Der erste Tag des Jahres und das leichte Tupfen der Schneeflocken auf der Stirn
Die Überreste eines von den Jugendlichen zerschmetterten Schneemanns liegen von den wenigen Sonnenstrahlen dieser Tage angeschmolzen im Schatten des laublosen Schnurbaums, die mit jedem neuen Tag mehr und mehr von den darüber gehenden Passanten zertrampelt und Stück für Stück auf ihren Schuhsohlen davongetragen wird, bis er nur noch als trauriger Klumpen daliegt, eine vage, bald verschwindende Erinnerung an sein früheres Leben
Die weißen kreisförmigen Flechten auf den Baumstämmen der Eichen sind die Monde auf den Kastanien; die im Handteller liegenden Kastanien sind das Bild einer Erinnerung aus der Kindheit; die Kindheit ist die Straße, die Wohnung, das Zimmer, der schnarchende Bruder im Stockbett; der Bruder ist … usw.
Auf einer gelbroten Fassade eines zerbröckelnden Gebäudes der blaue, schwach flackernde Schatten eines laublosen Baumes, so dünn im letzten Tageslicht, als bräuchte es nur einen leichten Wind, um ihn zum Verschwinden zu bringen
Auf dem Weinbergpfad: Die im Schlamm gespurten Vogelzehen zeigen Richtung Süden, wo sich gerade ein Flugzeug, insektenklein, über die Stadt erhebt und sofort in einer Falte des Winterhimmels verschwindet und neben mir springt ein Kleinkind in einer Regenpfütze
Auf der Straße gehen die Menschen, selbst die Kinder, so rasch, als hätten sie alle Termine
Überhörtes Gespräch zwischen Vater und Kind im Park:
Vater: „Bis wie viel kannst du zählen?“
Kind: „Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn!“
Vater: „Und wie geht’s weiter?“
Kind: „Papa, bist du blöd? Nach zehn gibt es keine Zahlen mehr!“
Das erste Geräusch des Tages nach dem Aufwachen: Das Gurren und die Flügelschläge der Tauben vor dem Fenster (das ich dann sofort vergesse)
Und das zweite Geräusch: Das laute Räuspern von jemanden unter im Park und das darauffolgende Spucken (das mir auf unerträgliche Weise den ganzen Tag nicht aus den Ohren geht)
Fundstück: “MISSING TELEPHONE! I have lost my telephone in Schönbrunner Schloßstraße on December 22th and it is in a Lost State. So it is useless for you, but If you could give it back to me, I can give you 100 euro for your help. Contact: +420 XXXXXXXXX”
Traumbilder, die man zum Trost den ganzen Tag mit sich tragen kann, wie einen warmen Mantel an einem eiskalten Tag, zum Beispiel gestern Abend – das chlorblaue Wasser eines Schwimmbeckens in Italien
Ein vergessenes Buch in der Straßenbahnlinie 5 auf einem Sitzplatz, und die Vorstellung, wie es von morgens bis abends zwischen Westbahnhof und Praterstern verlassen und ungelesen hin- und herfährt
Zwei Schulmädchen in einer aufgelassenen Telefonzelle, deren äußere und innere Wände mit derben Sprüchen und Zeichnungen bemalt sind, reichen sich kichernd gegenseitig den Telefonhörer, schlagen ihn gegen das Fenster, werfen ununterbrochen Münzen in den Schlitz des Kastens (die dann wieder sofort mit einem Klimpern zurückgegeben werden), wählen zufällige Nummern und ahmen gestikulierend und das Verhalten eines Erwachsenen nach, jede ihrer Bewegungen so, als wäre es für sie ein eingeübtes Schauspiel täglich nach der Schule, bis sie lachend aus der Zelle stürmen und der Hörer an seinem Kabel herunter baumelt