Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Notizen zu Peter Nestler: Zeit

Text von: Til­man Schumacher

Für die Sen­de­rei­he „Men­schen und Stra­ßen“ des Süd­west­funks (SWF) tref­fen Peter und Zsó­ka Nest­ler in Ungarn älte­re Men­schen auf dem Land und in der Stadt, die sich in ihrer Frei­zeit künst­le­risch ausdrück(t)en. Hobbykünstler:innen, könn­te man sagen. Es sind Male­rin­nen und Maler, Bild­haue­rin­nen und Bild­hau­er, auch Stri­cke­rin­nen, die den Nest­lers hier ihre Wer­ke prä­sen­tie­ren, mal selbst­be­wusst und mit einem Lächeln auf den Lip­pen, mal etwas schüch­tern-ver­schreckt ange­sichts der lau­fen­den 16mm-Kame­ra. Und ihre Wer­ke sind, das machen sie alle­samt klar, für sie selbst da. Sie ver­kau­fen sie ungern, zei­gen sie nur sel­ten her, ver­schen­ken sie inner­halb der Fami­lie. Man­ches hat es den­noch in die eth­no­gra­fi­schen und volks­künst­le­ri­schen Samm­lun­gen von Kec­s­ke­mét, Buda­pest und andern­orts geschafft.

Was den mit­tel­lan­gen Fern­seh­do­ku­men­tar­film Zeit zu einem so warm­her­zi­gen und erhel­len­den Künstler:innenporträt macht, ist der Umstand, dass dem Regie­duo nichts fer­ner liegt, als über die Köp­fe der Por­trä­tier­ten hin­weg, deren Arbei­ten zu kom­men­tie­ren, die­se gar zu inter­pre­tie­ren. Statt­des­sen las­sen sie sich ganz auf die Pri­vat- und Zart­heit ein, mit der Gom­bás János, Gombkö­tő­né Tóth Ilo­na, Tóth­né Her­c­zeg Mária, Maro­sí­né Föld­vá­rí Irén, Zsit­va Miklós, Répás János und Boros­né End­resz Teréz über ihre Wer­ke sprechen.

Die Stim­men des Voice-Overs – das heißt die schön akzent­ge­färb­ten Sät­ze der Unga­rin Zsó­ka Nest­lers sowie Peter Nest­lers „ent­schie­de­ner, fes­ter, apo­dik­ti­scher Bari­ton“ (Hart­mut Bitom­sky) – geben uns knap­pe Ein­ord­nun­gen zu Alter und Lebens­um­stän­den der Künstler:innen, auch zum Ort, an dem wir uns gera­de (zumeist in der länd­li­chen Ein­öde) befin­den. Alles, was die Bild­wer­ke selbst betrifft, ist dann Nach­er­zäh­lung. Hier sei noch­mals Bitom­sky zitiert: „Nest­ler ist kein Erzäh­ler, er ist immer nur Nach­er­zäh­ler, und das ist ein ande­res Ver­hält­nis zu den Din­gen, die er im Film auf­nimmt. (…) [U]nd das heißt, daß er weiß: die Kraft, die er mit­teilt, geht nicht von ihm aus, sie geht von den Din­gen aus durch ihn hindurch.“

So wie sich die bäu­er­li­chen Gen­re­sze­nen in aller Ruhe durchs Bild bewe­gen, etwa von der Kame­ra abge­fah­ren wer­den, hetzt in Zeit nie­mand deren Schöpfer:innen, Gedan­ken dazu zu äußern. Auf­fäl­lig ist, dass der mög­li­che Kunst­sta­tus der Objek­te – gar der der Fremd­zu­schrei­bung „Naï­ve Kunst“ – für die­se alten Leu­te kei­ne Rol­le spielt, sie allen­falls deren tech­ni­sches Zustan­de­kom­men für uns einordnen.

János, Ilo­na, Mária und die ande­ren sehen ihre Arbei­ten schlicht nicht als etwas Muse­ums­wür­di­ges an, son­dern als Doku­men­ta­tio­nen. Ihr Hand-Werk – und damit ist sicher auch Peter Nest­lers (Film-)Kunstverständnis gestreift – ist kon­kret, kommt aus dem All­tag und führt in die­sen zurück: Hier kom­men die Bäue­rin und der Bau­er zurück vom Feld, hier wird Salz gesto­ßen, seht euch das alte Müt­ter­chen an, so sah unser Fami­li­en­haus ein­mal aus. Ent­spre­chend sind die Titel der Schnit­ze­rei­en, Male­rei­en und Stri­cke­rei­en grad­li­nig, direkt. Groß­wä­sche, Ern­te, Klatschmohn.

Wie bei der inde­xi­ka­li­schen Spur der Foto­gra­fie spei­chert die Kunst für sie eine Zeit auf, die es so nicht mehr gibt. Hand­grif­fe und Lebens­wei­sen, For­men von dörf­li­cher Gemein­schaft, die Anmu­tung von Häu­sern, an denen Erin­ne­run­gen haf­ten. Der Titel des Films könn­te vie­les bezeich­nen: Die Zeit zu haben und die Zeit neh­men, etwas Per­sön­li­ches zu schaf­fen; „Kunst“ schaf­fen, um Zeit still zustel­len; sich die Zeit neh­men, sie sich ein­mal in Ruhe anschauen.