Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notizen zu Peter Nestler: Något om USAs indianer

Text: Mari­us Hrdy

„Sie waren nicht nur ein (Indianer-)Volk, son­dern vier­hun­dert Stäm­me mit zwei­hun­dert Spra­chen“, stellt Nest­ler gleich zu Beginn in sei­nem für das schwe­di­sche Fern­se­hen pro­du­zier­ten geschicht­li­chen Abriss über die indi­ge­nen Völ­ker der USA und deren kon­ti­nu­ier­li­che Ver­fol­gung fest. Er bricht so die uni­ver­sa­lis­ti­schen Vor­ur­tei­le, die eine Reduk­ti­on auf „die India­ner“ mit sich brin­gen, auf und begeg­net die­ser Geschichts­ver­harm­lo­sung mit radi­ka­ler Auf­klä­rung. „Die India­ner“ als eine Mas­se zu cha­rak­te­ri­sie­ren, lenkt von deren geziel­ter Ent­mensch­li­chung und dem stra­te­gi­schen Supre­ma­tis­mus der Kolo­ni­al­staa­ten ab. Nen­nen wir die­se doch beim Namen: Die Heils­ver­spre­chen zuerst der Bri­ten, Spa­ni­er und Fran­zo­sen, Land gegen Edles zu tau­schen, ver­an­schau­licht der Film anhand von Land­kar­ten. Schein­hei­lig-gön­ner­haft boten die Euro­pä­er zum Abschluss von Ver­trä­gen Stof­fe, Glas, Schnaps, Jagd­ge­weh­re, Schieß­pul­ver und Patro­nen an. Ihre Gegen­for­de­rung: Abga­be von Land für die Ewig­keit. Die indi­ge­nen Far­mer und Fischer zeig­ten sich den Neu­an­kömm­lin­gen gegen­über hilfs­be­reit, beim Korn- und Baum­wollan­bau, aber auch bei der Nah­rungs­be­schaf­fung. Doch die­se woll­ten nicht nur Gäs­te sein. Bald begeg­ne­ten sie Pfeil und Bogen mit Pis­to­len, Mus­ke­ten und Kano­nen. Berit­te­ne und bewaff­ne­te Spa­ni­er im Süden, Eng­län­der und Fran­zo­sen im Nor­den ver­ant­wor­te­ten zahl­lo­se Mas­sa­ker, das eigent­li­che Ziel der Aus­rot­tung der Völ­ker immer fest im Blick.

Gleich­zei­tig kamen mehr und mehr arme Migrantinnen aus Eng­land, Deutsch­land und Schwe­den, um ihre von den stän­di­gen euro­päi­schen Hoheits­kon­flik­ten kriegs­ge­sät­tig­ten Hei­mat­län­der hin­ter sich zu las­sen. Sie kamen, um sowohl dem Hun­ger als auch dem Abso­lu­tis­mus zu ent­flie­hen und sich in Ame­ri­ka ein neu­es Leben auf­zu­bau­en. Den Indi­ge­nen woll­ten sie aber das Recht auf ihre eige­ne Hei­mat abspre­chen. Ohne Rück­sicht bau­ten sie neue Stra­ßen und Bahn­brü­cken, zer­stör­ten alte Ver­sor­gungs­we­ge, die Fau­na und das Öko­sys­tem der Gemein­schaf­ten. Ande­re ver­such­ten sich am schnel­len Gold und räum­ten dabei alles aus dem Weg. Sol­da­ten wur­den geschickt und töte­ten wei­ter. Das Zitat eines Chiefs sticht her­aus: „Die Wei­ßen mach­ten uns vie­le Ver­spre­chen, hiel­ten aber nur eines: Sie schwo­ren, unser Land zu steh­len, und sie taten es.“ 

Getäuscht und zu immer neu­en Kon­zes­sio­nen gezwun­gen, zogen sich vie­le indi­ge­ne Stäm­me wei­ter hin­ter den Mis­sis­sip­pi zurück oder wur­den gänz­lich aus­ra­diert. Wir sehen his­to­ri­sche Illus­tra­tio­nen der Euro­pä­er, Kup­fer­gra­vu­ren (Smith 1607), Kar­ten etc. und bewe­gen uns schließ­lich über die Jahr­hun­der­te – vom Stich­tag der Lan­dung der euro­päi­schen Kolo­ni­al­mäch­te bis zu den 1980er Jah­ren. Dabei ent­wi­ckelt sich eine gru­se­li­ge Revue der eth­ni­schen Säu­be­rung – wo der Man­hat­tan-Stamm frü­her leb­te, steht heu­te New York. 

Die Herr­schen­den des moder­nen Ame­ri­ka führ­ten ihre Tra­di­ti­on, die Stra­te­gie des Eth­no­zen­tris­mus, erbar­mungs­los wei­ter. Indi­ge­ne beka­men bis 1924 kei­ne Staats­bür­ger­schaft. Schließ­lich, zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts in öko­no­misch unren­ta­ble Reser­va­te abge­son­dert und in Armut und Unter­ernäh­rung gezwun­gen, drück­te sich die US-ame­ri­ka­ni­sche Rechts­ord­nung den Indi­ge­nen gegen­über klar aus: Ihr gehört nicht zu uns, schützt euch selbst. Poli­zei­re­pres­sio­nen und gezielt unauf­ge­klär­te Ver­bre­chen an Indi­ge­nen wur­den Teil des Reser­vat­s­all­tags. Zwar kamen Tou­ristinnen zu Besuch und mach­ten Foto­sa­fa­ri – im Film sehen wir Foo­ta­ge einer Alli­ga­tor­jagd mit blo­ßen Hän­den – die Indi­ge­nen durf­ten die Reser­va­te aber weder ver­las­sen noch ihre Bräu­che aus­üben oder ihre eige­ne Spra­che sprechen.

Der Film macht deut­lich, unbe­irrt vom Sie­ges­rausch der Euro­pä­er, auf wes­sen Sei­te er steht und ent­wi­ckelt damit sein eigent­li­ches Poten­zi­al. Denn er klärt nicht nur auf und ent­blößt ein Sys­tem der Ent­mensch­li­chung, der gna­den­lo­sen Unter­drü­ckung und des Zynis­mus der wei­ßen Besat­zer, er zeigt auch die Kraft des Wider­stan­des durch das Erzäh­len: als Kampf gegen Geschichts­ver­harm­lo­sung und gegen die Über­lie­fe­rung von Unge­rech­tig­kei­ten als Heldensagen.