Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Taubenblicke I

Auf der Rustenstegbrücke, auf die das letzte Tageslicht fällt, verlangsamen die Menschen ihren Gang, bis sie allmählich stehenbleiben, Richtung Hütteldorf blicken, und ihre Gesichter in die Sonne halten.

Ein junger Mann auf einer Bank in der Markgraf-Rüdiger-Allee, der so vertieft in sein Handy ist, als wäre es ein spannendes Buch.

Die am Würstelstand arbeitende Frau, die Anna Karenina lippenbewegend auf Russisch liest und neben ihr, auf der Theke, die dampfende Teetasse. (Märzstraße/Schweglerstraße)

Das Knarren der Lederschuhe des vorbeigehenden Verkehrspolizisten und über ihm, die im Wind flatternden Blätter der Lindenbäume und noch weiter höher das langsame Ausbleichen eines Kondensstreifens im Himmel. (Markgraf-Rüdiger-Allee)

Unter dem Dachvorsprung der Kirche auf dem Kriemhildplatz in Gesellschaft eines Kindes dem niederprasselnden Regen zuschauen… Dann das jähe Aufhören des Regens, als hätte jemand einen Knopf gedrückt, und das Kind springt mit einem Lächeln auf den nassen Pflastersteinen.

Ein kleines Mädchen in der Goldschlagstraße, das eifrig die Maikäfer auf dem Gehsteig zerquetscht, während ein Junge auf seiner Mutter mit einer grünen Wasserpistole schießt. (Auf dem Boden: Wassertropfen, Maikäferleichen, Sonnenblumenkerne)

Eine Krähe, die auf einem Mistkübel sitzt, den Müll mit ihrem Schnabel herauspickt und jeden Gegenstand auf dem Boden wirft, bis sich schließlich eine Müllinsel im Gras bildet – und der orange gekleidete Müllmann, der eben gerade die Straße gekehrt hat und dem traurig beiwohnen muss.

Der Alkoholiker im Rollstuhl im Reithofferpark klammert sich an die Weinflasche, als wäre sie sein letzter Halt.

Als der heulende Krankenwagen die Märzstraße hinauffährt, verstummen die ansonsten immer laut tönenden und wild gestikulierende Kartenspieler im Park und für diesen Augenblick wird es am Tag endlich einmal still.