Text: Max Grenz
Warum ist Krieg? Die Frage scheint zu komplex, um sie in einem Kurzfilm beantworten zu können, zugleich stellt sie sich zu dringlich, um es nicht zu versuchen. Denn wer sie ernst nimmt, versucht nicht einfach die fortwährende Existenz von Kriegen zu begründen, sondern fragt nach ihren Entstehungsbedingungen, die es zu überwinden gilt. Das In-Frage-stellen des Krieges muss Grundvoraussetzung jedes ernsthaften Antwortversuchs sein, wie die einleitenden Sätze klarstellen: „Manche sagen ‚Krieg hat es immer gegeben, es wird immer Krieg geben.‘ Wenn sie so reden, geben sie sich selbst auf oder sie wollen die Leute betrügen. Entweder sind sie zu faul gegen Krieg zu kämpfen, oder sie sind dabei Krieg zu organisieren.“ Erst nachdem die Frage vom Gleichmut auf der einen, und der Komplizenschaft mit dem Krieg auf der anderen Seite abgegrenzt wurde, erscheint sie als Titel des Films.
Die erste Einstellung wiederum zeigt an, für wen die Frage gestellt wird: Bildfüllend erscheinen die Augen eines Kleinkindes in Großaufnahme. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, schauen sie mit so neugierigem wie unverständlichem Ausdruck gen Kamera. Wie eine stumme Interpunktion taucht dieser Blick immer wieder zwischen den Episoden des Films auf, die nichts Geringeres versuchen als eine Herleitung des Kriegs von den Anfängen der Menschheitsgeschichte bis zur Gegenwart. Es ist ein Blick, der nichts vorauszusetzen scheint, ideal für eine unvoreingenommene Suche nach der Wahrheit. Gleichzeitig gibt der kindliche Blick Tonfall und Struktur der Erzählung vor, die in einfachen Allgemeinaussagen gehalten ist. Sätze beginnen mit Formulierungen wie „Es geschah oft, dass …“, „Nach einer Weile …“, oder „In manchen Teilen der Welt …“. Selbst historisch so einmalige und spezifische Vorgänge wie Revolutionen werden resümiert in dem Satz: „Es kam vor, dass sie Revolution machten.“ In seiner Form nähert sich der Text teilweise Märchen und Mythen an, inhaltlich aber weist er sie als mögliche Erklärungsansätze zurück. So werden gleich zu Beginn mit Blick auf Kain und Abel Hass oder Wut als Ursachen des Krieges abgelehnt: „Krieg wird vorbereitet. Das braucht Zeit.“
Genauso entsteht die Komplexität des Films erst allmählich. Erst im Laufe der Erzählung findet ein zunehmender Prozess der Differenzierung statt: vom „Stadium der Wildheit“ aller Menschen hin zum einzigen namentlich genannten Kriegstreiber Hitler; von einer unbestimmten Vielzahl von Kämpfen zwischen Stämmen zum deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939. Mit der Zeit wird die Geschichte der Kolonialisierung als christliches Projekt, die Kriegsmentalität als männliche präzisiert. Außerdem werden wiederkehrende Muster in der Geschichte erkennbar. Etwa beginnt die Vorbereitung zum Töten bereits in der Kindheit durch Ideologie und Propaganda, sei es bei der Vermittlung männlicher Tugenden für Ritter und Adlige oder im rücksichtslosen Konkurrenzdenken der US-amerikanischen Gesellschaft. In diesem Sinne, so könnte der Leitsatz des Films lauten, muss die Wahrheit auf eine Weise vermittelt werden, die auch Kinder verstehen können, bevor es zu spät ist.
Zur Illustration der Indoktrinierung werden nicht etwa Beispiele von politischer Propaganda herangezogen, sondern Kunstwerke gezeigt, die den Schrecken der resultierenden Katastrophen festgehalten haben. So dokumentiert Warum ist Krieg? parallel zur Genealogie des Krieges auch eine Geschichte der Kunst, die es vermocht hat, gegen die Interessen der Mächtigen dem Leid der Machtlosen ein Bild zu geben. Denn für jede Zeit gilt: „Die am schlechtesten dran waren im Frieden, litten am meisten im Krieg.“