Three Men of Wisconsin: Confidential Report von Orson Welles

Aus heutiger Sicht öffnet sich beim Betrachten von Orson Welles Confidential Report (Mr.Arkadin) eine ganze Welt zwischen dem Diskurs des Films und seiner tatsächlichen Wahrwerdung auf der Leinwand. Die abstruse Produktionsgeschichte des Films überschattet in vielerlei Hinsicht das Spiel der Farben und des Lichts und deren Wirkung auf uns. Wie man sich einem solchen Film nähern soll, wenn man darüber schreibt, ist dann die Frage. Es ist klar, dass das, was wir auf der Leinwand sehen in irgendeiner Form ein Ergebnis ist. Aber es ist auch klar, dass es ein lebendiges Ergebnis ist, ein Resultat, das sich in den Augen der Zuseher, mit der Zeit und dem Ort transformieren kann, auf das man immer wieder neu reagieren muss. Nun ist es in zeitgenössischen Auseinandersetzungen mit dem Kino üblich, sich vom filmischen Text zu entfernen und einen eher medialen Bezug zu wählen, der eben ein besonderes Auge auf Produktionshintergründe und einen gesellschaftlichen, politischen Zusammenhang legt. Bei den besten Autoren geht dabei nichts verloren, denn sie verbinden beide Aspekte in geschickter Manier. In Bezug zu Orson Welles und vor allem seinem Confidential Report existiert jedoch ein derart bemühtes und herausragendes Anrennen gegen die labyrinthische Mauer der Hintergründe, dass es mir wirklich fruchtbar erscheint, mich auf das, was ich da sehen konnte im Österreichischen Filmmuseum, ganz naiv, zu stürzen. Wer an den unterschiedlichen Versionen und Verwirrungen interessiert ist, dem sei daher dieser in diesem Zusammenhang kanonische Text von Jonathan Rosenbaum ans Herz gelegt: http://www.jonathanrosenbaum.net/1992/01/the-seven-arkadins-tk/

Im Filmmuseum war die Confidential Report Euro-Releaseversion mit 97 Minuten Länge zu sehen. Nun, was wir sehen konnten an jenem Abend auf der Leinwand war ein verspielter Irrsinn in schattigen 18,5 mm Weitwinkelgängen, dutch-angle Froschperspektivenorgien und einem atemlosen Tempo, das von einer Hetzjagd quer über den Planeten erzählt, um Geheimnisse zu lüften und zu verschleiern. Im Kern entfaltet sich ein Duell zwischen dem Schmuggler Guy Van Stratten und dem Multimillionär Gregory Arkadin. Van Stratten wird Zeuge des Mordes an einem Mann, der sterbend den Namen „Arkadin“ flüstert. Zusammen mit seiner Partnerin macht sich Van Stratten auf den Weg zu diesem Arkadin. Er will ihn finden, entblößen und erpressen. Er wird sich in die Tochter des Mannes verlieben und von diesem persönlich angestellt werden, das Geheimnis seiner Existenz vor 1927 herauszufinden. Spiele mit doppeltem Boden beginnen in einer verlogenen Welt voller liebenswerter Gestalten. Die Settings, die Welles dafür errichten ließ und fand, sind außergewöhnlich und beeindruckend. Ein Gothic-Goya-Maskenball in Spanien, ein Ramschladen in Kopenhagen und der heiße Wind des Meeres in Mexiko. Auch in München tauchen Geheimnisse auf und ab und so nimmt sich der Film kurz Zeit für einen komödiantischen Auftritt von Gert Fröbe als Polizist.

 Mr. Arkadin

Wie Welles sich selbst in der Rolle des Arkadin inszeniert, ist bemerkenswert. Da wären seine nachdenklich-bitteren Trinksprüche, seine unbeweglich-übermächtigen Blicke in die Kamera (oder knapp daran vorbei, jedenfalls hat man das Gefühl, dass er uns zuzwinkert) und seine Existenz, die eben nicht nur in den Bildern selbst und im Stil des Films spürbar wird, sondern durch seine körperliche Präsenz. Nun ist es nichts Außergewöhnliches, dass Welles in seinen eigenen Filmen spielt, aber in Confidential Report bekommt man den Eindruck, dass hier nicht nur mit einer persönlichen Handschrift gearbeitet wird, sondern auch gegen diese Handschrift, in dem die Starpersona sich so vor die Seele schiebt, dass man es bemerkt und damit verhalten sich diese Ebenen analog zur Handlung des Films, Gregory Welles/Orson Arkadin, trägt Masken, was hat er getan, um dort zu sein? Aus den Ruinen eines Nachkriegseuropas entspringen die wilden Fratzen einer Parodie, das Gefühl einer durchzechten Nacht, das von den aufstoßenden Lachern meines Sitznachbarn im Kino und seinen gelegentlichen Schlucken aus der Pulle unterstütz wurde. Man fragt sich ständig, wohin man gehen könnte, wo man noch nicht war und wer vor oder hinter einem läuft. Dabei findet sich im glichen Atemzug die Mythologie einer alten Welt (Schlösser, Kunst, Teleskope, Zigarren,…) und ihre eigene Zerstörung, die schließlich das Mystische ins Mysteriöse entführt, das Unvorstellbare, das leere Flugzeug, das wie ein Traum dahinfliegt und doch betrachtet wird wie ein Skandal, die Magie als Teil einer Welt, aber haben wir diese Welt wirklich begreifen können? Was jagen wir da eigentlich? Nicht nur in dieser Hinsicht ist der Film eine Hinterfragung von Citizen Kane, da er eingebettet in die Paranoia einer Identitätskrise zu einem Wettlauf mit dem eigenen Gehirn wird.

Welles als Arkadin erhöht sich selbst, nicht nur durch die Einstellungen, sondern auch durch dieses Verschwinden seiner Figur, nur Schall und Rauch und immer noch die Bedrohung, dass er doch da ist und wir spüren ihn auch, denn selbst wenn Arkadin verschwindet, ist die Tiefenschärfe von Welles noch da. Er begreift das Kino hier als Maskenball außer Rand und Band, verschlungene Montage, Flashbacks werden von Flashbacks gejagt, ein wilder Rhythmus und was dann bleibt, ist Atmosphäre, die einen packt und in herumschleudert. Wie ein tönender Bass, der diesen Rhythmus bedingt und anhalten kann, dringt auch die Stimme von Arkadin durch die Bilder und durch das wilde Ton-Chaos, das sich wie ein hektischer Anfall aus der Vergangenheit und der Gegenwart über den Schnee, den Sand und den Duft des Films legt, nein, es legt sich nicht, es donnert darüber hinweg.

Mr. Arkadin

Die Einflüsse von Welles auf das zeitgenössische amerikanische Kino sind hinlänglich bekannt. Im Fall von Confidential Report stößt man sofort auf Parallelen zu Terry Gilliams Brazil und dem deutlich zeitgenössischeren Inherent Vice von Paul Thomas Anderson. Was diese drei Filme eint, ist dass sie nicht nur die Reise durch Labyrinthe begleiten, sondern die Erfahrung dieses Labyrinths zu einem Prinzip erheben, das weit über eine dramaturgische „Und dann?“-Logik, die sowohl für das Labyrinth, als auch das Kino entscheidend sein kann, dass den Film selbst als Labyrinth erscheinen lässt. Wo man ist und weshalb wird dann sekundär. Viel wichtiger scheint zu sein, wie man ist und man ist verwirrt, überwältigt und kratzt an den Grenzen von Erinnerungen und Zielen. (mein Sitznachbar nimmt einen Schluck aus seiner Pulle). Dieses Labyrinth ist nicht nur in der Welt, es ist im Gehirn. Hier zählt, wie es im Film heißt, nicht die Logik, sondern der „Character“.

Wenn man sich dem Film also durch seine tatsächliche Sprache nähert, kann man erkennen, dass die verwirrende Entstehungsgeschichte sich wunderbar in die tatsächliche Präsenz der Filmkopien einfügt. Natürlich muss es unterschiedliche Versionen von Confidential Report geben, natürlich müssen diese Versionen bezüglich ihrer Geschichte und des Einflusses von Welles im Nebel verharren, denn es gäbe nur einen Filmregisseur, der die Geschichte des Mannes, der der einzigen legitimen Wahrheit hinter dem Film nachspürt, verfilmen könnte: Orson Welles.

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