs­ten­ge­wäs­ser. War das anfäng­li­che Lum­pen­schnei­den gesund­heits­schäd­lich, da es sich meist um Bett- und Ver­bands­zeug von Kran­ken han­del­te, sind es spä­ter die Bäu­me, die en mas­se gefällt wer­den. Holz­schliff wird zur Basis, Baum­wol­le ergibt noch immer das feins­te Papier. Dass sich der 1966 nach Schwe­den aus­ge­wan­der­te Fil­me­ma­cher 1971 der Erfin­dung des Papiers zuwen­det, ist kein Zufall. Die Holz- und Papier­pro­duk­ti­on macht Schwe­den im 19. Jahr­hun­dert zum Indus­trie­land. Das Inter­es­se und die Kri­tik an der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se in den Arbei­ten der Nest­lers ist auch hier prä­va­lent. So brin­gen sie in ihrer kurz­wei­li­gen doku­men­ta­ri­schen Form his­to­ri­sche Pro­duk­ti­ons­pro­zes­se auf den Punkt, ohne zu ver­kür­zen und neh­men dabei wie gewohnt kein Blatt vor den Mund.