Text: Ralph Eue
La guerre et la paix, die monumentale Ausgestaltung einer Kapelle in Vallauris, entstanden in den Jahren 1951/52, war für Picasso ein „Werk gegen alle Kriege“, etwas, das die Kirche zum pantheistischen „Tempel des Friedens“ qualifizieren sollte. Als eines seiner bekanntesten Werke, war es vermutlich Auslöser und Anlass für Nestlers Film, der im Zusammenhang der Kölner Ausstellung Der geteilte Picasso. Der Künstler und sein Bild in der BRD und der DDR (2021) produziert wurde. Dem komplexen Dyptichon wird viel Raum im Film eingeräumt. Und ja, es ist die Hauptsache, dabei aber nur ein Wesentliches unter anderen.
Präsenter Eindruck, von den ersten Momenten des Films an, dass Nestlers Annäherung an Picasso mit dem Vorsatz geschah, über den Maler mit größtmöglicher Einfachheit zu sprechen. Auch möglichst die Kommentare, Exegesen und Übertreibungen zu vergessen, die sein Werk hervorgerufen haben, „um diese mystifizierende Schicht, die seine Bilder bedeckt, abzuwaschen“. Claude Roy, ein Freund Picassos, hat diesen Gedanken formuliert. Er wird im Film zitiert.
Picasso in Vallauris beginnt mit der Abbildung eines Exemplars der Radierung Minotauromachie, gefolgt von einer nahen Einstellung auf die Signatur mit Zueignung und Datierung unten rechts. Zu hören ist: „Die Widmung an die Freunde, den Dichter Paul Éluard und seine Frau Nusch, Paris 5. März 1936“.
Ein lakonischer Satz, gesprochen von Nestler selbst, in unverkennbarer Sonorität, entschieden, fest und apodiktisch. Er scheint das ohnehin zu Sehende nur zu verdoppeln, stellt indes aber eine Setzung dar, die im Weiteren unbeirrbar verzweigt und vertieft wird, dabei Haupt- und manchmal auch Nebenwege einschlägt.
Über einer Fotografie aus Picassos Atelier, wiederum Nestlers Stimme: „Éluard und Picasso waren wie Brüder. Links Éluard, der während des Krieges im Widerstand war. Zu Picasso sagte er: ‚Du hältst die Flamme zwischen deinen Fingern und du malst wie ein Feuer‘. 1944 wurde Picasso Mitglied der kommunistischen Partei Frankreichs.“
Einer der Fäden, denen Nestler in Picasso in Vallauris durchgehend folgt, ist das Netzwerk der Freunde des Malers und, organisch dazugehörig, die Stellung dieses Netzwerks im Verhältnis zum Nationalsozialismus beziehungsweise der deutschen Besetzung Frankreichs beziehungsweise dem Vichy Regime beziehungsweise der französischen Résistance. Bei allen Freunden des Malers, die im Zusammenhang von Nestlers Betrachtungen Raum bekommen, findet ausdrücklich auch deren Schicksal im Zusammenhang der dunkelgrauen Jahre Erwähnung.
Über Michel Sima etwa hört man Nestler sagen: „Diese Fotografien stammen von Michel Sima, Bildhauer und Fotograf. Schon vor dem Krieg gehörte er zu Picassos und Gertrude Steins Freundeskreis. Er hat Auschwitz überlebt.“ Mehr als ein dutzendmal ist vom Netzwerk der Freunde die Rede.
Weitere Fäden, die für Nestler eine Rolle spielen: das Kreatürliche in Picassos Arbeit, seine Verwurzelung in einer Welt, worin der Mensch bloß ein Wesen unter anderen ist und nicht die Krone der Schöpfung. Einmal trägt der Filmemacher eine Überlegung des Malers dazu vor: „Mein ganzes Leben lang habe ich nur geliebt. Wenn niemand mehr auf der Welt wäre, würde ich eine Pflanze lieben oder einen Türknopf. Ein Leben ohne Liebe ist undenkbar.“ Die Worte sind zu hören, während ein Foto von Picasso zu sehen ist, auf dem er ein großes Insekt in seiner Hand betrachtet – eine Gottesanbeterin, die auch Sonnenanbeterin heißt.
Den ganzen Film prägt tiefer Respekt vor der Hände Arbeit. Picasso damals: eine Passage aus Incontrare Picasso (1953), einem Film von Luciano Emmer. Picasso in einer Keramikwerkstatt. Im Bildhintergrund ein Töpferkollege an der Drehscheibe, der das Tun Picassos rätselnd beäugt. Vorn Picassos Hände. Sie verwandeln das, was einmal eine Vase war, um daraus, wie selbstverständlich, einen Vogel erstehen zu lassen. Etwas Lebendiges. Dazu ein Zitat Cocteaus, der zu Picasso gesagt haben soll: „Du drehst ihnen den Hals um, und sie beginnen zu leben.“
In einer anderen Sequenz: Vallauris heute. Die Begeisterung eines 91-jährigen Keramikers, den die Erinnerung an Picasso zu entflammen scheint und der später die sichere Arbeit der Hände eines jungen Handwerkers an der Drehscheibe andächtig bewundert. Dazu die stille Betrachtung des Hochziehens einer Vase.
„Es ließ sich leichter überlegen, wenn man ging oder etwas tat, oder wenn man Leute sah, die etwas taten, worauf sie sich verstanden“. Das wird nicht im Film gesagt. Hemingway notierte den Satz, aber mir scheint, als sei darin auch gesagt, was diesen Film auszeichnet.
Picasso in Vallauris endet mit einer langen ‚Kindersequenz‘: Beobachtungen in der Malklasse einer Schule von Vallauris heute. Momente der konzentrierten Stille. Augenblicke des freien kindlichen Spiels, das zugleich erfüllte Arbeit ist. Belebte Gegenwart.